Debatte ums Kopftuch im Staatsdienst: Kampf um die Köpfe
Lehrerinnen dürfen nun auch in Berlin religiöse Symbole tragen. Darin, dass Religion öffentlich gelebt wird, steckt auch eine Chance.
Ludins Kampf endete 2003 vor dem Bundesverfassungsgericht mit einer Art Pyrrhussieg: Das Gericht gab ihr Recht, überließ es aber gleichzeitig den einzelnen Bundesländern, Kopftuchverbote zu erlassen. Diese Verbote kippten erst mit dem Bundesverfassungsgerichtsurteil von 2015.
Damals erklärte das Gericht, es müsste dann doch erst einmal im Einzelfall nachgewiesen werden, dass der Schulfriede durch die Lehrerin mit Kopftuch gefährdet wäre, bevor man die grundgesetzlich garantierte Religionsfreiheit so weit einschränken könne. In den letzten fünf Jahren ist nicht ein Fall bekannt geworden, in dem eine Schule diesen Nachweis geführt hätte.
Im Zuge der Recherche haben wir auch bei Menschen angefragt, die sich früher vehement gegen das Kopftuch im Schuldienst ausgesprochen haben – weil sie es als Angriff auf Gleichberechtigung und Freiheit interpretierten. Die meisten möchten sich damit heute nicht mehr zitieren lassen – oder jedenfalls nicht von der taz. Vielleicht liegt das an den Wunden, die die lange und hitzige Debatte geschlagen hat?
Die Fronten mögen an vielen Stellen verhärtet sein. Bei dem einen oder der anderen hat sich aber auch die Erkenntnis durchgesetzt, dass man sich möglicherweise verkämpft hat. Und dass sich die Unterstellung, unter jedem Kopftuch verberge sich eine Islamistin, die ihre eigenen Karriere dazu benutzt, kleine Mädchen zu einem sittsamen Leben als Mutter und Hausfrau anzuhalten, nicht aufrecht erhalten lässt.
Berlin muss nun Schadensersatz zahlen
Berlin war das letzte Bundesland, das noch an einem pauschalen Kopftuchverbot festgehalten hat – obwohl man längst hätte wissen können, dass diese Regelung keinen Bestand haben kann. Jetzt hat das Bundesarbeitsgericht Erfurt das Land in letzter Instanz zu Schadensersatzzahlungen an zu Unrecht abgelehnte Bewerberinnen verurteilt. Experten wundern sich, dass das überhaupt so lange gedauert hat.
Dabei haben die Berliner mit der Verpackung als „Neutralitätsgesetz“ versucht, so zu tun, als ginge es darum, alle sichtbaren religiösen Bekenntnisse gleichermaßen aus der Schule fernzuhalten. In Wirklichkeit ging es natürlich nie um bekennende Christen, Juden, Hindus, Buddhisten, Esoteriker oder sonst irgendetwas. Sondern immer nur um die kleine Untergruppe muslimischer Frauen, die Kopftuch trägt.
Der Berliner Gesetzgeber habe anscheinend geglaubt, dass sich mit dem Holzhammer hinterrücks mal eben ein laizistischer Staat herstellen lässt, erklärt Sebastian Schwab, der sich als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Staatskirchenrecht der Universität Göttingen mit dem Thema befasst.
„Es ist nicht Teil unserer Rechtstradition, Religion so vollständig ins Private zu verbannen, wie etwa Frankreich das tut“, sagt er. Schwab glaubt, dass die deutsche Tradition, der Religion einen Platz im öffentlichen Leben zuzugestehen, sie damit aber auch einzuhegen, zu moderieren und in den Dialog zu bringen, sehr viel integrativer wirkt als das Abdrängen in private Parallelgesellschaften und Filterblasen.
Nun haben Kirchen natürlich auch ein Interesse daran, diesen Platz zu behaupten – selbst wenn sie ihn mit dem Islam teilen müssen. Wenn aber organisierte Religion Teil des öffentlichen Lebens ist, bedeutet das eben auch, dass diese Gesellschaft immer wieder neu aushandeln muss, was gerade noch geht und was nicht mehr.
Noch immer Rücksicht auf Ressentiments
Im Hinblick auf das Kopftuch sei dieser Prozess noch nicht abgeschlossen, glaubt Schwab. Im Bereich des Justizdienstes vollzieht sich gerade noch einmal das gleiche Drama. Darf eine Referendarin mit Kopftuch Plädoyers halten? Kann eine Frau mit Kopftuch Richterin werden?
Selbst das Bundesverfassungsgericht gibt hier zu bedenken, dass ein Kopftuch bei Dritten Zweifel an der Neutralität des Staates und insbesondere der Justiz auslösen könnte – und ein Verbot daher nicht per se verfassungswidrig sei, sondern dem Gesetzgeber und der politischen Abwägung vorbehalten bleiben müsse.
„Das bedeutet natürlich im Grunde, dass man auf bestimmte Ressentiments Rücksicht nimmt, statt Minderheitenrechte zu stärken“, sagt Schwab. Genauso wie die wachsweiche Formel vom Schulfrieden ein Schlupfloch offen lässt, durch das man sich im Konfliktfall noch wegducken kann. Ob sich diese Position halten lässt? Gut möglich, dass sie in dreißig Jahren als genauso peinlich und überholt gilt wie heute manches alte Urteil zur Homosexualität.
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