piwik no script img

Debatte um fehlende KontrollenBiogasanlagen offen für Giftmischer

In niedersächsischen Anlagen zur alternativen Energieerzeugung landen Blut, Gülle, Klärschlämme. Abgeordnete für strenge Kontrollen.

Die Biogasanlage im emsländischen Werlte sollte Audi sauberen Kraftstoff liefern. Die Kehrseite sind nun vergiftete Äcker. Bild: dpa

HANNOVER taz | Niedersachsens Bauern und Biogasanlagenbetreiber werden nur unzureichend vor dem Missbrauch durch Kriminelle geschützt. Bis heute wird nicht überprüft, ob den Gärsubstraten, die in den Anlagen zu energiereichem Methangas und Kohlendioxid verwandelt werden, giftige Chemikalien beigemischt werden – dabei landen die Gärreste als Dünger auf den Äckern zwischen Küste und Harz.

„Eingangskontrollen finden nicht statt“, sagte der für Abfallwirtschaft und Altlasten zuständige Referatsleiter im Landesumweltministerium, Erhard Edom, am gestrigen Montag vor dem Umweltausschuss des niedersächsischen Landtags.

Grund für die Unterrichtung der Abgeordneten sind Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Osnabrück. Die geht bereits sei 2013 gegen einen niederländischen Abfall-Recyclingbetrieb und die Betreiber von fünf Biogasanlagen vor.

Nach Kenntnis des Abfallexperten Edom sollen Kriminelle „Klärschlämme, Lackschlämme und Rückstände aus der Klebstoffproduktion“ per Umweg über die Biogasproduktion entsorgt haben.

Königlicher Skandal

In heller Aufregung waren Ende Mai die Protokollbeamten der niedersächsischen Staatskanzlei: Minutiös hatten sie den Besuch des niederländischen Königs Willem-Alexander und seiner Gattin Maxima durchgeplant - doch der wäre fast mit einem Eklat geendet.

Ausgerechnet in eine Biogasanlage im emsländischen Werlte wollte die Protokollabteilung die gekrönten Häupter schleppen - dabei stand die im Verdacht, Tatort Krimineller zu sein.

Nächste Peinlichkeit: Illegalen Sondermüll angeliefert haben soll dort eine Recyclingfirma ausgerechnet aus den Niederlanden.

Immerhin: Durch den Beinahe-Skandal wurden die Ermittlungen landesweit bekannt - und damit auch die mangelhaften Kontrollen der Biogasanlagen.

Der Industriemüll sei dazu tierischen Abfällen aus „Fetten, Blut, Tiermehl und Gülle“ beigemischt worden, so der Ministeriale. Welche Chemikalien genau deshalb in welcher Konzentration auf welchen landwirtschaftlichen Flächen gelandet seien, entziehe sich allerdings seiner Kenntnis.

Denn auch der Ausgang der Biogasanlagen wird nur unzureichend beprobt. Untersucht werde nur der „Massenstrom von 2.000 Tonnen“, also eine aus einem Mix der Gärreste dieser Menge bestehende Probe. Damit könne allerdings „nur ganz grober Missbrauch“ erkannt werden, räumte der Ministeriumsvertreter ein.

Wegen der starken „Verdünnungseffekte“ müssten Chemiker schon sehr genau wissen, nach welchen Giften sie suchen sollten: „Ohne Spezial-Screenings ist nichts zu finden.“

Die Osnabrücker Ermittler stellt das vor enorme Schwierigkeiten: Offenbar durch Hinweisen aus den Niederlanden wissen sie um die illegale Giftmüll-Entsorgung. Doch die genaue Zusammensetzung der Chemikalien kennen sie mangels Proben nicht: Die Gärreste seien „längst ausgebracht“, also auf Ackerflächen nichtsahnender Landwirte gelandet, klagte der Osnabrücker Ermittler Alexander Retemeyer schon Ende Mai gegenüber der taz.

Der Fall sorgte vor einem Monat für Aufsehen, weil das niederländische Königspaar bei seinem Besuch in Niedersachsen ausgerechnet eine der in kriminellem Verdacht stehenden Anlagen in Werlte im Emsland besuchen sollte (siehe Kasten).

Trotzdem halten die Fachleute des Landesumweltministeriums strengere Kontrollen bis heute für nicht sinnvoll. Der Aufwand, die Eingangsseite von Biogasanlagen auf giftige Chemikalien zu beproben, erscheine ihm „unverhältnismäßig“, so Ministeriumsvertreter Edom vor dem Umweltausschuss.

Dessen Mitglieder aber forderten gegenüber der taz Konsequenzen: „Sinnvoll“ sei, von dem zur Vergärung angelieferten Material „Rückstellproben“ zu nehmen, so der Christdemokrat Ernst-Ingolf Angermann – beim Verdacht auf kriminelle Machenschaften könnten Ermittler wie die Osnabrücker Staatsanwälte schnell herausfinden, wer welche unerlaubten Stoffe in die Biogasanlagen eingebracht hat. Schließlich könnten Landwirte, auf deren Flächen die Chemikalien landen, „schnell ohne ihr Wissen zu Opfern werden“, warnt Angermann.

Der umweltpolitische Sprecher der grünen Landtagsfraktion, Volker Bajus, geht noch einen Schritt weiter. Nötig seien zumindest „stichprobenartige Untersuchungen“ des Materials, mit dem die Biogasanlagen gefüttert werden, durch qualifizierte Chemiker.

Nur so könne eine „Drohkulisse“ aufgebaut werden, die Kriminelle abschrecke, meint Bajus – und kritisiert zumindest indirekt das von seinem grünen Parteifreund Stefan Wenzel geführte Umweltministerium: „Ich sehe Handlungsbedarf. Die derzeitige Situation ist unbefriedigend.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

1 Kommentar

 / 
  • Öhm, die Schlagzeile klingt als bestünde ein Problem mit "Blut, Gülle", aber wenn ich den Artikel richtig verstehe, sind das gerade die Zutaten, die zu Biogas verarbeitet werden und die Klärschlämme wurden darin versteckt.

     

    Sollte dann der Fokus nicht vllt. eher auf „Klärschlämme, Lackschlämme und Rückstände aus der Klebstoffproduktion“ liegen?