Demo gegen Queerfeindlichkeit: Angriff auf trans Frau verstört
In Bremen ist eine 57-Jährige von Jugendlichen beleidigt und zusammengeschlagen worden. Trans Community und Stadtgesellschaft sind erschüttert.
Dicht gedrängt stehen junge und alte Menschen auf dem Platz, viele scheinen einander zu kennen. Es wird auf das Awareness-Team hingewiesen, das Besucher*innen bei Bedarf einen Safer Space anbietet, einen geschützten Raum. Eine*r der Veranstalter*innen spricht eine Triggerwarnung für die folgende Rede aus, die das Geschehene wiedergeben wird.
Die 57-Jährige saß in der Straßenbahn, als eine Gruppe von knapp 15 Jugendlichen einstieg, sie beleidigte und ihr die Perücke vom Kopf riss. Einer der Jugendlichen fing an, ihr mit beiden Fäusten ins Gesicht zu schlagen, während seine Begleiter ihn laut anfeuerten. Erst als andere Fahrgäste eingriffen, ließen die Angreifer von ihr ab, stiegen aus der Bahn und flohen. Die Frau wurde mit schweren Gesichtsverletzungen ins Krankenhaus eingeliefert, konnte dies aber inzwischen wieder verlassen.
Organisiert habe die Kundgebung ein loser Zusammenschluss aus Menschen, die sich nach den letzten queerfeindlichen Gewalttaten zusammengetan hatten, sagt Maike-Sophie Mittelstädt ins Mikrofon. Sie ist Grünen-Politikerin, Vorstandsmitglied des Vereins Trans*Recht und Sprecherin des Queerpolitischen Beirats im Land Bremen. „Die Vorfälle in der letzten Zeit sind uns einfach zu viel geworden.“
Immer wieder Übergriffe
Die Vorfälle – dazu gehört der Angriff auf eine trans Frau im Stadtteil Walle Ende Juli. Sie war zunächst von einem Auto leicht berührt worden. Anschließend stieg der Fahrer aus, beleidigte und bedrohte sie. Sie ging weiter und traf kurze Zeit später wieder auf den Fahrer, diesmal in Begleitung von zwei weiteren Männern.
Die drei Männer bespuckten und schlugen sie und fassten ihr an die Brust. Danach besprühten sie sie mit Reizgas und flüchteten. „Die Illusion von Sicherheit wurde mir nach dem Angriff in Walle genommen“, sagt Mittelstädt in ihrer Rede.
Sie zieht die Medien mit in die Verantwortung für die Gewalttaten: „Hört auf, unsere Menschenrechte zu verhandeln.“ Das führe dazu, dass Menschen sich sicher dabei fühlten, trans Personen anzugreifen. Das mache sich auch in den sozialen Medien bemerkbar, wo sich transfeindliche Kräfte verstärkt organisierten. Körperliche Angriffe hätten „gefühlt“ zugenommen. Statistiken dazu habe sie nicht, da queerfeindliche Gewalt häufig nicht angezeigt werde.
Auch in der Großsiedlung Tenever im Bremer Südosten hatte es vor einer Woche, nach dem CSD, einen Angriff auf eine junge Frau gegeben, die sich eine Regenbogenfahne umgehängt hatte. Eine Gruppe Jugendlicher beleidigte sie mehrfach homofeindlich und entriss ihr die Flagge.
„Hinter all dem stehen Hass und toxische Männlichkeit“, sagt Maja Tegeler aus dem Linke-Bundesvorstand bei der Kundgebung. Von der Bremer Polizei erwarte sie konsequente Ermittlungen.
Wie kompliziert alles geworden ist, zeigt ein Beitrag am folgenden „offenen Mikrofon“: Ein*e Redner*in berichtet von transfeindlichen Vorfällen, die ebenfalls am vergangenen Samstag passiert seien – allerdings innerhalb der queeren Szene: Der Trans*Inter*Dyke*-March sei von Terfs gestört worden, von trans-ausschließenden Radikalfeministinnen, die transfeindliche Sprüche gerufen hätten.
Eine Person sei an ihrer Trans*-Fahne gezogen und dadurch gewürgt worden. Viel zu spät habe die Polizei eingegriffen, obwohl die Veranstalter*innen im Vorfeld angekündigt hatten, dass es zu Angriffen kommen könnte.
Björn Fecker, Grünen-Fraktionschef, auf Twitter
Ein*e weitere*r Sprecher*in weist auf die Diskriminierung hin, die trans Personen zusätzlich zu der Gefahr körperlicher Angriffe erfahren: „Ich habe nicht nur Angst vor transfeindlichen Menschen, die mich auf der Straße umbringen wollen. Ich habe auch Angst vor dem Leben in einem transfeindlichen Staat.“
Sie*er müsse sich entscheiden – entweder für Sicherheit oder dafür, „ mich in meiner Genderidentität wohlzufühlen“. Viel Potenzial für Verbesserung der Situation für trans Personen sieht sie*er unter den gegebenen Verhältnissen nicht: „Es ist nicht möglich, Transfeindlichkeit in diesem System auszulöschen. Das System muss beseitigt werden.“
Auch die Mutter eines trans Mädchens erzählt von ihren Erfahrungen, die sie nach dem Coming Out ihrer Tochter machte. Zusammen mit dem queeren Zentrum Rat&Tat hat sie eine Elterngruppe für die Eltern trans* und nonbinärer Kinder gegründet. Sie erzählt, dass sie nach den Vorfällen Angst um ihre Tochter habe.
Einem Antrag, der queere Menschen besser vor Hasskriminalität schützen soll haben in der Bremischen Bürgerschaft 2021 alle Fraktionen bis auf die AfD-Splitter zugestimmt.
Ab 2021 sollen die Daten „zur politisch motivierten Kriminalität nach dem Vorbild Berlins veröffentlicht und dabei queerfeindliche Straf- und Gewalttaten“ gesondert ausgewiesen werden.
Nur auf Nachfrage gibt es diese derzeit beim Innensenator: 2021 waren es 18 Straftaten, ein Jahr zuvor 19 und davor 11. Dazu zählen Körperverletzungen, Beleidigungen, aber auch etwa das Verbrennen einer Regenbogenflagge. Laut Innenressort ist das Dunkelfeld größer.
Deshalb soll der Senat ein Konzept erarbeiten, „um Menschen, die Opfer oder Augenzeugin/Augenzeuge von Straftaten gegen queere Menschen geworden sind, dazu ermutigen, Anzeige zu erstatten und auch den queerfeindlichen Hintergrund zu benennen“.
Mittelstädt ruft die Teilnehemenden dazu auf, nicht alleine nach Hause zu gehen. „Wir sind nicht sicher, wenn wir alleine sind“, sagt sie. Viele bleiben noch da. Sie stehen in kleinen Gruppen auf dem Platz und unterhalten sich. Es ist spürbar, wie notwendig es für sie ist, nicht alleine mit ihrer Wut und ihrer Trauer zu sein. Besonders nach dem tödlichen Angriff auf den trans Mann Malte C. in Münster sei ihnen die Unterstützung der Community wichtig. „Ich wünsche mir einen kollektiven Umgang mit der Situation und keine Vereinzelung“, sagt Marli.
Besonders schockiert zeigen sich viele Besucher*innen, dass die Täter so jung waren. Eine Lehrerin berichtet, dass auch sie in der Schule häufig Transfeindlichkeit mitbekomme und etwas dagegen tun möchte.
„Es ist nicht hinnehmbar, dass Menschen wegen ihrer geschlechtlichen Identität um ihr Leben fürchten müssen“, teilte Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne) mit. „Ich hoffe, dass der Schläger und diejenigen, die ihn ermutigt haben, schnell gefasst werden.“
Die Landesfrauenbeauftragte Bettina Wilhelm erinnerte daran, dass Angriffe gegen queere Menschen „Angriffe auf die Demokratie und auf unsere freie Gesellschaft“ seien. Bremen habe bisher als sicherer Ort für queere Menschen gegolten. „Damit dies so bleibt, müssen wir zusammenstehen und für unser offenes Miteinander eintreten.“
Bremen galt als sicher
Dass die Gewalttat viele in Bremen besonders erschüttert, weil die Stadt bisher als relativ sicher galt, wird auch aus Äußerungen in sozialen Medien deutlich. „Der Angriff macht klar, dass auch in unserer liberalen Stadt längst nicht alles gut ist“, schrieb etwa der Grüne Fraktionsvorsitzende Björn Fecker auf Twitter.
Linke, SPD, FDP und CDU nannten die Tat „widerlich“, „feige“, „scheußlich“ und „abscheulich“. Parlamentspräsident Frank Imhoff (CDU) twitterte: „Die Jugendgruppe, die für diese gewaltsame Hetzjagd verantwortlich ist, verdient eine starke Antwort unseres Rechtsstaats.“
Die grüne Mobilitätssenatorin Maike Schaefer kündigte mehr Sicherheit in Bussen und Bahnen an. „Denn im ÖPNV beobachten wir, dass es vermehrt zu verbalen und körperlichen Attacken kommt – sowohl zwischen einzelnen Fahrgästen als auch von Fahrgästen gegenüber dem BSAG-Personal.“ Das sei „nicht hinnehmbar – alle Menschen sollen sich in Bremen sicher fühlen!“
In einer früheren Version dieses Textes hatten wir geschrieben, die CDU habe sich bis zum Nachmittag nicht geäußert. Tatsächlich hat die Bremer CDU die Tat am frühen Nachmittag in einer Pressemitteilung verurteilt.
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