Debatte um Winterspiele 2022: Olympia steht vor Finale
Die US-Regierung diskutiert offen einen Boykott der Winterspiele 2022 in Peking. Grund ist die Situation der Uiguren. Das IOC steckt in einem Dilemma.
Und nun hat am Dienstag ein Sprecher des US-Außenministeriums, Ned Price, so etwas gesagt: Ein Boykott der für Februar 2022 in der chinesischen Hauptstadt angesetzten Olympischen Winterspiele „ist etwas, das wir sicherlich diskutieren wollen“. Das ist eine nicht überhörbare Drohung: Die USA überlegen, ob sie nicht mit ihren westlichen Verbündeten gemeinsam Olympia boykottieren. Als Grund wird die Unterdrückung der Uiguren in der Volksrepublik genannt. Menschenrechtsgruppen sprechen von einem Genozid, der an der muslimischen Minderheit verübt wird.
Kurze Zeit später ruderte Ned Price scheinbar zurück: „Es gibt von uns keine Ankündigung bezüglich der Olympischen Spiele in Peking.“ Aber die schon lange währende Diskussion, wie man sich sportpolitisch zu China verhält, ist nun auf höchster Regierungsebene angekommen. In einem offenen Brief von etwa 180 Menschenrechtsorganisationen wird seit Februar gefordert, Peking zu boykottieren.
„Alles andere wird als Unterstützung der autoritären Herrschaft und der unverhohlenen Missachtung von Bürger- und Menschenrechten durch die Kommunistische Partei Chinas angesehen.“ Auch in der US-Politik gibt es diese Diskussion. Der republikanische Senator Rick Scott brachte eine Resolution ein, in der das IOC aufgefordert wird, Peking die Spiele wieder abzunehmen.
Sprecher des chinesischen Außenministeriums
Damit hat der internationale Sport zur gleichen Zeit gleich drei große Boykottdiskussionen an der Backe: Neben Tokio 2021 und Peking 2022 nimmt derzeit auch die Debatte um die Fußball-WM 2022 in Katar an Schärfe zu. Vom organisierten Sport kommen die immer selben Antworten: Man sei „in allen globalen politischen Fragen neutral“, teilte das IOC vor wenigen Tagen mit.
Wörtlich verschickte es diesen Satz aber auch, als im März Thomas Bach mit Ursula von der Leyen, der Präsidentin der Europäischen Kommission, zusammentraf, wo das Thema „Olympia in Peking“ explizit nicht behandelt wurde. Zu den Sätzen, die das IOC gerne verschickt, gehört auch dieser: „Die Vergabe der Olympischen Spiele an ein Nationales Olympisches Komitee bedeutet nicht, dass das IOC der politischen Struktur, den sozialen Umständen oder den Menschenrechtsstandards in seinem Land zustimmt.“
Etwa so ähnlich tönt es aus dem chinesischen Außenministerium. Ein Sprecher kommentierte die Neuigkeiten aus Washington so: „Die Politisierung des Sports läuft der olympischen Charta zuwider, schadet den Interessen aller Sportler und der internationalen olympischen Bewegung.“
Das IOC und Thomas Bach stecken in einem Dilemma: Eine Zurückweisung von „Politik“ bedeutet zugleich einen Schulterschluss mit dem chinesischen Staat. Das IOC muss nämlich entweder die Behauptung der dortigen Regierung, die Vorwürfe seien alles „bösartige Lügen“, zu seiner eigenen machen. Oder aber es muss den Vorwurf, es gebe einen Genozid gegen die Uiguren, als bloße Frage des politischen Meinungsstreits abtun.
„Es besser, Jesse Owens zu sein als die Sowjets 1984“
Dieses Dilemma erwischt das IOC in einer Phase, in der die olympische Bewegung durch die Coronadebatten um die auf 2021 verschobenen Sommerspiele in Tokio ohnehin geschwächt ist. Zudem war die Entscheidung, Peking, wo noch 2008 die Sommerspiele stattfanden und das nicht gerade als Skigebiet gilt, die Winterspiele zu geben, äußerst umstritten. Letztlich war mit dem kasachischen Almaty nur ein zweiter Bewerber übrig geblieben.
Andere Städte, unter anderem München, hatten wegen zu starker Proteste gegen ein solches Megaevent zurückgezogen. Nun will das IOC seine selbst sportpolitisch schlechte Entscheidung für Peking gegen immer heftigeren internationalen Protest verteidigen. Die Diskussion rankt sich schon längst um die Frage, wie China am besten begegnet werden könnte. „Es ist besser, dort hin zugehen und dort alles zu dominieren“, zitiert der US-Fernsehsender CNBC einen früher sehr hohen Regierungsbeanten, der anonym bleiben möchte. „Es besser, Jesse Owens zu sein als die Sowjets 1984.“
1936, bei den Spielen in Berlin und Garmisch-Partenkirchen, hatte es im Vorfeld gerade in den USA eine intensive Diskussion über einen Boykott gegeben. Der schwarze Leichtathlet Jesse Owens gewann vier Goldmedaillen und widerlegte symbolisch den Rassenwahn der Nazis. Andere berühmte Spiele, die von Boykotten und Boykottdebatten begleitet wurden, waren 1980 in Moskau und 1984 in Los Angeles, als einmal der Westen, ein anderes Mal der Osten fernblieb. Beide gelten mittlerweile als Beispiele, wie der gewünschte Erfolg eines Boykotts verfehlt wurde.
Es scheint, als können Thomas Bach und sein IOC nicht verhindern, dass mittlerweile über Peking 2022 gesprochen wird wie über Berlin 1936.
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