piwik no script img

Debbie

■ Von Günter Bergey

Debbie förstelte. Sie steckte die Hände tiefer in die Taschen, hob die Schultern und holte tief Luft. Okay — letzte Kneipe, letzte Chance. Einen weiteren Reinfall würde sie nicht überstehen. Wenigstens nicht unbeschadet. Warum hatte ihr keiner gesagt, daß sie hier draußen in der Wüste landen würde? Warum hatte sie sich überhaupt diese Schnapsidee aufschwatzen lassen? Nach Marzahn rauszufahren und rumzulaufen?

Diese blöde Sabine. »You must look Marzahn!« Mit ihrem Kindergarten-Englisch. Manche Leute hatten vielleicht eine komische Vorstellung von »anders«. Natürlich war es hier draußen anders. Ganz anders als in Schöneberg. Aber warum, zum Teufel noch mal, sollte das hier jemand sehen wollen? Häuserblocks, Straßen, Autos und halbtote Bäumchen. Jesus Christus, niemals würde sie auf die Idee kommen, jemanden nach Queens rauszuschicken! Hier draußen gab es doch gar nichts, keine Telefonzellen, keine Läden, keinen Park, noch nicht einmal eine Kirche.

Wenigstens nicht im Umkreis von zwei Meilen. Den hatte sie in der letzten halben Stunde Straße für Straße abgegrast, bloß um eine gottverdammte Kneipe zu finden. Von wegen »Berlin« und »zwei Kneipen an jeder Ecke«. Wie einfach es doch die Männer hatten. Schließlich war sie auf zwei Lokale und eine Würstchenbude gestoßen. Beim ersten kam sie nicht einmal über eine Schwelle. Ein Rudel rotgesichtiger Gestalten hatte die Köpfe in Zeitlupe und Simultanschwenk Richtung Tür gedreht. Wie hungrige Kühe. Nein, niemals.

In der zweiten, am S-Bahnhof, war niemand außer dem Wirt. Und der sprach kein Englisch. Kein Wort. Null. Und hatte sich angestellt wie der letzte Hillbilly. Kein Wunder, daß er da allein rumhing. Debbie hatte mit den Achseln gezuckt, ein gequältes Lächeln aufgesetzt und den Rückzug angetreten.

Für die dritte Kneipe hatte sie dann volle zwanzig Minuten gebraucht. Und jetzt gab es kein Zurück mehr. Es mußte etwas passieren. Sie klemmte noch einmal kurz die Schenkel zusammen, dann öffnete sie die Tür.

Von der Decke ringelten sich bunte Papierschlangen. Irgendwo sang Elton John, und in der Luft hing ein merkwürdiger Geruch, wie Zimt oder Muskat. Am Tresen lehnte ein Blonder mit knallrotem Hemd, dahinter stand ein Zwerg, der kaum über den Rand gucken konnte. Debbie hatte kurz das irritierende Gefühl, ihn schon einmal gesehen zu haben. Sie machte zwei Schritte nach vorn, schloß für eine Sekunde die Augen und sagte: »May I use your toilet, please?«

Auf dem Gesicht des kleinen Mannes erschien ein Lächeln, langsam wanderten die Mundwinkel nach oben, die tief im Fett liegenden Äuglein funkelten, und zwischen den Lippen erschien eine Reihe gelber Zähne. Dieser Mann war ein freundlicher Mensch, verständnisvoll und gut, dieser Mann würde keinen in die Wüste schicken. Wie Danny de Vito. Genau! Der war's. Er hob die Hand und zeigte mit dem Finger an Debbie vorbei in die rauchige Tiefe des Lokals. »Klaro, Frollein, da hinten links die Tür mit den zwei Nullen.«

Zu spät.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen