Demo in Hamburg: Nulltarif für Nazis
Die Grüne Jugend forderte beim Nazi-Aufmarsch in Hamburg kostenlose Bus- und Bahnfahrten für Gegner. Die Polizei spendierte nur den Rechten Freifahrten.
HAMBURG taz | Für die Proteste gegen den Neonazi-Aufmarsch in Hamburg am 2. Juni zum sogenannten „Tag der deutschen Zukunft“ hatte sich die Grüne Jugend etwas Besonderes einfallen lassen. Wenn der SPD-Senat und die Bürgerschaft schon zur Kundgebung „Hamburg bekennt Farbe“ auf den Rathausmarkt aufrufen, dann sollte die Anreise mit Bussen und Bahnen des Hamburger Verkehrsverbund (HVV) zu den Demonstrationen gegen Rechtsextremismus kostenlos sein.
So appellierte die Grüne Jugend Mitte Mai in einem offenen Brief an Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), sich beim HVV für eine unentgeltliche Beförderung von Nazigegnern in den Verkehrsmitteln einzusetzen.
Am 1. Juni bekam der grüne Nachwuchs vom Staatsrat der Verkehrsbehörde, Andreas Rieckhof, eine Antwort: „So sehr ich ihre Beweggründe und ihr Engagement begrüße, birgt ihr Vorschlag ganz erhebliche Probleme“, schrieb er. Ein Null-Tarif würde nicht nur zu Einnahmeausfällen führen, sondern auch zusätzliche Kosten und personellen Mehraufwand bei der Kundeninformation verursachen, befürchtete Rieckhof.
Es könnte Reklamationen und Rückerstattungsforderungen geben, wenn „Kunden trotz Freifahrt Fahrkarten gekauft hätten“. Ferner würden von den Freifahrten nicht nur Demonstranten gegen den Neonazi-Aufmarsch profitieren, sondern „möglicherweise auch Anhänger der rechtsextremen Szene“. Daher werde der Anregung „leider nicht gefolgt“, so Rieckhof.
Kosten werden durch die Innenbehörde getragen
Dennoch kamen tags darauf die Neonazis in den Genuss des HVV-Nulltarifs. Denn damit die Rechtsextremen den Aufstellungsplatz ihres Marsches in Wandsbek erreichten, wurden sie zu einem mit der Polizei vereinbarten Treffpunkt von drei Gelenkbussen der Hamburger Hochbahn (HHA) dorthin gekarrt. Und auch für den Abtransport stand in Hasselbrook ein Sonderzug der S-Bahn bereit, um die Rechten zum Hauptbahnhof zu fahren – ohne Ticket.
Die HHA habe der Polizei aufgrund einer entsprechenden Anforderung drei Busse „auf der Grundlage eines zivilrechtlichen Vertrages zur Verfügung gestellt“, schreibt der Senat auf eine Parlaments-Anfrage der Linkspartei. „Die hierbei entstandenen Kosten werden durch die Innenbehörde getragen.“
Ganz so freiwillig war die Leistung der HHA nicht. Als städtisches Unternehmen sei die HHA „angewiesen, wenn die Polizei Kapazitäten braucht, diese Leistung zur Verfügung zu stellen“, sagt HHA-Sprecherin Maja Weihgold. „Im Notfall werden die Busse beschlagnahmt.“
Für die Grüne Jugend ist das Verhalten des Senats absurd. „Wir wollten einen kostenlosen HVV, damit viele Hamburger die Möglichkeit haben, gegen Nazis auf die Straße zu gehen“, sagt Sprecherin Mareike Engels. „Der Senat hat aber nur für Nazis einen kostenlosen HVV organisiert.“
Dass es auch anders geht, hat die Pinneberger Verkehrsgesellschaft (PVG) beim ersten „Tag der deutschen Zukunft 2009“ bewiesen. Damals schloss das Busunternehmen sowie andere Verkehrsbetriebe mit der Gewerkschaft Ver.di eine Vereinbarung über ein Transportverbot von Neonazis ab.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana