Debatte um neues Gefängnis in Hamburg: Jugendknast auf Vorrat
In Hamburg sinkt die Zahl der verurteilten Jugendlichen seit Jahren. Trotzdem plant Rot-Grün ein größeres Jugendgefängnis in umstrittener Bauweise.
In diesen Fällen sind auch Geld- und Bewährungsstrafen enthalten, ein kleinerer Teil landet im Gefängnis. Stand Dienstag sitzen in Hamburg im Jugendgefängnis auf der Insel Hahnöfersand laut Justizbehörde 48 junge Menschen eine Jugendstrafe ab, weitere 54 sind dort in Untersuchungshaft. Ausgelegt ist das vor 100 Jahren mit Dorfcharakter errichtete Gefängnis auf etwa 150 Plätze.
Doch die Tage von Hahnöfersand scheinen gezählt. Ab Montag liegen im Bezirksamt Bergedorf die Pläne für ein neues Jugendgefängnis aus, das auf einer Wiese in Billwerder neben dem Männergefängnis entstehen soll. Bis 2027 soll es fertig sein. Kosten: 164 Millionen Euro.
In einem kompakten Bau, der an das Gefängnis für Erwachsene in Augsburg-Gablingen erinnert, sollen 200 Haftplätze entstehen, 48 mehr als bisher. Außerdem soll es 18 Plätze für offenen Vollzug und 20 für einen Jugendarrest geben. Alle Wohntrakte liegen an einer 240 Meter langen Magistrale. Die Übersichtlichkeit soll auch Wachpersonal sparen.
„Man kann fragen, warum ein geschlossener Vollzug in dieser Größenordnung nötig ist?“, sagt Prisca Geissler-Heinze, die sich seit Jahren ehrenamtlich in Hahnöfersand engagiert. Es fehle für das neue Gefängnis ein schlüssiges Konzept.
In Hamburg werden immer weniger Jugendliche verurteilt: 2002 waren es 857, 2005: 1.115, 2010: 899, 2015: 513, 2019: 389.
Die Demografie erklärt das nicht: Die Zahl der Jugendlichen blieb etwa gleich: 2002 gab es 62.053, 2019: 61.848.
Auch die Zahl der 18- bis 24-jährigen Verurteilten halbierte sich in den letzten 20 Jahren.
An den Bauplänen gibt es Kritik. In einer Anhörung im Justizausschuss der Bürgerschaft lobten einige Experten die Sicherheit. Die gute Einsehbarheit schütze vor Gewalt. Dagegen mahnte eine Expertin für Architektur, Aufgabe des Jugendvollzugs sei es, dem Jugendlichen ein positives Selbstbild zu vermitteln und zu seiner Sozialisierung beizutragen. Dies könne mit falscher Architektur „erschwert oder gar unmöglich gemacht werden“. Für junge Menschen sei das Fehlen von Sinneseindrücken „schädigend“.
Kritik am Entwurf übt auch der Kriminologe Bernd Maelicke. „Nur Gewaltprävention allein kann kein Ziel des Vollzugs sein“, sagt er. Zu hundert Prozent verhindern lasse die sich auch nicht. Die jungen Menschen bräuchten Gelegenheiten, sich in sozialen Situationen zu erproben, ohne dass es zu Gewalt komme, so Maelicke, der früher in Schleswig-Holstein für den Strafvollzug verantwortlich war.
In Hahnöfersand, wo die jungen Menschen sich zwischen den Gebäuden bewegen, würde guter Jugendvollzug gemacht. „Es gibt keinen Grund, das zu schließen, außer Sanierungsbedarf“, sagt Maelicke. Ein Vorteil an Billwerder sei die Nähe zur Stadt. Doch sollte es dieser Standort sein, müsste die Architektur einem „Dorfmodell“ entsprechen. So werde bundesweit erfolgreich Jugendvollzug praktiziert.
Aus Maelickes Sicht spreche gegen den Neubau nun auch noch Corona. Die Ansteckungsgefahr in einem kompakten Bau mit einer langen Magistrale sei größer. Zum anderen müsse auch Hamburg aufs Geld achten. Und der Billwerder-Bau sei mit 164 Millionen Euro teurer als das neue Hafthaus in Schleswig, wo 72 Plätze nur 15,2 Millionen Euro kosteten.
Sein Vorschlag: Hamburg sollte Hahnöfersand sanieren. Das würde nur etwa 50 Millionen kosten, und die Stadt rund 100 Millionen Euro sparen. Auch den „Jugendarrest“ müsste Hamburg nicht neu bauen, sondern könnte mit Schleswig-Holstein kooperieren. Er habe diese Ideen dem Bürgermeister und der Justizsenatorin geschickt. „Wir brauchen eine Denkpause über die bisherige Planung“, findet Maelicke.
Die Justizbehörde verweist darauf, dass es für die neue Anstalt einen einmaligen Beteiligungsprozess gab, und letztlich sogar die FDP und die Linke zugestimmt hätten. Die höheren Platzzahlen seien nötig, weil es zwischen 2016 und 2017 einen Anstieg der Belegung Hahnöfersands gab. Allerdings war dieser laut einer Anfrage der Linken auf mehr Untersuchungsgefangene zurückzuführen, darunter unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, die keinen festen Wohnsitz hatten.
Rot-Grün peilte in Hamburg einen „Justizfrieden“ aller Parteien an. Martin Dolzer, der frühere Justizpolitiker der Linken, erklärt, seine Fraktion mache da nicht mit. „Wir haben dafür gestimmt, dass sich im Jugendvollzug etwas verbessern muss“, sagt Dolzer. Aber den Neubau in der geplanten Form lehne die Linke ab. „Der ist nicht jugendgerecht“, findet er.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei