Debatte um Nachtflugverbot II: Lärm, der den Schlaf raubt
Was würde es bedeuten, wenn man die Nachtrufe am künftigen Flughafen um die geforderten drei Stunden ausdehnt? Fluggesellschaften fürchten um Billigangebote, die Anwohner um den Schlaf.
Es geht um rund 85 Flüge pro Nacht: So hoch schätzte ein Gutachten für die Flughafengesellschaft im Jahr 2007 den Bedarf an Flügen zwischen 22 und 24 Uhr sowie zwischen 5 und 6 Uhr. Ohne die Nachtflüge müssten „10 Prozent der Gesamtbewegungen des Tages“ entfallen. Werde der Nachtflug spürbar beschränkt, gefährde das „elementare Bestandteile des Luftverkehrsangebots in Berlin“.
Erstens würde ein Nachtflugverbot die Flüge von den großen Drehkreuzen wie Frankfurt oder München betreffen. Dort landen viele Langstreckenverbindungen innerhalb eines kurzen Zeitraums. Anschließend starten Direktverbindungen zu vielen anderen Flughäfen, um die ankommenden Reisenden zu verteilen. Der letzte Umsteigetreffpunkt an diesen „Hubs“ ist dabei so spät am Abend, dass die Flugzeuge nicht anschließend noch vor 22 Uhr in Berlin landen können. Ein Landeverbot ab diesem Zeitpunkt würde die Stadt von den „meisten nationalen wie internationalen Hubs im Geschäftsreise- wie Touristikverkehr abnabeln“, so das Gutachten.
Zweitens würde ein Nachtflugverbot auch die Flüge treffen, die in dem Gutachten „ethnische Verkehre“ genannt und wie folgt definiert werden: „Flüge für Arbeitsmigranten – und deren Familienangehörige, zum Teil schon in zweiter oder dritter Generation – zum ’Heimatbesuch‘ zum Beispiel in die Türkei.“ Solche Flüge seien „besonders preissensibel“, sie würden daher nur dann stattfinden, wenn das Flugzeug ansonsten nicht genutzt würde – also in der Nacht.
Ein Nachtflug nach Istanbul oder Izmir und zurück dauert rund 7 Stunden. Laut dem Gutachten stehen die Flugzeuge oft nicht vor 22 Uhr zur Verfügung, werden morgens aber spätestens um 7 Uhr wieder für den Routineeinsatz benötigt. Ohne Nachteinsatz seien solche Flüge also nicht möglich.
Auf der anderen Seite bedeutet mehr Nachtflug schlechteren Schlaf und ein höheres Krankheitsrisiko für Anwohner. Der Epidemiologe Eberhard Greiser hatte 2010 im Auftrag des Umweltbundesamtes die Daten von gut 800.000 gesetzlich Krankenversicherten ausgewertet. Ergebnis: Wer nachts von Flugzeugen überflogen wird, bei dem erhöhte sich das Risiko einer Magen- oder Darmerkrankung um 10 Prozent. Die Verschreibung von Arzneimitteln gegen Depressionen stieg sogar um knapp 20 Prozent.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!