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Demo zu Abtreibungsrecht in Polen„Noch ist die Polin nicht verloren!“

Knapp 200.000 Frauen demonstrieren in Warschau gegen eine geplante Verschärfung des Abtreibungsrechts. Das ist ohnehin schon restriktiv genug.

Demonstrantinnen in Warschau: „Stopp das neue Abtreibungsrecht!“ Foto: ap

Warschau taz | Immer mehr schwarz gekleidete Polinnen ziehen zum Sejm, dem polnischen Abgeordnetenhaus in Warschau an diesem Freitagnachmittag. Der Platz kann sie kaum fassen. Es müssen zehntausende sein. Viele schwenken große rote Papphände mit einem weißen Stoppzeichen.

Auch die 22jährigen Verkäuferin Joanna, die wie viele aus der Provinz angereist ist, hält eine „Stopp das neue Abtreibungsrecht!“-Hand in die Höhe. „Ich bin 400 Kilometer gefahren, um hier für meine Rechte zu kämpfen. Ich hoffe, dass die Politiker uns sehen und hören“, schreit sie gegen den ohrenbetäubenden Lärm an. „Kein Bischof, kein Politiker, kein Arzt hat das Recht, uns Frauen zur Geburt eines tot geweihten Kindes zu zwingen.“ Sie hält inne und skandiert in Anlehnung als Polens Nationalhymne und zusammen mit tausenden anderen Frauen: „Noch ist die Polin nicht verloren!“

Noch am Montag sah es so aus, als würden Polens Abgeordnete Ende dieser Woche ein verschärftes Abtreibungsrecht verabschieden. Die Parlamentskommission für „Gerechtigkeit und Menschenrechte“ hatte das Gesetzesprojekt, das die katholische Bürgerinitiative „Stoppt die Abtreibung“ mit dem ultrakonservativen Thinktank Ordo Iuris beim Sejm eingereicht hatte, positiv bewertet.

Das ohnehin überaus restriktive Abtreibungsrecht in Polen, das einen Schwangerschaftsabbruch nur bei unmittelbarer Gefahr für die Gesundheit der Mutter, bei Inzest oder nach einer Vergewaltigung erlaubt sowie bei schwerst geschädigten Föten, sollte auf die ersten beiden Indikationen beschränkt werden. Diagnosen wie ein offener Schädel oder fehlende lebensnotwendige Organe sollen künftig keinen Schwangerschaftsabbruch mehr rechtfertigen.

Übung im Protestieren

Da die nationalpopulistische Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die seit Ende 2015 mit absoluter Mehrheit regiert, Gesetze häufig innerhalb weniger Tage durch Sejm und Senat peitscht, musste der Protest sofort organisiert werden.

Polens Frauen haben darin inzwischen Übung. Schon 2016 gelang es mit einem spontan organisierten Frauenstreik, dem „Schwarzen Montag“, eine Verschärfung des Abtreibungsrechts abzuwenden. Damals protestierten Polinnen im ganzen Land gegen die geplante Verletzung ihrer Menschenrechte.

Seitdem gehen Polens Frauen immer wieder auf die Straße, demonstrieren lautstark für ihre Rechte, auch und gerade in der Provinz, dort also, wo die regierende PiS ihre Hochburgen hat.

„Das Frauen-Hass-und-Verachtungsfestival des Sejms dauert an“, ruft Marta Lempart vom „Polnischen Frauenstreik“ den Demonstrantinnen zu. „Lasst uns zur Zentrale dieses Wahnsinns gehen, der PiS-Parteizentrale in der Nowogrodzka!“

Projekt in den Müll

Inzwischen, so gibt die Stadtverwaltung von Warschau bekannt, sind über 170.000 Demonstrantinnen und Demonstranten auf Warschaus Straßen unterwegs. „Die PiS-ler“, ruft sie, „sollen das Projekt in den Mülleimer werfen und uns Frauen endlich in Ruhe lassen!“

Unterstützung haben die Polinnen nicht nur von hunderten Frauenorganisationen weltweit, sondern auch von Amnesty Inetrnational und dem Menschenrechtsbeauftragten des Europarats, Nils Muiznieks.

Dieser warnte noch am Freitag die polnische Regierung vor einer Verschärfung des Abtreibungsrechts. Eine weitere Einschränkungen des Rechts auf Schwangerschaftsabbrüche sei unvereinbar mit den Menschenrechten, zu deren Einhaltung sich auch Polen verpflichtet habe.

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9 Kommentare

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  • 4G
    4845 (Profil gelöscht)

    "Knapp 200.000 Frauen demonstrieren in Warschau gegen eine geplante Verschärfung des Abtreibungsrechts."

     

    Die knapp 200.000 Demonstranten waren mitnichten alles Frauen. Auch Männer beteilgten sich an diesem Protest. Tut nicht immer so, als verliefen die Frontlinienen zwischen den Geschlechtern. Die Frontlinien verlaufen zwischen den ideologischen Gräben und den Gräben zwischen Arm und Reich!

  • Natürlich rechtfertigen ein offener Schädel oder fehlende lebensnotwendige Organe keinen Schwangerschaftsabbruch.

    Gott kann ja jederzeit entscheiden das das Kind gesund zur Welt kommt. Immerhin geht es um das heilige Land! Karol Wojtyła will es so

  • Die polnische Entwicklung ist dramatisch für eine europäische Gesellschaft und führt uns vor Augen, was uns droht, wenn Religionen wie das Christentum oder auch der Islam wieder mehr Macht bekommen.

    Aber die Kommentare werfen auch einen Licht auf die deutsche Doppelmoral. Es wird häufig geklagt - auch in der taz - dass so viele behinderte Föten abgetrieben werden. Das wird als Feindlichkeit gegenüber Menschen mit Behinderung gesehen.

    Wer das ernst meint, muss die polnische Linie unterstützen. Es gibt die Tendenz, moralische Fragen blind zu Gunsten der vermeintlich oder real Schwächeren zu lösen. Das führt immer dann zu Konflikten, wenn es mal nicht gegen weiße alte Männer geht, sondern wenn männliche Flüchtlinge gegen weiße Frauen oder Frauen gegen Behinderte stehen. Irgendwie finden sich dann auch in diesen Situationen irgendwelche verklausulierte Lösungen. Es wird aber übersehen, dass diese Konfliktfälle nur die Symptome einer verfehlten "Moral" sind. Wer von vornherein weiß, wer gut und wer böse ist, hat eigentlich gar keine Moral. Das ist ein großes Risiko, welches z.B. die Nazis gut für sich ausgenutzt haben. Denn es reicht dann, den Leuten einzubläuen, dass bestimmte Gruppen böse sind, und es gibt kein Halten mehr. Wenn es nur gegen die "Bösen" geht und der Führer das angeordnet hat, dann passt das. Kritisch ist vor allem auch, dass sich da AfD und Mainstream kaum unterscheiden. Sicherlich haben sie unterschiedliche Ansichten, wer die "Bösen" sind. Eine menschliche und moralische Gesellschaft haben wir aber nur dann, wenn ein AfDler die Stimme für bedrängte Flüchtlinge erhebt und die linke Mitte einem bedrängten AfDler beisteht.

    Der Zweck heiligt eben nicht die Mittel, sondern die Mittel müssen unsere Demokratie, Menschlichkeit und Moral sein - und die müssen große Teile der Gesellschaft noch finden.

    • @Velofisch:

      Ja das mit Kirche und Politik ist so ne Sache... hier war mal n Wahlflyer aus dem Kreis Esslingen im Briefkasten mit den ganzen Politikern die sich hier beworben haben. Alle Parteien. Mindestens 2/3 der Leute: Kirchenvorstand, Pöstchen in dieser oder jener Gemeinde. Schaue ich mir meine Umwelt an, sind die Kirchen in den Spitzengremien der Politik klar überrepräsentiert. Und ich glaube nicht das die dann keinen Einfluß haben.

    • @Velofisch:

      Volle Zustimmung, jede Religion, egal welcher Prägung, ist nur so lange tolerant, nächstenliebend und friedlich, wie sie keine politische Macht hat. Deshalb darf der Islam nicht das werden was ev/rk schon sind und selbige müssen auf das Niveau desselben zurückgeführt werden.

    • @Velofisch:

      "Die polnische Entwicklung ist dramatisch für eine europäische Gesellschaft..."

       

      Sorry, in Österreich ist FPÖ an der Macht und in Spanien postet der mit Gummigeschossen auf friedliche Demonstranten schießende Rajoy solche Bilder: https://www.elplural.com/sites/default/files/field/image/monumento-franco-rajoy-canarias.jpg

       

      Die Union und die "westliche Wertegemeinschaft" schlucken's ohne Mühe...

      • 4G
        4845 (Profil gelöscht)
        @agerwiese:

        Nicht zuvergessen dass in Frankreich der dauerhafte Ausnahmezustand herrscht und sich das Land in einen Polizeistaat verwandelt hat... da sagt aber niemand was...

  • Der Widerstand der polnischen Frauen verdient Unterstützung. 200.000 Menschen bekommt man als Opposition nur in ernsten Situationen auf die Straße.

     

    Der Unterschied zur aktuellen Debatte in Deutschland ist in jeder Hinsicht enorm.

  • "Da die nationalpopulistische Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die seit Ende 2015 mit absoluter Mehrheit regiert, Gesetze häufig innerhalb weniger Tage durch Sejm und Senat peitscht, musste der Protest sofort organisiert werden."

     

    Dann ist es nur merkwürdig, dass ausgerechnet der PiS-Chef Kaczynski für das pro choice Projekt "Rettet Frauen" gestimmt hatte. Versenkt hatte es ausgerechnet die "liberale"Opposition, die nicht geschlossen dafür gestimmt hatte.