Demon gegen Kontaktsperre in St. Georg: Neue Eskalationsstufe

Netzwerk "Recht auf Straße" protestiert gegen die Vertreibung von Sexarbeiterinnen aus St. Georg. Seit zwei Wochen gilt die Kontaktsperre-Verordnung.

Schutzschirm für die Straße: Demonstrantin auf dem Hansaplatz Bild: dpa

Mehr als 200 Menschen haben am Samstag auf dem Hansaplatz auf einer Kundgebung des feministischen Netzwerks "Recht auf Straße" gegen die Vertreibung der Sexarbeiterinnen aus St. Georg demonstriert. Das Motto: "Gegen Repression und Kriminalisierung von Sexarbeit - in St. Georg und überall". Aktueller Anlass ist die vor zwei Wochen verabschiedete "Kontaktsperre-Verordnung" durch den SPD-Senat. Sie sieht vor, dass potenzielle Freier bei der Kontaktaufnahme mit Prostituierten ein Bußgeld bis zu 5.000 Euro zahlen müssen.

Szenenwechsel: Rathaus, Donnerstagabend. Im Innenausschuss tagt mehrere Stunden lang eine Expertenrunde zu den neuen Polizeigesetzen. Wohnraum-, Telefon-, Computer- und Videoüberwachung werden diskutiert. Erst als der Punkt "in Gewahrsamnahme" im neuen Polizeigesetz aufgerufen wird, der auch Freiheitsentzug bei zu erwartenden hohen Bußgeldern vorsieht, wird der innenpolitische Sprecher der SPD, Arno Münster, wach. Ob das auch bedeute, dass Freier in St. Georg in Gewahrsam genommen werden können, fragt er verschämt. Gelächter im Saal.

Doch in St. Georg beschränkt sich die Polizei "im Moment noch auf Ermahnungen", sagt Anwohnerin Birgit Schulze* der taz auf der Kundgebung am Samstag. "Die Männer schwören den Polizisten gegenüber natürlich, dass es das erste Mal war und dass sie es nie wieder tun würden", sagt sie. "Das ist, als ob ich beim Falschparken erwischt werde und sage: ,Hab' ich noch nie gemacht - tue ich nie wieder.'"

Rednerinnen der Kundgebung, die ins Englische, Bulgarische und Rumänische übersetzt wird, beklagen, dass die Repression auf die Sexarbeiterinnen im Viertel massiv zugenommen habe und die Prostituierten nach Rothenburgsort vertrieben werden sollen, wo sie "keinen sozialen Schutzraum mehr" hätten. "St. Georg ist das Paradebeispiel für Gentrifizierung", sagt eine Rednerin. Mit der Sperrgebietsverordnung, der seit 1996 geltenden Gefahrengebietsverordnung und nun - als "neue Eskalationsstufe" - mit der Kontaktsperre-Verordnung, würden die Sexarbeiterinnen "hin- und hergejagt und müssen ihrer Arbeit in dunklen Ecken nachgehen".

Sexarbeiterin Tanja Schulze* zeigt an diesem Samstag erneut Gesicht. Bereits vor zwei Wochen hatte sie anlässlich der Verabschiedung der KontaktsperreVerordnung eine Demonstration der Prostituierten aus St. Georg zum Rathaus geleitet und Gesicht gezeigt. Und auch diesmal fragt sie: "Wo bliebt die Menschlichkeit?" Seit dem Tod ihres jüngsten Kindes sei sie abgestürzt. "Ich habe alles verloren", sagt Schulze. Sie lebe trotz weiterer Kinder in Scheidung und hänge an der Nadel, habe hier bei der Drogeneinrichtung Ragazza "Halt gefunden". Verzweifelt fragt sie: "Es gibt so viel Not. Wenn wir hier unsere Arbeit verlieren, was passiert mit uns?"

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