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Debütalbum von Sofia KourtesisJahreszeit der Hoffnung

Less perfection, more corazon: Die Berliner Peruanerin Sofia Kourtesis liefert mit ihrem elektronischen Popalbum „Madres“ den Konsenssound zur Zeit.

Inmitten von Geröll: Sofia Kourtesis Foto: Dan Medhurst

Eigentlich, so erklärte Sofia Kourtesis, sei sie vor allem „frustrierte Filmemacherin“ – was erstaunt, schließlich ist der Interviewanlass ihr Soloalbum „Madres“: zehn Tracks mit housigem elektronischem Pop, flirrend und atmosphärisch abwechslungsreich.

Nach vier EPs gab es für dieses Langstreckendebüt reichlich Vorschusslorbeeren: von Party People ebenso wie von jenen, die Kourtesis’ Sound unter Kopfhörern wirken lassen. Denn die aus Peru stammende, in Berlin lebende Künstlerin kann mehr als pumpende Beats.

Nicht alles auf dem Album klingt wie „Si Te Portas Bonito“, die Vorabsingle mit balearischem Vibe. Es gibt sprödere Soundskizzen, die sich peu à peu aufblättern. Im anfangs leicht köchelnden, dann treibenden „El Carmen“ etwa poppt das Straßenleben des gleichnamigen Orts südlich von Lima auf. Dort ist die afro­peruanische Community zu Hause, Kourtesis liebt den Vibe dieser vielseitigen Community.

Die viel besungene U-Bahnstation

Es ist ihr Faible fürs Collagieren, erklärt Kourtesis, über das sich ihre Liebe zum Film in die Musik einschleicht. Auch bei „Estación Esperanza“ sind Feldaufnahmen zu hören, aufgenommen bei einer Demo für LBQTI-Rechte in ihrer Heimat. Die führt die 38-Jährige zusammen mit einem Sample ihrer frühen musikalischen Liebe, dem französischen Superstar Manu Chao. Dessen Album von 2001 hieß „Próxima Estación: Esperanza“, wofür Chao prosaisch die Ansage der Madrider U-Bahn gesampelt hatte: „Nächste Station: Hoffnung“.

Sofia Kourtesis

Sofia Kourtesis „Madres“ (Ninja Tune/Rough Trade); live 8. November Funkhaus Berlin

Doch weil Estación nicht nur Station bedeutet, sondern auch Saison, ruft Kourtesis nun die Jahreszeit der Hoffnung aus – auch darauf hoffend, dass Teenagern im katholisch geprägten Lateinamerika heute nicht mehr erleben müssen, was ihr widerfuhr, als sie mit 13 beim Knutschen mit einem Mädchen erwischt wurde – und fortan nicht nur von Mit­schü­le­r:in­nen gemieden, sondern von Autoritäten gegängelt wurde: Lehrern, Psychologen und natürlich vom Pfarrer.

Ihr Tracks erzählen Geschichten, wirken tatsächlich sehr filmisch. Ihr Filmfaible war es auch, das die Künstlerin vor knapp 20 Jahren nach Deutschland führte. Im Gepäck eine Mappe für die Ludwigsburger Filmhochschule. Ein Detail hatte sie jedoch übersehen: Studieren kann man dort erst ab 25.

Durch die queerfeindliche Mangel gedreht

Doch Peru, wo man sie durch die queerfeindliche Mangel gedreht hatte, war kein Ort zum Erwachsenwerden. Sie blieb in Deutschland, studierte und landete über Köln und Hamburg schließlich in Berlin.

Am Anfang ihres Musikschaffens stand HipHop. Als Rapperin sei sie jedoch „soooo whack“. Doch sie mochte die Produktionsweise, das Collagenhafte – und nahm diesen Ansatz mit in die elektronische Musik: „Toll ist: Man hat beim Bauen eines Tracks endlose Freiheit. Bevor ich einen Song komponiere, sehe ich ein Bild. Mit Leuten, denen ich begegnet bin, und Orten, an die ich gehe, und Sachen, die ich tue.“

Ihr Motto beim Produzieren: Less perfection, more corazon. Ihr Herz, erklärt sie, schlage immer noch lateinamerikanisch, „mein Motor ist aber eher deutsch“. Zwischen den Welten zu pendeln, versteht sie als Privileg.

Lebensbedrohliche Krankheit

Zuletzt verlangte ihr das Leben zwischen Peru und Deutschland allerdings eine Menge ab. Nach dem Tod ihres Vaters, den sie im elegischen „La Perla“ (2021) verarbeitet, erkrankte ihre Mutter an Krebs – gerade, als Sofia richtig durchstartete. Der Lungenkrebs hatte eine lebensbedrohliche Metastase im Gehirn gebildet, an die sich keiner der Ärzte rantraute.

Kourtesis recherchierte, dass es weltweit drei Neurochirurgen gibt, die solch heikle Operationen durchführen. Einer davon: der Berliner Professor Peter Vajkoczy. Auf offiziellem Weg einen Termin zu bekommen, war unmöglich und so postete Kourtesis verzweifelt auf Instagram, dass sie ihm einen Song widmen würde, wenn er ihren Fall anhöre. Tatsächlich meldete Vajkoczy sich zurück und operierte ihre Mutter.

Der geht es nun den Umständen entsprechend gut, sogar zusammen verreisen können die beiden. Ins Berghain hat Kourtesis ihren Retter, der sie „ihr freundliches Ufo“ nannte, seither auch schon mitgenommen. Der dem Neurochirurgen gewidmete Track klingt, kaum überraschend, über fiependen Analogsound so federnd wie optimistisch, darüber hallt „Gotta make it“.

Der Albumtitel bezieht sich übrigens nicht nur auf Kourtesis’ Mutter. Nicht umsonst steht er im Plural. Er sei „allen gewidmet, die beschützen, was sie lieben“.

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