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Debatte um SchulreformDer böse Chef trifft ein paar aufgebrachte LehrerInnen

Eigentlich finden die LehrerInnen die bevorstehende Schulstrukturreform ja ganz gut. Dass es dennoch eine ganze Menge zu meckern gibt, zeigt sich bei einer Debatte zwischen ihnen und ihrem obersten Boss: Schulsenator Jürgen Zöllner (SPD). Der meckert allerdings nach Kräften zurück.

Zweimal sei auf der Personalversammlung der LehrerInnen seines Bezirks über die Sekundarschule abgestimmt worden, berichtet ein Lehrer aus Marzahn-Hellersdorf: Einmal bevor und einmal nachdem ihnen die Reform von einem Mitarbeiter der Schulverwaltung erklärt wurde. "Vorher waren 9 Prozent dafür, über 70 Prozent dagegen und der Rest unentschlossen", ruft der Mann. Nach den Erläuterungen sei das Ergebnis klarer gewesen: "9 Prozent waren immer noch dafür, die restlichen 91 Prozent aber komplett dagegen."

Das brummig-zustimmende Gelächter des Publikums klingt eher nach Stammtisch als nach Bierzelt, was nicht nur daran liegt, dass der Saal dünn besetzt ist. Die hier am frühen Dienstagabend Versammelten sind fast alle Lehrer - den Schilderungen ihres Arbeitsalltags zufolge, die im Verlauf der Veranstaltung zu hören sind, darf man getrost annehmen, dass sie zwar durchaus wütend genug, aber schlicht zu erschöpft sind, um den Saal des Oberstufenzentrums in der Kreuzberger Wrangelstraße richtig zum Kochen zu bringen.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat zu der Veranstaltung eingeladen. Stargast ist Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD), Thema die bevorstehende Schulstrukturreform. Die soll ab dem übernächsten Schuljahr umgesetzt werden und geht kurz gesagt so: Alle Oberschularten mit Ausnahme der Gymnasien werden zu einer neuen Schulform zusammengefasst. Die heißt Sekundarschule und führt zu allen Schulabschlüssen inklusive Abitur. Sekundarschulen sollen SchülerInnen verschiedener Begabungen und Lerntempi aufnehmen. Deshalb bekommen sie kleinere Klassen sowie mehr Lehr- und anderes pädagogisches Personal.

Das klingt eigentlich ganz gut. Dennoch haben die Lehrer eine Menge Kritik. Die wird gern mit dem Halbsatz "Ich begrüße die Reform, aber..." eingeleitet, und klingt dann so: Die vorgesehene Klassenstärke von 25 SchülerInnen sei zu groß für individuelle Förderung, 26 Pflicht-Unterrichtsstunden für eine Lehrerin mit Vollzeitstelle zu viel. "Wir hatten 21 Pflichtstunden, als die Gesamtschulen eingeführt wurden", erinnert sich eine Lehrerin. Das habe Zeit gelassen, tatsächlich neue Unterrichtsformen einzuüben: "Zeit für eine echte Reform!" Die sei jetzt nicht gegeben. Eine andere beschreibt die SchülerInnen, die sie in ihrer Reinickendorfer Klasse hat: Kinder, die schon aus der Grundschule Verwarnungen aufgrund ständigen Fehlens mitbringen oder Therapieempfehlungen wegen Verhaltensstörungen: "Um die kann man sich nicht genug kümmern, wenn man 25 Kinder in der Klasse hat." Auch sie sei eigentlich für die Reform, so die Hauptschullehrerin: "Aber nur, wenn die Ausstattung stimmt!"

Solche Kritik bringt zwar nicht den Saal, aber den Senator zum Kochen: "Sie fordern zehn Prozent mehr Lehrer: Das sind 200 Millionen Euro!", schimpft der sonst so dinstinguierte grauhaarige Herr. Er habe schließlich keinen Dukatenesel, zudem: "Wer das eine nur will, wenn er das andere bekommt, der hat schon aufgegeben! Dabei haben Sie jetzt die Chance, etwas umzusetzen, was Sie selbst seit Jahren gefordert haben!" So böse hat den Chef hier noch keiner gesehen.

Als Zöllner zum nächsten Termin aufbricht, wird es ruhiger. Es bleibt Siegfried Arnz: Der leitet die "Lenkungsgruppe Schulreform" der Schulverwaltung und war selbst Lehrer und Schulleiter - er ist hier der gute Chef. An der Notwendigkeit der Schulreform zweifele doch keiner, sagt die Reinickendorfer Lehrerin. Eine andere rät den KollegInnen "jetzt, wo wir unter uns sind", sich auch mal an die eigene Nase zu fassen: Denn es lohne sich vermutlich wirklich, in diese Reform extra Zeit zu investieren. In den Grüppchen, die später vor der Tür stehen, grummelt es. Zöllner will etwas Gutes, so der Tenor, aber: "Er hätte wenigstens mal sagen müssen, dass er unsere Belastung kennt!"

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