Dekadenz und Nachhaltigkeit: Das Märchen vom massierten Stör
Mit der Verheißung ökologisch-verträglichen Kaviars hat eine Meeresbiologin erst für Furore, jetzt aber für Betrugsermittlungen gesorgt.
Gewerbegebiet Loxstedt-Siedewurth, am Stadtrand von Bremerhaven. Hier stand noch im vergangenen Jahr jene Fischfarm von Vivace Caviar, in der das viel gepriesene Wunder stattfinden sollte. Hier wollten sie „Luxus, Tierschutz und Forschergeist“ miteinander vereinen, wie die Frankfurter Allgemeine schrieb, die Dekadenz mit dem guten Gewissen. Edelster Kaviar sollte hier geerntet werden, also die Eier des Störs – ohne dass der urzeitliche, vom Aussterben bedrohte Fisch dafür sterben muss.
„Das war bis vor kurzem nicht denkbar“, behauptete die Firma, eine Ausgründung des renommierten Alfred-Wegener-Instituts (AWI) in Bremerhaven. Zwar ist es seit 2008 strikt verboten, Stör in freier Wildbahn zu fangen. Doch in den Aquakulturen dieser Welt wird der Fisch in aller Regel geschlachtet, um seine Eier zu ernten. Angela Köhler, Meeresbiologin und AWI-Professorin, trat an, das zu ändern. Die Land&Meer brachte ihre Idee deshalb auf die schöne Formel „Massage statt Mord“. Die taz kürte sie zur „Stör-Freundin“. Heute möchte Frau Köhler der Presse nichts mehr sagen.
2014 war das noch anders, damals widmete die ARD ihr eine Exklusiv-Reportage. Man müsse den Fisch nur massieren, hieß es da, während der Stör auf dem Trocknen lag, dann könne man die Eier einfach „abstreifen“. Und nachher, so wurde im Fernsehen berichtet, sei der Fisch „putzmunter“. Und das Beste, behauptete die Firmen-PR: „Die Qualität und Größe des Kaviars steigen mit jeder Ernte.“ Dazu muss man wissen, dass der Stör sehr alt wird, aber viele Jahre braucht, ehe er überhaupt das erste Mal laicht. „Die Idee des Artenschutzes ist die Basis des Ganzen“, sagte Köhler der ARD. Dass Vivace Caviar seine Störe mit Hormonen behandelte, die in Deutschland gar nicht zugelassen sind, wie Der Spiegel später berichten sollte, das sagte sie nicht.
Dabei war das alles ihre Idee: Angela Köhler hat sogar ein Patent darauf, in fast 100 Ländern in der Welt, bezahlt vom AWI. Die Firma Vivace Caviar, die es weltexklusiv nutzen durfte, ist seit Sommer insolvent.
Warum? Im Weser-Kurier schob Geschäftsführer Thomas Bauer die Schuld auf die Konkurrenz aus China und einen Investor aus der Schweiz, das Family Office Wecken & Cie. Dort sah man Vivace Caviar zunächst als „nachhaltige Investition“. Und legt Wert auf die Feststellung, dass man sich nicht einfach zurückgezogen, sondern nur seine Beteiligung „nicht erhöht“ hat, als Umsätze und Kosten „in keinem Verhältnis“ mehr zueinander standen.
Aus guten Gründen: Der Vivace Caviar war auf ganzer Linie „miserabel“, sagt ein Kaviar-Experte der taz. „Ungenießbar“ sei das Produkt gewesen, ja: „eine Frechheit“. Und: Von Anfang an sei klar gewesen, dass das mit Vivace Caviar „nicht funktioniert“. Warum? „Einen Stör kann man nicht einfach abstreifen“, sagt der Branchenkenner, jedenfalls nicht nur mit sanfter Massage, ohne Hormone. „An der Sache ist nichts ethisch korrekt“, so der Kaviar-Händler. Er spricht von „Tierquälerei“.
Rolf Bos, Koch und Kaviar-Händler
Die Insolvenz hinterließ neben mehreren Arbeitslosen zehn Millionen Euro an Schulden, bestätigt Insolvenzverwalter Edgar Grönda. Er geht davon aus, dass aus dem Vermögen der Firma nur etwa eine Million wiederzuholen sein wird. Zwar ist lebender Stör sehr teuer. Da aber die kommerzielle Produktion bei Vivace Caviar ob der Hormone offiziell als „Tierversuch“ lief, können die Fische nur noch als billige Futtermittel oder als Beimengung kosmetischer Produkte verscherbelt werden.
Und das trifft nicht nur Investoren, sondern auch die öffentliche Hand, die Vivace Caviar noch kurz vor der Insolvenz mit fast 670.000 Euro förderte. Bewilligt hat das Geld das niedersächsische Landwirtschaftsministerium. Nun erstattete es Anzeige gegen Bauer – wegen Subventionsbetrugs. Das ist nicht das einzige Verfahren: Die Staatsanwaltschaft Stade bestätigte, dass sie gegen Bauer auch wegen des Vorenthaltung und Veruntreuung von Arbeitsentgelt ermittelt.
Schon einmal war eine Firma mit der Vision angetreten, nachhaltigen Kaviar zu produzieren: Die Firma Caviar Creator aus dem vorpommerschen Demmin. Sie versprach den Anlegern zudem zweistellige Renditen, mehrere hundert Tonnen Kaviar sollten jährlich hergestellt werden. 2010 wurde der Firmenchef wegen millionenschweren Kapitalanlagebetrugs zu drei Jahren und acht Monaten Haft verurteilt.
Ralf Bos gehört mit zu jenen, die den Vivace Caviar als erste gegessen haben. Der Koch und Delikatessenhändler gehört zu den großen Playern der Branche. „Das Zeug schmeckte mies“, sagt Bos, und dass er es „nie“ hätte im Sortiment führen wollen. „Mir war vollkommen klar, dass sich dieses Produkt nicht verkaufen lässt.“
Und das will etwas heißen: Der Markt für Kaviar ist klein – die produzierte Menge wächst, der Preis verfällt damit. 2014 wurden weltweit 240 Tonnen Zuchtkaviar produziert, der Großteil kommt aus China. Bis 2019 soll laut Prognosen doppelt so viel Kaviar geerntet werden. Doch der Preis fällt derzeit pro Jahr um etwa zehn Prozent. Bos zufolge kostet das Kilo Kaviar für die Gastronomie heute gut 500 Euro, bei „sensationeller Qualität“ können es auch 800 Euro sein. 2004 habe der Preis noch bei 4.000 Euro gelegen.
Üblicherweise wird solcher Kaviar aus unreifen Eiern gewonnen, weil die schwarzen Kügelchen dann fester sind. Jene von Vivace aber waren ovuliert, also: bereit zur Befruchtung. „Das sieht aus wie Gelee, das man mit der Gabel durchgerührt hat“, sagt Bos. „Anschließend wird es mit Hilfe der Molekularküche wieder in Kugeln geformt.“ Für Rolf Bos war Vivace Caviar schon „mit dem ersten Löffel gestorben“.
Auch für Bos war schnell klar, dass der Kaviar aus Loxstedt-Siedewurth nicht so innovativ und ethisch korrekt war, wie allgemein behauptet und berichtet. „Fantasiegeschichten“ hätte Frau Köhler ihm da erzählt, sagt er, und dass die Leute bei Vivace Caviar „nicht ehrlich“ gewesen seien. Weil: Die Sache mit dem ovulierten Kaviar sei ja keineswegs neu. Sondern „ein alter Hut“, in Russland jedenfalls – und habe sich am Markt „nie durchgesetzt“. Warum? „Es schmeckt nicht.“ Und das Verfahren von Vivace sei „auch nicht besonders nett fürs Tier“, sagt Bos. „Es ist eine Illusion zu glauben, kulinarisch wertvollen Kaviar produzieren zu können, ohne dass der Stör stirbt. Vom lebenden Tier kann man nur die eher ungenießbaren ovulierten Eier ernten.“
Das AWI ist dennoch „weiterhin von dem hohen Potential des patentierten Verfahrens und seiner technischen Realisierbarkeit überzeugt“, erklärt ein Institutssprecher. „Erste Kontakte mit neuen Interessenten bestätigen uns in dieser Einschätzung.“ Das AWI geht davon aus, sein Patent künftig erfolgreicher lizenzieren zu können. Was es gekostet hat, will das Forschungsinstitut „aus wettbewerblichen Gründen“ nicht sagen. Ein von der taz befragter Patent-Anwalt geht davon aus, dass neben den amtlichen Gebühren von rund 3.000 Euro und den Kosten für den Patent-Anwalt – „vielleicht irgendwo im Bereich von 3.000 bis 10.000 Euro“ – nochmals Kosten „im unteren bis mittleren fünfstelligen Bereich“ entstanden sind für die Patente in anderen Ländern.
Zwar meldete der Schweizer Tagesanzeiger jüngst, die Firma „Kasperskian Caviar“ habe 2013 für 1,75 Millionen Schweizer Franken eine „Exklusivlizenz“ für ein in Russland registriertes Patent erworben. Für ein Verfahren, das dem von Angela Köhler ähnelt. Auch hier sollen die Fische nicht mehr getötet werden, um an die begehrten Eier zu gelangen. Hinter der neuen Firma stehen laut dem Tagesanzeiger der Nestlé-Verwaltungsratspräsident und ein russischer Geschäftsmann. Das AWI dementiert, dass „Kasperskian Caviar“ sein Patent gekauft hat. „Wir haben bisher noch keine weiteren Lizenzen vergeben“, sagt der AWI-Sprecher. Die Suche nach Abnehmern geht weiter.
Branchenkenner bezweifeln, dass das AWI dabei Erfolg haben wird. Derweil zieht die Pleite von Vivace Caviar weitere Kreise: Der Bund der Steuerzahler will den Fall in sein Schwarzbuch aufnehmen: „Unternehmen in Schwierigkeiten dürfen grundsätzlich nicht in den Genuss von Fördermitteln kommen.“
Die CDU im niedersächsischen Landtag hat den Landesrechnungshof eingeschaltet. „Sollte diese Prüfung ergeben, dass die Wirtschaftlichkeit absehbar nicht erreicht werden konnte“, hätte der grüne Landwirtschaftsminister Christian Meyer „nicht nur einen umstrittenen Tierversuch gefördert, sondern auch fahrlässig Steuergelder verbrannt“, sagt die CDU.
Bei Amazon ist der Vivace Caviar übrigens noch zu haben: 50 Gramm für 107,25 Euro.
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