Demo der Religionskritiker: Der gekreuzte Penis
Die Religionskritiker demonstrieren auf dem Kirchentag in München für ein Leben ohne Kirche. Und sparen dabei weder an sachlicher noch an polemischer Kritik.
MÜNCHEN taz | Es sollte ein „Heidenspaß“ werden, ein Beweis, dass ein „fröhliches Leben“ unabhängig von Religion und Kirche möglich ist. Doch die „Frohe Prozession“, zu der Atheisten, Konfessionslose und Kirchenkritiker anlässlich des Kirchentags aufgerufen haben, ist vom Thema Missbrauch dominiert.
Viele der Demonstranten, die auf dem Geschwister-Scholl-Platz auf den Beginn der Demo warten, tragen T-Shirts mit der Aufschrift „Ehemalige Heimkinder“. „Fast alle von uns wurden als Kinder missbraucht“, sagt Peter Dinkel, der sich dem Verein Ehemaliger Heimkinder angeschlossen hat. Er selbst mehr als zehn Jahre.
„Da war alles dabei“, sagt er: „Kinderzwangsarbeit, Prügelstrafe, als Bettnässer wurde ich bestraft, indem ich mitten in der Nacht kopfüber in eine Kloschüssel gesteckt wurde.“ War das in einer katholischen Einrichtung? „Ja.“ Doch schon ruft ein anderer Betroffener: „Bei mir war es eine evangelische. Sexueller Missbrauch. Das gab es auch dort.“ Dinkel fühlt sich wohl bei den Kirchenkritikern, obwohl er sich immer noch als religiös bezeichnen würde. „Dieser aufmüpfige Widerstand gefällt mir“, sagt er. Und er habe immernoch den Eindruck, dass kirchliche Vertreter die Missbrauchsfälle als Einzelfälle abtun wolle.
Mit dem Start des Demo-Zuges, in dem rund 200 Menschen mitlaufen, setzt sich auch die „Prügelnonne“ in Bewegung. Die drei Meter hohe Figur aus Pappmasché hält in der einen Hand ein Kruzifix, in der anderen einen Rohrstock. Während die gigantische Nonne vom bekannten Künstler Jacques Tilly stammt, wurde ein anderes Kunstwerk, das über den Köpfen der Demonstranten zu sehen ist, von einem bayrischen Künstler erstellt, der anonym bleiben möchte: ein überdimensionaler Penis in Form eines Kreuzes.
Plakate fordern: „Nie wieder Missbrauch“, „Weg mit dem Moralmonopol“ und „Nie wieder schwarze Pädagogik“. Manche demonstrieren auch einfach gegen Krieg oder Nazis. Andere wiederum greifen Gläubige direkt an, etwa mit Sprüchen wie „Glaube ist heilbar“.
Die Veranstalter vom Bund für Geistesfreiheit (BfG) haben nichts dagegen, dass der Demo-Zug vom Thema Missbrauch bestimmt wird. „Aber unser Hauptanliegen ist die Trennung von Staat und Kirche“, sagt die Vorsitzende, Assunta Tammelleo. Glaube solle Privatsache sein.
Wie weitreichend der BfG diese Regel aber gerne umgesetzt hätte, wird auch an einem Manifest zum Kirchentag deutlich, das während der Demo verteilt wird. Darin wird gefordert, dass sowohl der Religionsunterricht als auch kirchliche Feiertage vollständig abgeschafft werden. Die „Zwangstaufe“ solle als „Form der spirituellen Vergewaltigung“ unter Strafe gestellt werden. Religiöse Betätigung soll nach dem Willen der Verfasser nur noch in Vereinen stattfinden, die allerdings „zum Schutz der Jugend vor Verführung“ nur Volljährigen offen stehen sollen.
In der Demo-Ankündigung hieß es im Hinblick auf das Christentum: „2000 Jahre Verdummung und Bevormundung sind genug“. Die Rede ist von „klerikalem Muff“ und „weihrauchvernebelter Doppelmoral“. Tammelleo betont, man wolle niemanden missionieren und auch niemanden in seinem Glauben angreifen. Dass manche aus dem Spektrum das doch täten, stimme natürlich. Man dürfe dabei nicht vergessen, dass viele Menschen unter einem „Glaubenszwang“ gelitten hätten.
Michael Wladarsch aus dem Vorstand des BfG wiederum meint, es sei einfach wichtig, dass Diskussionen entstehen. Er gibt zu Bedenken, dass man mit den Anliegen des BfG mit sanften Dialogangeboten nicht weit komme. Zudem begreife er auch eine Provokation als Gesprächsangebot.
Einige jugendliche Freiwillige des Kirchentags, die den Demo-Zug beobachten, haben geteilte Meinungen darüber. „Das geht ja mal gar nicht“, sagt eine Jugendliche. „Wieso, ist doch Geschmacksache“, urteilt ihr Bekannter.
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