Demokratie als verlorenes Gut

Die Ausstellung Museo de la Democracia in der nGBK blickt in einem fiktiven Museum auf die Demokratie zurück und thematisiert Ausbeutung und Widerstand in Lateinamerika

Ausstellungsansicht mit einem Diagramm der Künstlergruppe PSJM: Die grüne Fläche symbolisiert den Wald, die weißen Zacken das ­Ausradieren Foto: Benjamin Renter

Von Tom Mustroph

Erinnerungen an die Demokratie ziehen ein in die nGBK (neue Gesellschaft für Bildende Kunst). Ein Ku­ra­to­r*in­nen­team aus Berlin, Chile und Brasilien eröffnete mitten im Lockdown das Museo de la Democrazia mit Arbeiten von zwei Dutzend Künst­le­r*in­nen und Künstlergruppen vor allem aus Lateinamerika. „Wir blicken aus einer Zukunft, die fern von Demokratie ist, auf das, was einmal als Demokratie bezeichnet wurde“, erzählt Kurator Teo Lagos Preller der taz. Das ist eine ziemlich dystopische Perspektive. Angesichts zahlreicher Ausbeutungspraktiken ist ihr aber auch eine realistische Komponente eigen.

Viele der ausgewählten Arbeiten weisen auf Demokratiedefizite hin. Die guatemaltekische Künstlerin Marilyn Boror Bor etwa schuf einen Grabstein, unter dem sie ihren indigenen Namen begrub. Sie legte sich die Nachnamen Castillo und Novella zu. Das sind laut Begleittext die mächtigsten Familien Guatemalas. Man findet Staatspräsidenten und Zementbarone unter ihnen. Boror Bors Namensänderung ist eine Spiegelung einer weitverbreiteten Praxis. Viele Indiginas legen sich, wenn sie vom Land in die Metropolen ziehen, andere Nachnamen zu, um Diskriminierung zu vermeiden.

Auf die Ausbeutungspraxis von Erde, Tierwelt und Vegetation weist die Arbeit „Kapitalistische Penetration im Amazonasgebiet von 1988 bis 2019“ hin. Die Künstlergruppe PSJM wertete Statistiken zu Lizenzen und Verträgen für Projekte von Forstwirtschaft, industrieller Landwirtschaft, Bergbau und Energiewirtschaft im brasilianischen Amazonasgebiet aus und ließ die Daten in ein wandfüllendes Diagramm einfließen. Scharfe weiße Zacken greifen jetzt in ein grünes Feld aus. Die grüne Fläche symbolisiert den Wald, die weißen Zacken das Ausradieren. „Interessant ist, dass die Ausschläge am größten in der Regierungszeit von politisch eher links einzuordnenden Regierungen sind“, bemerkt Lagos Preller an. Mitkuratorin Daniela Labra ergänzt bitter: „Jetzt bei Bolsonaro würden die Zacken aber durch die Decke gehen.“

Das Museo de la Democracia zieht einerseits Bilanz von Demokratiedefiziten. Es weist auf Strukturen hin, die immer wieder Ungerechtigkeiten produzieren. Das Museo weist aber auch Auswege. Die chilenische Künstlerin Cheril Linett entwickelt mit Mitstreiterinnen feministische Performances, in denen Repräsentationen des Soldatischen wie Paraden, aber auch Auftritte religiöser Gruppen wie der Zeugen Jehovas parodiert werden.

Viele Indiginas legen sich, wenn sie in die Metropolen ziehen, andere Nachnamen zu

Die Bildhauerin Maria Thereza Alves fordert Künst­le­r*in­nen und Lai*­in­nen auf, Tonfiguren in der Tradition der indigenen Gemeinschaften der Xico zu schaffen. Das Museum, in dem die Originale stehen, ist seit Jahren geschlossen. Damit der Zugang zu traditionellem Wissen nicht verschlossen wird, entwickelte Alves ihr Kopierprojekt. Die allgegenwärtige Situation des Zweifelns, der Hilflosigkeit und Orientierungslosigkeit fasst eine Performance von Victor de la Rocque zusammen. In einem Video, aufgenommen mit einer nach oben steigenden Drohne, sieht man de la Rocque auf einer Straßenkreuzung Richtungsanweisungen wie rechts und links an Autofahrer geben. Es achtet freilich niemand auf ihn. Die Kategorien von rechts und links sind nicht nur in dieser Straßenverkehrsperformance komplett aufgelöst.

Bizarr in der aktuellen Pandemiesituation ist, in der die Ausstellung derzeit nicht besucht werden kann, dass ein zentrales Element des Demokratiemuseums ein Kiosk ist. „Ein Kiosk befindet sich am Schnittpunkt des Öffentlichen mit dem Privaten. Man trifft sich dort, tauscht ­Informationen aus, erwirbt aber auch ganz einfache Waren des täglichen Bedarfs“, meint Lagos Preller. In dem Museumskiosk befinden sich vor allem kapitalismus- und kolonialis­muskritische Literatur sowie politische Souvernirs wie Figuren vom einstigen Revo­lutionshelden Simon Bolivar und Basecaps, die Bolivars Konterfei mit denen von Hugo ­Chávez, Fidel Castro und Che Guevara zusammenbringen – ein Merchandising von Ikonen vielfach gescheiterter Revolutionen.

Jetzt allerdings ist der Kiosk vor allem ein Symbol der Leere. Niemand kommt, niemand tauscht aus, weil Kultureinrichtungen geschlossen bleiben müssen. Die Ku­ra­to­r*in­nen hoffen auf eine Öffnung im Juni, in den letzten zwei Wochen der vereinbarten Ausstellungsdauer. Bis dahin sind vielleicht auch jene Arbeiten verfügbar, die gerade noch in diversen Zolllagern stecken, weil wegen der Pandemie zahlreiche Grenzen geschlossen wurden. Das Museum der Demokratie hat es aktuell so schwer wie die Demokratie wohl auch. Online verfügbar ist ein Rundgang durch die Ausstellung.

Museo de la democracia, nGBK, bis 13. Juni. Zurzeit geschlossen. Infos auf der website ngbk.de

Mittwoch, 5. Mai 2021, 19 bis 20.30 Uhr, Online-Gespräch: „Archiv im Archiv: Begegnung zwischen dem museo de la democracia und dem nGbK-Archiv“ mit Eva-Christina Meier