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Demo zum „Muttertag“ in Berlin„Ich wollte die coole, unabhängige Mutter sein“

Die Kampagne „100.000 Mütter“ streitet für echte Gleichstellung der Care-Arbeit. Drei Frauen erzählen, wie die Verhältnisse ihr Muttersein erschweren.

„Mir haben die Worte gefehlt, für das, was in mir vorging“: Paulina Czienskowski Foto: William Minke

Die internalisierte Misogynie

Paulina Czienskowski, 36, Schriftstellerin: „Für mich ist Muttersein eine konstante Überstimulation, ein durchgängiges Überschreiten meiner eigenen Grenzen, die sich weiter verschieben. Ich schlafe nachts nicht mehr wie früher und für Dinge, die mir Energie geben – soziale Interaktionen, Hobbies oder Arbeit – bleibt viel weniger Zeit. Es ist der gleichzeitige Verlust von Teilen meiner Identität, begleitet von einem Pflichtgefühl, Scham und Sprachlosigkeit. Vor allem die ersten zwei Jahre haben sich angefühlt wie ein pubertärer Zustand: Man verliert die Kontrolle über die Situation, aber man muss immer die Kontrolle bewahren, weil das Kind vollständig auf einen angewiesen ist. Es ist ein Zustand, mit dem man nicht in eine kapitalistisch organisierte Gesellschaft passt, weil man nicht leistungsfähig genug scheint für dieses System. Das ging für mich mit einem Gefühl der Mangelhaftigkeit einher.

Anfangs konnte ich meine eigenen Bedürfnisse nicht mehr benennen und habe mich nur schwer abgrenzen können, um das Erlebte zu verdauen, weil ich mich unweigerlich so vereinnahmt gefühlt habe. Mir haben auch die Worte gefehlt, für das, was in mir vorging. Mein Eindruck ist, dass es für Mütter kaum Möglichkeiten gibt, ohne Scham und Schuld über ihre Erfahrungen zu sprechen. Dass man so wenig über Mutterschaft weiß – über das, was mit dem Körper und der Psyche einer gebärenden Person passiert – ist wohl kein Zufall. Das gesellschaftliche Desinteresse am Leben von Müttern, sorgetragenden und pflegenden Personen ist zutiefst patriarchal und dient dazu die hierarchisch organisierte Kernfamilie zu erhalten.

Erst mit der Geburt meines Kindes ist mir bewusst geworden, wie groß mein Desinteresse und meine innere Ablehnung gegenüber Mutterschaft war und wieviel misogynes Denken ich verinnerlicht hatte. Ständig habe ich mich versucht von anderen Müttern abzugrenzen, wollte nicht wie sie sein, nicht so auf das Kind fixiert. Ich wollte die coole, unabhängige Mutter sein, nicht die, die sich an Regeln hält. Daraus spricht der Wille nach Emanzipation und Autonomie – aber auch internalisierte Misogynie, weil es bedeutet ein bestimmtes Bild von Weiblichkeit abzuwerten. Dahinter steckte unter anderem die Angst, ein häusliches Leben zu führen. Die Emanzipation der Frau ist natürlich etwas tolles, gleichzeitig kann sie für viele Mütter aber auch zu einer neuen Form der Erschöpfung führen und einem Gefühl, nicht genug zu sein. Neulich sagte eine Freundin zu mir, sie schäme sich laut zu sagen, dass es ihr ausreiche „einfach nur Mutter“ zu sein.

Mein Partner und ich teilen uns die Care-Arbeit fünfzig-fünfzig. Und zwar wirklich. Das ist wohl selten: Studien zeigen, dass rund 70 Prozent der Paare, die eine paritätische Aufteilung angeben, letztlich in ein Ungleichgewicht rutschen, in dem die weiblich gelesene Person mehr übernimmt. Das ist bei uns nicht der Fall, und trotzdem ist mein Körper und meine Psyche stärker gefordert als die meines Partners. Warum? Weil ich als Frau in dieser Gesellschaft lebe. An mich werden andere Erwartungen gestellt, auch meine eigenen an mich, auch wenn ich mich gegen diese Sozialisierung wehre. Es wird mit zweierlei Maß gemessen: Wenn ein Vater auf dem Spielplatz auf das Handy guckt, interessiert es keinen. Wenn eine Mutter es tut, ist sie eine schlechte Mutter.

100.000 Mütter

Die Kampagne „100.000 Mütter“ geht am Samstag, einen Tag vor dem „Muttertag“, auf die Straße, um für bessere politische und gesellschaftliche Bedingungen für Mütter zu demonstrieren. Los geht es um 12 Uhr im Monbijou-Park. Mehr Infos: hunderttausendmuetter.de/ (taz)

Meine Gedanken zu Mutterschaft habe ich in meinem Roman Dem Mond geht es gut literarisiert. Auch da sprachen anfangs Scham und internalisierte Misogynie aus mir. Ich hatte Angst, mich als Autorin zu diskreditieren, wenn ich über Mutterschaft schreibe, denn das Narrativ im Literarturbetrieb lautet: Darüber wurde schon genug geschrieben. Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki hat einmal gesagt: „Wen interessiert, was die Frau denkt, was sie fühlt, während sie menstruiert? Das ist keine Literatur – das ist ein Verbrechen.“ Die Tradition weibliches Schreiben als Befindlichkeitsprosa abzuwerten, bleibt, so etwas sickert unweigerlich ein.

Ich würde mir wünschen, dass es unter Flinta* eine nicht-patriarchale Wissensweitergabe gibt, bei der Mütter auch schambesetzte und schuldbehaftete Erfahrungen offen teilen können, ohne verurteilt zu werden. Solange es dafür keinen Raum gibt, bleibt Mutterschaft ein individuelles, subjektives Erleben und strukturell wird sich nichts ändern. Außerdem wünsche ich mir echte Aufklärungsarbeit – nicht nur für weiblich gelesene Personen–, politische und gesellschaftliche Unterstützung und echte Parität, die nicht neue Erschöpfung fordert.“

Die größere Last der Care-Arbeit

Mary Ivić, 41, Organisationsberaterin für Schulen und aktiv in bei „100.000 Mütter“:.„Ich habe mich als Mutter sehr allein gelassen gefühlt. Als ich in den Mutterschutz ging, war ich voller Vorfreude – ein ganzes Jahr nur eine Sache machen: Baby! Doch schnell habe ich Druck verspürt. Medial wird suggeriert, dass man ein Baby bekommt und sich danach vollkommen darauf konzentriert – als würden mit der Elternzeit auch alle anderen Verpflichtungen, die man neben der Arbeit hat, pausiert. Das ist nicht der Fall. Meine Mutter, die pflegebedürftig ist, brauchte mich trotzdem. Sie ist in der Zeit sehr krank geworden.

Es hat mich sehr herausgefordert, dass die Care-Arbeit nicht nur für mich und mein Kind, sondern auch für meine Mutter reichen musste. Als die Elternzeit dann vorbei war, habe ich für mein Kind keinen Kita-Platz bekommen und habe erst nach 6 Monaten schließlich eine Tagesmutter gefunden. In dieser Zeit habe ich kein Elterngeld mehr bekommen, also musste ich Geld verdienen. Das war eine extreme Doppelbelastung.

Mary Ivić: „Es wird bewertet, wie eine Mutter stillt, wann und wieviel sie arbeitet und wie das Kind betreut wird“ Foto: Stadtgören Berlin

Nach der Elternzeit habe ich wieder angefangen Vollzeit zu arbeiten. Kurze Zeit später kam Corona und der Lockdown, die meisten meiner Einnahmen sind weggebrochen und ich stand am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Ich habe dann sehr viel gearbeitet, um mir eine Nanny leisten zu können. Sie hat dann zwei Tage die Woche das Kind betreut und von der Kita abgeholt, und die anderen Tage haben mein Mann und ich uns das aufgeteilt. Für mich war das beruflich und emotional die beste Entscheidung. Aber dass ich mein Kind von einer Nanny von der Kita abholen lasse, wurde kritisch beäugt. Als es Probleme in der Kita gab, wurde mir gesagt: Vielleicht sollte er häufiger von der Mutter abgeholt werden.

Es war alles sehr anstrengend, dabei hatte ich gute Ausgangsvoraussetzungen. Mein Partner stand mir immer zur Seite, mental und finanziell. Die Care-Arbeit haben wir uns nachts immer geteilt. Er hat in der ersten Hälfte der Nacht geschlafen und ich war bei dem Kleinen, und ab 3 Uhr morgens hat er übernommen. Das ging aber nur, weil er eine coole Chefin hatte, die ihm erlaubt haben, auch viel remote zu arbeiten, und weil ich nicht abgepumpt habe. Mir war wichtig, dass mein Partner das Kind ohne mein Zutun füttern kann. Mein Mann hatte volles Verständnis dafür, darüber gab es nie eine Diskussion. Außer beim Kinderarzt. Der war sehr irritiert davon, dass ich meinem Kind nicht meine Milch gebe.

Mich stört, dass Mütter ständig für die Entscheidungen, die sie für ihr Kind treffen, bewertet werden. Das geht schon bei der Entbindung und der Frage „Wie hast du entbunden?“ los. Da schwingt immer mit: War es „natürlich“ oder nicht? Hast du es dir „einfach“ gemacht? Danach geht’s weiter: Es wird bewertet, wie eine Mutter stillt, wann und wieviel sie arbeitet und wie das Kind betreut wird.

Ich hätte mich mehr gesehen gefühlt, wenn das Thema der doppelten Carte-Arbeit von Müttern präsenter wäre – auch in der Ausgestaltung des Lebens. Man ist als Mutter häufig ziemlich isoliert. Es braucht eine radikale Veränderung struktureller Bedingungen, damit es nicht mehr überwiegend Frauen sind, die Care-Arbeit leisten. Um das zu ändern, müssen Frauen in entscheidungsrelevante Positionen kommen.“

Der Zwang zur Hetero-Kleinfamilie

Annik Freuer, 44, Leh­re­r*in und Schrift­stel­le­r*in: „Ich wollte eigentlich nie Kinder bekommen. Ich habe eine Erkrankung und hatte Sorge, sie ihnen weiterzuvererben. Und doch habe ich zwei Kinder bekommen. Warum? Weil mir mein Leben lang vermittelt wurde: die heteronormative Kleinfamilie ist das absolute Nonplusultra.

Als ich ein Kind war, habe ich gelernt, dass es nur eine Art von Familie gibt: Die cis-heteronormative. Familie wird als private Institution geframed, in der man selbstbestimmt entscheiden kann, wie man leben will. Aber das ist ein Trugschluss. Das Bild der normativen Familie wird überall reproduziert und es wird institutionell gefördert. Dieses Bild hatte ich so internalisiert, dass ich nie eine Wahlfreiheit hatte. Das macht mich rückblickend so wütend.

Also habe ich lange mit meinen zwei Kindern und meinem Partner nach dem normativen Konzept gelebt. Offiziell haben wir uns die Care-Arbeit fünfzig-fünfzig geteilt. Aber es war in der Umsetzung nie paritätisch. Der Mental Load war bei mir viel größer: ich hatte alle Arzttermine der Kinder im Kopf, ihre Kleider- und Schuhgrößen und wusste, wer wann wohin musste. Mit meinem Partner konnte ich über das Ungleichgewicht nicht sprechen, er hat es nicht verstanden. Wir haben uns viel darüber gestritten.

Es hat wahnsinnig lang gedauert, bis ich aus dieser Konstellation ausbrechen konnte. Ich bin auch deshalb geblieben, weil ich wusste, dass die Reaktionen in meinem Umfeld sehr negativ sein würden, wenn ich mich trenne. Und so war es: Dass ich nach all der Zeit endlich zu meiner Identität und sexuellen Orientierung stand, wurde nicht als Befreiungsschlag, sondern als Scheitern bewertet – allen voran durch meine Mutter.

Dabei war diese Trennung so empowernd für mich. Ich habe schon seit dem Kindesalter geahnt, dass ich lesbisch bin, aber ich habe es nie geschafft, dazu zu stehen. Mit dem Vater meiner Kinder war ich lange in einer offenen Beziehung und hatte Affären mit Frauen oder Flinta*-Personen, aber ich habe mir selbst immer eingeredet, dass ich nicht mit einer Frau zusammen sein könnte. Ich habe gar nicht gemerkt, wie stark ich mir in die Tasche lüge.

„Ich wollte eigentlich nie Kinder bekommen“: Annik Freuer Foto: privat

Erst jetzt fange ich an, mir das zu aufzubauen, was ich als familiäres Ideal empfinde. Es gibt das schöne Sprichwort „Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf“. Dieses Dorf habe ich mir jetzt ermöglicht. Drei meiner besten Freundinnen wohnen im selben Wohnhaus wie ich. Sie sind für meine Kinder da, passen auf sie auf und kochen ihnen Essen. Das ist jetzt meine Familie, mein erweitertes Dorf.

Der Vater meiner Kinder hat eine neue Partnerin. Sie wird von der Gesellschaft selbstverständlich als Elternperson angenommen, aber meine Freundinnen nicht. Warum? Ich persönlich habe mehr Vertrauen darin, dass diese engen Freun­d*in­nen­schaf­ten bestehen bleiben, als romantische Beziehungen. Noch komplizierter wird das, wenn sich Menschen entscheiden, zu viert ein Kind zu bekommen. Ich wünsche mir, dass diese starren Gerüste aufgebrochen werden.

Meinen Kindern probiere ich vorzuleben, dass es nicht nur eine Normativität gibt, sondern, dass Menschen facettenreich sind und sie sich nicht gesellschaftlichen Erwartungen anpassen müssen. Ich gehe nicht davon aus, dass meine Kinder cis-normativ oder heterosexuell sind, oder, dass sie später einmal Kinder haben werden. Mir ist wichtig ihnen zu vermitteln: Eure Identität gehört euch. Lasst euch nicht vorschreiben, wer ihr sein sollt. Das kostet sehr viel Energie, aber genau diese Haltung hätte ich mir gewünscht.“

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1 Kommentar

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  • @Paulina Czienskowski:

    Danke für diese Worte. Ich musste weinen, weil ich mich so darin wiederfinden konnte! Obwohl ich meine Kinder über alles liebe, fühl(t)e ich mich oft so einsam, ausgelaugt und falsch. Alles war nur noch reagieren, Fremdbestimmung, Anspruch - nach Außen taff, cool und - natürlich - glücklich!

    Ich glaube, es geht so vielen Müttern so - warum sind wir immernoch so hart miteinander?