piwik no script img

■ Dem Weltklimagipfel von Kioto geht ein zweifelhafter Ruf voraus: Er könnte als die härteste Pokerrunde mit den denkbar geringsten Erfolgen in die Geschichte der Umweltkonferenzen eingehen. Zur Debatte steht nicht nur die Reduzierung der Treibhausgase, sondern auch die Kontrolle der Maßnahmen Von Matthias UrbachEin globales Anliegen und nationale Interessen

Die Vorarbeiten für den Weltgipfel von Kioto haben lange genug gedauert, von der ersten unverbindlichen Rahmenkonvention, die 1992 in Rio de Janeiro verabschiedet wurde, über die Klimakonferenz in Berlin, drei Jahre später. Jetzt endlich sollen die rund 170 Vertragsstaaten ein verbindliches Protokoll unterzeichnen.

Doch noch streiten sich die EU mit den USA darüber, wie stark der Ausstoß an Treibhausgasen gedrosselt werden soll. Umweltschützer kritisieren die Vielzahl der Schlupflöcher, die sie in den beiden Vertragsvorschlägen ausgemacht haben.

Die USA bleiben ihrer Rolle des Bösewichts und Bremsers treu. Nicht müde werdend, betonen Sprecher des Weißen Hauses und des Außenministeriums immer wieder, daß das von Präsident Bill Clinton vorgeschlagene Klimaschutzziel für die Verhandlungen in Kioto eben nicht verhandelbar sei: keine Reduktionen vor 2010.

Bis zu diesem Datum sollen die Industriestaaten ihren Ausstoß klimaschädlicher Gase lediglich stabilisieren. Auf der anderen Seite steht die EU als ewiger Vorreiter unter den Wirtschaftsmächten: Sie fordert eine Minderung um 15 Prozent bis 2010 gegenüber dem Bezugsjahr 1990. Dazwischen steht der Gastgeber Japan, dessen Vorschlag liegt bei minus fünf Prozent bis 2010, bedeutet aufgrund von Ausnahmeregeln praktisch aber nur minus ein bis drei Prozent, und liegt somit deutlich näher an dem der USA. Doch hinter den Kulissen zeichnet sich momentan eine Annährung der Japaner an die EU ab.

Zwar hat sich Kanada vor zwei Wochen dem US-Vorschlag angeschlossen, doch die USA stehen nach wie vor recht einsam auf dem Verhandlungsparkett. Hinter dem EU-Vorschlag stehen dagegen mittlerweile 150 Länder, seit sich mehrere osteuropäische Staaten und die Gruppe der Entwicklungsländer (G77) diesem Vorschlag angeschlossen haben. Dazu gehören China, Brasilien, Taiwan oder Malaysia und sogar die erdölexportierenden Länder wie Saudi-Arabien oder Kuwait (Opec). Doch ein Klimaprotokoll wird nicht nach Mehrheiten beschlossen, sondern im Konsens, in Richtung des kleinsten gemeinsamen Nenners. Klar ist auch, daß die USA einbezogen werden müssen, schließlich wird dort ein Füntel (22 Prozent) der weltweiten Kohlendioxid-Emission in die Atmosphäre geblasen. So steht zu erwarten, daß ein Kompromiß in Kioto der zögerlichen US-Position stark ähneln wird.

Ohne Zweifel hätten die USA für jeden Reduktionsbeschluß mehr zu tun als die EU. Denn schon bis 1996 verzeichnen die Amerikaner einen Zuwachs des Ausstoßes um sieben Prozent gegenüber dem Basisjahr 1990, bis 2000 werden es, wenn keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden, 13 Prozent sein. Die EU steuert für 2000 dagegen auf eine Stabilisierung ihres Ausstoßes zu, wie bereits in Rio beschlossen.

Auch Präsident Clinton hatte zu seinem Amtsantritt angekündigt, eine Stabilisierung bis 2000 erreichen zu wollen. Die Umsetzung scheiterte aber – auch am Widerstand in Kongreß und Industrie. Wie sehr die Angst um wirtschaftliche Vormacht die US-Position beeinflußt, illustriert ein Beschluß des US-Senats, der das Klimaprotokoll nach Kioto mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit ratifizieren muß. Der verlangte einstimmig von Präsident Clinton, ein Protokoll müsse auch den Entwicklungsländern konkreten Klimaschutz abverlangen. Nach der in Rio beschlossenen Klima-Rahmenkonvention, die Grundlage für den Kiotoer Gipfel ist, wären die Länder der Dritten Welt zunächst von konkreten Zielen ausgenommen. Ein Blick auf die Pro-Kopf-Emission an Kohlendioxid zeigt, warum: Statistisch gesehen verfeuert ein US-Bürger so viel Benzin, Kohle und Gas, daß dabei 19 Tonnen Schadstoffe pro Jahr frei werden, in Deutschland sind es elf, in Indien etwa wird dagegen weniger als eine Tonne pro Kopf im Jahr ausgeblasen, in Brasilien 1,4 und in China 2,3 Tonnen. Ein entsprechender Beschluß in Kioto würde der US-Industrie gewaltige Kosten aufbürden und sie gegenüber Ländern wie China ins Hintertreffen bringen, behaupteten Industrielobbyisten.

Doch die allgemeine Debatte über Reduktionsziele trügt. Sie verstellt den Blick auf ein wesentliches Problem der Verhandlungen: Wie vermeidet man allzu große Schlupflöcher? Gleich vier öffnen sich unter dem genaueren Blick auf die Protokollvorschläge: die berücksichtigte Zahl der Treibhausgase, der Handel mit Verschmutzungslizenzen, der Netz-Ansatz, und die Ausklammerung der Emissionen von Frachtschiffen und Flugzeugen.

G Insgesamt vier Gruppen von Treibhausgasen werden unterschieden: Kohlendioxid, Methan und Lachgas, sowie Fluorkohlenwasserstoffe (FKW). Die ersten drei sind die zur Zeit wichtigsten Treibhausgase, doch die FKW erfahren als Ersatzstoffe für die verbotenen Ozonkiller aus der Familie der FCKWs einen rasanten Produktionszuwachs. Einer behördlichen Studie aus den Niederlanden zufolge werden sie bis 2010 so stark zunehmen, das es einem weltweiten Anstieg des Kohlendioxids um zehn Prozent entspricht. Die USA wollen die FKWs ins Protokoll einbeziehen, die EU und Japan nicht.

G Falls einzelne Staaten mehr reduzieren, als sie nach einem Protokoll müssen, sollen sie die Differenz an andere Länder als Verschmutzungslizenz verkaufen dürfen. Das schlagen die USA vor. Vor allem Rußland, das durch den Zusammenbruch seiner Industrie zur Zeit dreißig Prozent weniger Treibhausgase ausbläst als im Bezugsjahr 1990, wird vermutlich genug Spielraum überbehalten, den es an die USA verkaufen könnte.

G Neuseeland möchte gegen die Industrieabgase, die Bindung von Kohlenstoff durch Aufforstung gegenrechnen, der sogenannte Netz-Ansatz. Umweltschützer bemängeln, daß es keine Garantie gibt, daß der Wald nicht wieder gerodet wird oder abbrennt, wie jüngst in Indonesien.

G Schließlich gibt es immer noch keinen Vorschlag, wie der internationale Fracht- und Flugverkehr miteinbezogen werden kann. Das macht noch mal fünf bis zehn Prozent aus, die man von den Minderungszielen faktisch abziehen muß.

Berücksichtigt man die ersten drei Schlupflöcher und rechnet sie in die Minderungsziele von EU, Japan und die USA ein, ändern sich die Werte drastisch: Das Minderungsziel der EU schrumpelt wegen der FKWs von minus 15 auf minus fünf zusammen, der japanische Vorschlag entspricht faktisch plus sieben Prozent und der US-Vorschlag bedeutet zwölf Prozent mehr Klimakiller als 1990. Nimmt man den Schiffs- und Flugverkehr hinzu, den keine der drei Parteien regulieren will, bringt auch der EU-Vorschlag keine wirkliche Minderung.

So ist den Umwelt- und Dritte-Welt- Gruppen vor allem daran gelegen, diese Löcher im Protokoll zu stopfen. „Reduktionsziele sind in den kommenden Jahren durchaus noch zu verschärfen“, sagt etwa Sascha Müller-Kraenner, Klimaexperte des Deutschen Naturschutzringes (DNR). Auch Bundesumweltministerin Angela Merkel kann sich angesichts der Fülle der Vorschläge und der verhärteten Fronten des Eindrucks nicht erwehren, daß dies „die kompliziertesten Umweltverhandlungen werden, die je geführt wurden“.

Noch schwieriger gestaltet sich die Frage der Kontrolle. Dazu gibt es bislang noch keine Beschlußvorlage. Viel mehr als ein Auftrag an den nächsten Klimagipfel wird kaum zu erzielen sein. Allein die G77 hat einen Straffonds für Industrieländer vorgeschlagen, die ihren Verpflichtungen nicht nachkommen. Daraus könnten etwa Klimaschutzinvestitionen in den Entwicklungsländern finanziert werden. Erstaunlich ist, daß die Entwicklungsländer als einzige noch ein Ziel für 2020 formulieren: minus 35 Prozent. Das liegt nicht nur an den vielen Inselstaaten unter den G77, die ein Ansteigen des Wasserspiegels fürchten, sondern auch daran, daß viele dieser Länder hoffen, daß durch Klimaschutzmaßnahmen in Zusammenarbeit mit den Industrieländern auch wieder mehr Geld und Know-how in ihre Länder kommt.

Direkt ans Portemonnaie der Industrieländer wollen die Opec-Länder. Sie würden den G77-Beschluß nur mittragen, falls auch ein Entschädigungsfonds für sie eingerichtet werde. Daraus wollen sie sich ihre Einnahmeeinbußen erstatten lassen, wenn künftig weniger Erdöl verbraucht wird. Das erklärt, warum sich die Opec überhaupt dem für sie ungünstigen EU- Ziel anschloß. Der Vorschlag hat allerdings keine großen Chancen in Kioto.s

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen