Debatte: Jenseits von Kreuzberg
Die Integrations-Debatte wird zu eng geführt. Der Arbeitsmarkt etwa ist nicht nur Einwanderern ohne Schulabschluss verschlossen, sondern auch Akademikern.
D ie aktuelle integrationspolitische Diskussion ist von einer erstaunlichen Unkenntnis der Lebenswirklichkeit der Einwanderer in Deutschland geprägt. Wird die Debatte überhaupt einmal konkret, stehen die Probleme der Türken, der sozial schwachen Migranten, der angeblich integrationsunwilligen Einwanderer im Mittelpunkt, denen mit den Instrumenten der Sozialarbeit geholfen werden soll. Diese "Kreuzbergisierung" der Integrationsdebatte wird der heterogenen Wirklichkeit von Zuwanderern aber nicht gerecht. Ein Beispiel dafür ist die Arbeitsmarktpolitik.
Katarina Niewiedzial, geb. 1977, ist Politologin und arbeitet als Projektkoordinatorin beim Integrationsbeauftragten des Berliner Senats. Ihr Beitrag ist die gekürzte Version eines Artikels, der in der "Berliner Republik" (4/2007) erscheint
Eine kohärente Arbeitsmarktstrategie in Bezug auf Einwanderer hat Deutschland bislang nicht entwickelt. Im Gegenteil: Es existieren nach wie vor zahlreiche rechtliche Hürden, die viele Einwanderer daran hindern, eine Arbeitserlaubnis zu bekommen. Auch das novellierte Zuwanderungsgesetz hat diesen Zustand nur teilweise verbessert.
Noch frustrierender als die aufenthaltsrechtlichen Barrieren sind aber strukturelle Hemmnisse beim Zugang zum Arbeitsmarkt sowie der ignorante Umgang mit den beruflichen Qualifikationen vieler Einwanderer. Nicht selten scheitert die Arbeitsuche daran, dass die in der Heimat erworbenen Bildungs- und Berufsabschlüsse nicht anerkannt werden oder die Anerkennung mit enormem bürokratischem und finanziellem Aufwand verbunden ist. Zudem werden die ausländischen Qualifikationen häufig abgewertet. Unübersichtliche Zuständigkeiten, fehlende Ansprechpartner sowie die starke Lobby der Berufsverbände gerade in den klassischen Handwerksberufen verhindern die Anerkennung eines bosnischen Bäckers oder eines türkischen Fleischers.
Natürlich unterscheiden sich Berufsausbildungen in anderen Ländern inhaltlich und qualitativ von denen in Deutschland. Doch häufig fehlen den Einwanderern für die Berufsausübung nur bestimmte Teile der Ausbildung. Einer Lehrerin aus der ehemaligen Sowjetunion oder einer Krankenschwester aus Nigeria wäre am besten geholfen, wenn die Arbeitsagenturen oder Job-Center kompetente Beratungsstellen hätten, die sich mit den Qualifikationen und Fähigkeiten der Betroffenen auseinandersetzen und notwendige Anpassungs- oder Ergänzungsqualifizierungen vermitteln würden. Ein solch standardisiertes System der Berufsberatung und Nachqualifizierung existiert jedoch nicht. Die Folge: Entweder müssen die Betroffenen ihre Ausbildung ganz von vorne beginnen - oder sie sind gezwungen, eine ungelernte Tätigkeit anzunehmen. Kein Wunder also, dass die Autoren des aktuellen Migrationsberichts der OECD unter hochqualifizierten Einwanderern in Deutschland eine weit höhere Arbeitslosigkeit konstatieren als in den meisten anderen Ländern der OECD. Während die Arbeitslosenquote unter deutschen Akademikern im Jahr 2005 bei 5,9 Prozent lag, war sie unter ausländischen Akademikern mit 12,5 Prozent ungefähr doppelt so hoch. Bei den Spätaussiedlern sieht es noch schlechter aus: In dieser Gruppe liegt der Anteil arbeitsloser Akademiker sogar höher als bei denjenigen Aussiedlern ohne Berufsabschluss.
Diese Befunde widersprechen der weit verbreiteten Ansicht, die hohe Arbeitslosigkeit unter Einwanderern beruhe ausschließlich auf deren unterdurchschnittlichem Qualifikationsniveau. Diese Erklärung ist auch deshalb unvollständig, weil das Bildungs- und Qualifikationsniveau zwischen unterschiedlichen Einwanderergruppen stark variiert. Fest steht aber auch, dass noch immer fast drei Viertel aller in Deutschland lebenden Migranten keine berufliche Qualifikation besitzen. Hier ist die berufliche Aus- und Weiterbildung gefragt. Doch an den staatlich geförderten Weiterbildungsmaßnahmen der Bundesagentur für Arbeit nehmen zu wenige Einwanderer teil. Im Jahr 2003 hatten nur 9 Prozent aller Teilnehmer einen Migrationshintergrund, womit diese Bevölkerungsgruppe - im Vergleich mit ihrer Arbeitslosenquote - deutlich unterrepräsentiert war. Viele Migranten erhalten keinen Zugang zu den Maßnahmen, weil sie an den Altersobergrenzen oder anderen "vermittlungshemmenden Faktoren" wie unzureichenden Sprachkenntnissen scheitern. Die wenigen Teilnehmer mit Migrationshintergrund an der beruflichen Weiterbildung belegen vor allem berufsbezogene Deutschkurse. Dabei gilt es als erwiesen, dass Sprachkurse allein noch keinen positiven Effekt auf die Arbeitsmarktintegration von Einwanderern haben. Erst in Kombination mit einer guten beruflichen Qualifikation und möglichst frühem Kontakt mit dem Arbeitgeber führen sie zum Erfolg. Auch die im Zuge der Agenda 2010 geschaffenen arbeitsmarktpolitischen Förderinstrumente sind nicht hinreichend auf die individuellen Bedürfnisse der Einwanderer zugeschnitten.
So landen viele arbeitslose Migranten entweder in Kurzzeitmaßnahmen der Jobcenter oder, unabhängig von ihren Kompetenzen, in niedrigschwelligen Integrationsprojekten. Viele dieser Aktivitäten haben eine geringe Erfolgsquote bei der Jobvermittlung, regelrechte Maßnahmekarrieren entstehen. Für viele Einwanderer endet ihr beruflicher Werdegang hier. Andere nehmen eine Arbeit unter ihrem fachlichen Qualifikationsniveau an.
Auf lokaler Ebene gibt es durchaus erfolgreiche Projekte, die die Bildungs- und Beschäftigungschancen von gering qualifizierten Einwanderern verbessern. Häufig verbinden diese Angebote eine fachliche Qualifizierung mit sozialpädagogischer Betreuung. Doch Einzelerfolgen zum Trotz können sie eine flächendeckende, professionelle Berufsberatung oder Berufsqualifizierung gerade für die besser qualifizierten Migranten nicht ersetzen. Ob Jobcenter, Arbeitsagenturen, berufliche Interessenvertretungen oder Berufsverbände - alle Akteure müssen die speziellen Belange von Einwanderern stärker berücksichtigen, ihre Mitarbeiter fortbilden und nicht zuletzt ihrerseits Einwanderer beschäftigen.
Solche strukturellen Anpassungen werden aber nur dann wirklich Erfolg haben, wenn der gesellschaftliche Nährboden dafür existiert. Und dazu gehört die Bereitschaft, Einwanderer als Bestandteil der deutschen Gesellschaft zu akzeptieren. Der Staat muss diesen Prozess fördern - und selbst eine Vorbildfunktion übernehmen. Denn die vorhandene Vielfalt spiegelt sich in Deutschland nicht im öffentlichen Leben wider: In staatlichen Institutionen finden sich nur wenige Menschen aus Einwandererfamilien. Im öffentlichen Dienst beträgt ihr Anteil schätzungsweise gerade einmal 3,4 Prozent. Es ist kaum zu glauben, dass eine aktive Personalpolitik zur Erhöhung des Anteils der Beschäftigten mit Migrationshintergrund in staatlichen Institutionen noch immer tabuisiert wird. Dabei sollten Staat und Gesellschaft ein elementares Interesse an Einwanderern haben. Regionen, die kulturelle Vielfalt positiv nutzen, profitieren von einer höheren Produktivität, stärkerem Wachstum und mehr Innovationen.
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