: Dem großen Ziel entgegen
Die deutschen Handballer überstehen die EM-Vorrunde in Schweden ohne Niederlage und versuchen nun, ihr eigentliches Vorhaben umzusetzen. Dieses heißt nach wie vor: Gewinn einer Medaille
aus Jönköping ANKE BARNKOTHE
Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erleben. Was für Kurt Tucholsky, dem in Schweden wohl bekanntesten Deutschen, auf Schloss Gripsholm und anderswo bereits im vorigen Jahrhundert galt, erfuhren auch die deutschen Handballer, und zwar schon zum Auftakt der Europameisterschaft in Jönköping: Hatten sich Kretzschmar und Kollegen bei der Mission Medaillengewinn bereits im Vorfeld darauf eingestellt, dass die Vorrunde mit Weltmeister Frankreich, Jugoslawien und Kroatien kein Zuckerschlecken würde, wähnten sie sich doch zumindest, was die Unterstützung der Zuschauer anging, in Sicherheit. Doch das war weit gefehlt! Zwar hegten die rund 2.500 schwedischen, vor allem aber die über das Wochenende angereisten gut 150 deutschen Fans große Sympathien für die Bundesligakollegen der heimischen Superstars Wislander, Lövgren und Olsson. Der größere, vor allem der lautstärkere Teil der Anhänger in der 6.000 Zuschauer fassenden und an allen drei Vorrundenspieltagen ausverkauften Kinnarps Arena jubelte aber serbokroatisch.
Die in Jönköping lebenden und ansonsten bestens miteinander auskommenden ehemaligen Bürgerkriegsflüchtlinge dividierten sich für die EM-Spiele zu gleichen Teilen in einen kroatischen und einen serbischen Block und verwandelten das Hallenrund insbesondere zum ersten Gruppenspiel zwischen Kroatien und Jugoslawien (22:34) in ein Tollhaus. Und auch später gegen Deutschland und Frankreich verschafften sie ihren Teams jeweils eine brodelnde Heimspielatmosphäre.
Da war es für die Mannschaft von Bundestrainer Heiner Brand fast schon ein Glücksfall, dass es zum Auftakt gegen Frankreich ging, den Weltmeister, und in dieser Partie in aller Ruhe in einer von überaus starken Abwehrreihen geprägten Partie ein 15:15 herausgespielt werden konnte. Ein Ergebnis, mit dem Brand durchaus zufrieden war, wenngleich die Deutschen zunächst die im Vorfeld viel beschworene Siegermentalität erneut vermissen ließen. Dies änderte sich, trotz der gegnerischen Fans, an den beiden folgenden Spieltagen sowohl gegen Kroatien (26:21) als auch gegen Jugoslawien (27:21), was das DHB-Team als verdienter Gruppensieger in die Zwischenrunde nach Västeras einziehen ließ, die für die Brand-Mannen mit dem heutigen Spiel gegen Spanien beginnt.
Obwohl die Vorrunde und mit ihr die erste Hürde bei dieser EM von den deutschen Handballern souverän genommen wurde, fällt das Zwischenfazit des Trainers eher gemäßigt aus: „Wir haben unser erstes Ziel erreicht, nämlich den Einzug in die Hauptrunde“, sagt der Mann mit dem Seehundschnauzer gewohnt unspektakulär. Das sei zwar gut so, ebenso wie die Tatsache, dass die Deutschen drei ihrer fünf Pluspunkte in die Zwischenrunde mitnehmen, biete letztendlich aber „nur eine kurzfristige Entspannung“. „Jetzt liegen drei schwere Aufgaben vor uns und wir können da nur von Spiel zu Spiel denken“, sprach Brand, gab aber immerhin zu: „Ein bisschen Selbstvertrauen können wir schon mitnehmen.“
Und ganz bestimmt auch gut gebrauchen. Denn will die deutsche Mannschaft tatsächlich zu den Finals nach Stockholm, darf sie sich auch im weiteren Turnierverlauf keine größere Schwäche leisten. Schon heute geht es gegen Spanien, ein Team, das den Deutschen noch nie sonderlich lag, man denke da nur zurück an Olympia in Sydney, wo die Iberer mehr oder weniger in letzter Sekunde zum Stolperstein im Viertelfinale wurden und bereits blühendste Medaillenträume zunichte machten. Morgen geht es dann gegen Slowenien, einen Tag später, zum Ende der Zwischenrunde, schließlich gegen Island, gegen das sich die Deutschen noch 14 Tage vor der EM zwei Testspielniederlagen eingehandelt hatten.
Doch daran mag im Moment niemand mehr denken, zu gut ist die Stimmung im deutschen Team, ohne dabei gleich überzuschäumen, dafür sorgt schon Brand persönlich. „Wir haben noch Probleme im Angriff“, bemängelt der Bundestrainer. Geht es nach seinen Mannen, werden auch die noch abgestellt: „Unser großes Ziel ist es, eine Medaille zu gewinnen“, sagt etwa Daniel Stephan, und Christian Schwarzer, der Mann vom Kreis, kann ihm da nur beipflichten: „Bei diesem Turnier ist alles möglich.“
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