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Demokratiefieber

Die Umwelt-Volksabstimmungen in Kalifornien könnten in den USA Modellcharakter für eine fortschrittliche Umweltpolitik haben  ■ Aus San Francisco Rolf Paasch

Clint Eastwood sitzt gelassen auf seinem Stuhl, zieht diesmal nicht die Knarre, sondern einen Stimmzettel hervor und wendet sich über den Bildschirm an seine Mit-Kalifornier: „Laß uns die Rotwälder retten“, wirbt der zum Regisseur und Bürgermeister der Millionärsresidenz von Carmel aufgestiegene Revolverrecke. Clint Eastwood ist nur einer der Hollywood-Rekruten, die von der kalifornischen Umweltlobby in die Schlußphase des Fernsehwahlkampfs eingespannt worden sind. Denn wenn die US-Bürger am Dienstag zur Wahl von 32 Senatoren, 435 Mitgliedern des Repräsentantenhauses, 36 Gouverneuren und Tausender lokaler Kandidaten schreiten, gibt es für die kalifornischen Wähler noch zusätzliche Arbeit. „The Big Green“ und „Forests Forever“ sind nur die umstrittendsten unter gleich mehreren Dutzenden von Volksabstimmungen: Von der Pestizidkontrolle über die Alkoholsteuer bis hin zur zeitlichen Begrenzung von Amtsperioden reicht die Palette der seit 1911 im Kampf gegen die allmächtigen Eisenbahnbarone ausgebauten kalifornischen Direkt-Demokratie.

Seit Wochen versuchen nun etablierte wie alternative Stadtzeitungen zwischen Los Angeles und San Francisco ihre Leser mit „Abstimmungsführern“ durch das Dickicht dieser„Grass roots“-Demokratie zu leiten. Mit wenig Erfolg. Denn da gibt es „Schläfer-Initiativen“, bei denen der Teufel im Detail steckt und „Killer-Torpedo-Initiativen“, mit denen die Industrie die Vorschläge der Umweltgruppen auch im Falle einer Abstimmungsmehrheit noch zu sabotieren versucht.

So werden viele Wähler in ihrem Versuch, die jahrhundertealten „Redwood“-Wälder vor den Sägen der Holzfäller zu schützen, für Vorschlag Nr. 138 stimmen, der von der Holzindustrie einzig und allein zum Absägen der ursprünglichen „Rettet- die-Wälder“-Initiative, der Nr. 130, lanciert wurde.

Vor allem aber „Big Green“, der bisher ambitionierteste Versuch zu einer fortschrittlichen Umweltpolitik in den USA, wird von den betroffenen Industriezweigen mit teuren TV Commercials und einer irreführenden Gegeninitiative bekämpft. „Big Green“ sieht im einzelnen vor: ein über fünf Jahre eingeführtes Verbot krebserregender Pestizide und Chemikalien, wie sie vor allem in der kalifornischen Agrarindustrie, beim Wein-, Früchte- und Gemüeseanbau verwendet werden; eine drastische Reduzierung der Autoabgase um zunächst 20 Prozent und später (bis zum Jahr 2010) dann 40 Prozent; ein langfristiges Verbot von Ölbohrungen in Küstennähe sowie Präventivmaßnahmen für den Fall von Ölkatastrophen; die Ernennung eines Umweltministers und die Einrichtung staatlicher Fonds zum Aufkauf der gefährdeten „Redwoods“.

Hatte es vor wenigen Monaten noch so ausgesehen, als sei der ehrgeizigen Umweltinitiative eine Mehrheit gewiß, so sagen die jüngsten Meinungsumfragen nach dem Golfkonflikt, Rezession und einem 20 Millionen-Dollar Werbefeldzug der betroffenen Industrien ein knappes Ergebnis voraus. Chemie, Holz und Ölindustrien, so formulierte es Verbraucheranwalt Ralph Nader auf einer Veranstaltung der „Big Green“-Organisatoren an der Universität von Berkeley, „kämpfen mit den besten Lügen, die sich mit Geld kaufen lassen“.

Wenn auch niemand wirklich weiß, wie das Verhältnis von ökologischem Gewinn und ökonomischen Kosten am Ende aussehen wird: Mit der Abstimmung über „Big Green“ steht in dem vordergründigen Konflikt zwischen Umweltschutz und Wettbewerbsfähigkeit für beide Seiten viel auf dem Spiel. Verliert die Industrie, dann dürften die verschärften Umweltschutzbedingungen in dem Staat, der rund die Hälfte aller amerikanischen Früchte und Gemüse produziert, auch für das Agrobusiness in anderen Bundesstaaten zur Pflicht werden. „Wenn Big Green verliert“, so fürchtet dagegen Robert Hattey vom Sierra Club, „dann hieße dies, daß unsere Bewegung die ganze Umweltschutzrhetorik am Wahltag nicht in Politik umzusetzen vermag. In Kalifornien abgelehnt, hätten die Vorschläge dann landesweit kaum noch eine Chance. Selbst die diesjährigen Gouverneurswahlen stehen in dem Wachstumsstaat ganz im Zeichen der Umweltabstimmungen. Die demokratische Kandidatin und Ex- Bürgermeisterin von San Francisco, Dianne Feinstein, hat sich vorsichtig fuer Big Green ausgesprochen, ihr republikanischer Widersacher und Ex-Bürgermeister von San Diego, Pete Wilson, vorsichtig dagegen. Sonst unterscheiden sich die beiden Figuren, deren monatelanger Millionen-Dollar-Wahlkampf bisher noch keinen müden Beachboy vom Strand weglocken konnte, recht wenig. Beide sind für Abtreibungsfreiheit und Todesstrafe, was, den kalifornischen Wahlkampfstrategen zufolge, derzeit so etwas wie die politische Mitte ausmachen soll. Eine undankbare Wahl kommentierte der 'Bay Guardian‘ die Entscheidung zwischen einem moderaten republikanischen Millionär und einer mediokren demokratischen Millionärsgattin für den Gouverneursposten in Sakramento.

Doch wer dort sitzt, wird demnächst bis nach Washington hineinregieren koennen. Der Gouverneur wird erheblichen Einfluß auf die im nächsten Jahr anstehende Grenzziehung von sieben neuen kalifornischen Wahlkreisen ausüben. Danach werden 12 Prozent aller Mitglieder des US-Repräsentantenhauses aus dem mit 28-Millionen-Einwohnern bevölkerungsreichsten Bundesstaat kommen. Mehr Demokraten von der Westküste und eine Gouverneursfrau aus Kalifornien als idealer Vize- Ergänzung für den demokratischen Präsidentschaftskandidaten im Wahljahr 1992 würden einem Sieg der Aussenseiterin Dianne Feinstein nationale Bedeutung verleihen. Doch davon ist im kalifornischen Wahlkampf nichts zu spüren, wo sämtliche Versuche der beiden Kandidaten, den Gegner mit persönlichen Attacken zu diskreditieren, bisher an der Begeisterungslosigkeit des Publikums gescheitert sind. Besonders Aktivisten aus den hispanischen, afro-amerikanischen oder asiatischen Bevölkerungsteilen, die bereits 42 Prozent aller Wähler stellen (im Jahr 2020 werden es 60 Prozent sein), beschweren sich über eine sterile Medienkampagne, die sich kaum ihrer Anliegen annimmt. „Keine Erwähnung der demographischen Entwicklung Kaliforniens, oder wie die Kandidaten mit dem Wandel zu einer multikulturellen und multiethnischen Gesellschaft umgehen wollen“, so Antonia Hernandez von der einer mexikanischen Nachbarschaftsvereinigung in Los Angeles. „Nichts dazu. So als gäbe es uns gar nicht.“ Meinungsforscher rechnen denn auch am Dienstag bei der Wahlbeteiligung mit einem Rekordtief von nur 40 Prozent.

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