Debatte um Islamkritik: Beruf Islamkritiker

Warum die Tat eines Islamisten und die Tat eines Islamhassers andere und doch gleiche Reaktionen hervorrufen. Und warum Islamkritik nicht gleich Islamkritik ist.

Auf einer antiisraelischen Demonstration in Berlin im April 2002 legt ein Palästinenser seiner Tochter eine Sprengstoffgürtel-Attrappe um. Bild: archiv/ap

Die Einigkeit war schnell erzielt: Es war ein Einzeltäter. Aber einer, den die Umstände dazu getrieben hatten. Jetzt galt es, pauschale Urteile zurückzuweisen. Und so abscheulich die Tat war – hatte das Opfer sie nicht provoziert?

"Die permanenten Gefühle der Ohnmacht und Scham, mit denen die Marginalisierten leben, lassen auch den Einzelnen zum Gewalttäter werden", kommentierte die Literaturwissenschaftlerin Sabine Kebir im Freitag. "Es war die individuelle Tat eines Einzelnen", erklärte der landeskundige Soziologe Thijl Sunier im Gespräch mit der taz, offenbar in der Überzeugung, dass doppelt Genähtes besser hält. "Es war ein barbarischen Akt – Punkt", meinte schließlich der Schriftsteller Feridun Zaimoglu, um nach diesem "Punkt" keinen zu setzen, sondern hinzuzufügen, "dass längst eine Grenze überschritten wurde, und zwar die des guten Geschmacks".

Nein, die Rede ist nicht von den Reaktionen linker, linksliberaler und islamophiler Stimmen auf den Massenmord in Norwegen. Die Rede ist von den Reaktionen auf den Mord am niederländischen Regisseur Theo van Gogh im November 2004.

Wie immer, nur andersrum

So vehement, wie man in diesen Kreisen Mohammed Bouyeri zum Einzeltäter erklärte, so strikt lehnt man diese Behauptung im Fall von Anders Behring Breivik ab. "Bürgerliche Kreise" hätten "Rechtsradikale" salonfähig gemacht; "geistige Brandstifter" wie der niederländische Politiker Geert Wilders, der norwegische Blogger "Fjordman" oder die britische Historikerin Gisèle Littman ("Bat Ye’or"), deutsche Autoren wie Henryk M. Broder oder Thilo Sarrazin sowie "Hassblogs" wie "Gates of Vienna" oder "Politically Incorrect" (PI) hätten den "Nährboden" bereitet und seien mitverantwortlich.

Auf der anderen Seite finden sich Abwehrreflexe, die fast spiegelbildlich die eingangs skizzierten Reaktionen wiederholen: Wilders oder dessen skandinavischen Gesinnungsfreunde, Politiker also, die "rechtspopulistisch" zu nennen man sich gewöhnt hat, beteuern, nichts mit diesem Breivik zu tun zu haben, während liberale Autoren jeden Zusammenhang zwischen bürgerlicher und rechtsextremer Islamkritik zurückweisen.

"Das ist so logisch, als würde jemand Kannibalen und Veganer gleichzeitig für den Niedergang der Esskultur verantwortlich machen", meint der in Breiviks "Manifest" zitierte Broder. Folglich ruft der Satiriker und Autor Bernd Zeller auf dem Blog "Achse des Guten" unter der Überschrift "Kein Grund zur Defensive" zum Durchhalten auf: "Die Tat kann nicht als extreme Konsequenz islamkritischer Texte angesehen werden."

Wo die Abwehr überwiegt und etwa einzelne PI-Leser auf die Distanzierung eines jener "Abers" folgen lassen, mit dem sich noch jedes Gemetzel rechtfertigen ließ, finden sich auch selbstkritisch-islamkritische Stimmen. So schreibt Richard Herzinger in der Welt, es sei kein Schuldeingeständnis, "wenn 'Rechtspopulisten' und andere Verfechter der These, wir seien akut von 'Islamisierung' bedroht, den Schock von Oslo zum Anlass nähmen, sich deutlicher als bisher von hasserfüllter Endzeit-Paranoia loszusagen."

Selbstkritik ist auch von Ole-Jørgen Anfindsen, dem Betreiber des norwegischen Blogs "Honest Thinking", zu vernehmen. Er habe, so zitiert ihn die Tageszeitung Klassekampe, "Verständnis für Leute, die uns vorwerfen, eine Art Infrastruktur für extreme Personen" zur Verfügung gestellt zu haben. Selbst PI-Autor "Frank Furter" meint: "Es ist Zeit, die Islamkritik auf ein neues, wissenschaftlicheres und sachlicheres Niveau zu heben, dass [sic!] sich klipp und klar von Pauschalierungen und Diffamierungen distanziert."

Solche und solche

Was aber ist das eigentlich, "Islamkritik"? Sicher etwas, das en vogue ist. Kurz nach dem Mord an van Gogh zählte die Ethnologin Susanne Bressan für die Begriffe "Islamkritik" und "Islamkritiker/in" 5.630 Google-Treffer in deutscher Sprache gegenüber 14.900 Treffern für "Israelkritik" und "Israelkritiker/in". Seither haben nicht nur beide Begriffspaare so enorm zugelegt, dass man vermuten könnte, das Web 2.0 sei eigens dafür erfunden worden, auch das Verhältnis hat sich geändert: Die Islamkritik samt ihrer Personifizierungen kommt nun auf rund 930.000 Treffer, die Israelkritik auf gut 190.000. Und so wie immer, wenn aus einer Meinung (Ich habe Kritik an der Gentechnik) eine identitäre Zuschreibung (Ich bin Gentechnikkritiker) wird, sind diese Begriffe allein Anlass zur Skepsis, besteht doch die Gefahr, dass Kritik und Reflexion zu Jargon und Ideologie werden.

Gleichwohl ist die Kritik am Islam weder genuines Produkt von 9/11 noch alleinige Erfindung der westlichen Welt. Der türkische Autor Turan Dursun etwa, der sich vom Mufti im zentralanatolischen Sivas zum atheistischen Humanisten entwickelte, ehe er im September 1990 von Kriegern Allahs hingerichtet wurde, war schon zu einer Zeit Islamkritiker, da gab es dieses Wort noch nicht.

Im Westen aber wuchs die Islamkritik erst im vergangenen Jahrzehnt. Allerdings blieb selbst dort, wo unter diesem Label ressentimentgeladener, hysterischer und kulturalistischer Unsinn, also Islamophobie verbreitet wurde, ein grundlegender Unterschied zum Antisemitismus, mit dem diese zuweilen verglichen wird: Noch die krudeste Islamophobie war eine Reaktion auf reale Konflikte, keine reine Wahnvorstellung.

Formuliert wurde die Islamkritik jedenfalls, bevor sie zum Volkssport im Internet wurde, vornehmlich von liberalen Intellektuellen, darunter vielen, die sich einst der (radikalen) Linken zugerechnet hatten und sich zuweilen immer noch als Linke verstanden: der italienischen Journalistin Oriana Fallaci, der niederländisch-somalischen Politikerin Ayaan Hirsi Ali oder dem US-amerikanischen Literaturkritiker Christopher Hitchens sowie hierzulande von Autoren wie Henryk M. Broder, Necla Kelek, Richard Herzinger oder Ralph Giordano.

Eine deutsche Besonderheit war die linksradikale Islamkritik, wie sie von Vertretern der "antideutschen" Strömung nach 9/11 oft unter Berufung auf die – von Breivik verhasste – Kritische Theorie in der Zeitschrift Bahamas und teilweise in der Wochenzeitung Jungle World (deren Redakteur der Autor dieser Zeilen von 2002 bis 2007 war) formuliert wurde. Einige aus diesem Spektrum wie der Politikwissenschaftler Matthias Küntzel haben sich im Zuge der Islamkritik von marxistischem Gedankengut abgewandt, andere nicht.

Hinzu kamen Islamkritiker aus (rechts)konservativen oder christlichen Kreisen, wie der frühere FAZ-Redakteur, Buchautor und spätere Mitgründer des Vereins "Pax Europa" Udo Ulfkotte in Deutschland oder der katholische Religionswissenschaftler und Betreiber des Blogs "Jihad Watch" Robert Spencer in den USA.

Hinzu kamen schließlich Figuren vom rechten Rand wie der heutige FPÖ-Vorsitzende Heinz-Christian Strache, die ihr altes Credo "Ausländer raus!" durch "Moslems raus!" ersetzten (und den Antisemitismus zurückstellten, weil sie nun in Israel einen Bündnispartner im Kampf gegen Islam erkannten.) Zumindest in Deutschland verpassten die Neonazis übrigens diese Entwicklung: Die NPD erblickte nach 9/11 im globalen Dschihad einen Verbündeten im Kampf gegen Amerika, "Zionismus" und Liberalismus und versucht erst in den letzten Jahren, auf der antiislamischen Welle zu segeln.

Der Unterschied bestand weniger darin, ob man allein den Islamismus oder den gesamten Islam der Kritik unterzog. Der entscheidende Unterschied war vielmehr der, von welchem Standpunkt aus die Kritik erfolgte: mit Verweis auf republikanische Werte oder mit Verweis auf das "christliche Abendland"; aus Verteidigung der Freiheit des Einzelnen vor den Zumutungen einer Religion oder aus Verteidigung einer fiktiven kollektiven Identität vor den Zumutungen der Moderne.

Vom Liberalismus zum Schwulenhass

Doch die Übergänge waren von Anfang an fließend, und ließe sich das Wort steigern, müsste man sagen: Sie wurden fließender. Denn gegen die Befreiung von Mädchen vom Schwimmunterricht lassen sich gute menschenrechtliche Gründe aufführen, gegen den Bau einer Moschee nicht.

Derlei Annäherungen in einzelnen Topics waren das eine, die Radikalisierung der konservativen Islamkritik das andere. Das zeigt der Blog "Politically Incorrect", der sich in gut sechs Jahren mit täglich 60.000 Besuchern zu einem der meistgeklickten deutschsprachigen Blogs entwickelt hat.

Seinem Selbstverständnis zufolge dem "Grundgesetz und Menschenrechten" verpflichtet und "nicht fremdenfeindlich, sondern islamkritisch", ist in den Texten der Autoren und mehr noch in den Leserkommentaren, wo sich ein Mob mit rudimentären Deutschkenntnissen über mangelnde Deutschkenntnisse anderer Leute empört, das Ressentiment kaum mehr übersehbar. Das – streng moderierte Forum – quillt über mit Kommentaren wie "Musels raus, Moscheen nieder!"

Daneben führte bei PI die Rede gegen "linkes Gutmenschentum" und "Political Correctness" zur Unterstützung von Organisationen wie "Pro Köln" oder "Die Freiheit". Ob es um Klima- und Sozialpolitik oder Barack Obama geht, inzwischen ist man zu einer deutschen Version der Tea-Party-Bewegung geworden, wobei man beweist, dass es immer noch eine Spur blöder geht.

Festmachen lässt sich die Entwicklung zu ultrakonservativem bis rechtsextremem Gedankengut auch an zwei Autoren: Dem PI-Aussteiger Jens von Wichtingen, der nun die "Menschenverachtung und inzwischen offen rechtsradikale Ausrichtung von PI" kritisiert. Und "Kewil", bis März dieses Jahres Betreiber des Blogs "Fakten/Fiktionen" und seither PI-Autor. Wo man früher über die Schwulenfeindlichkeit unter Muslimen schrieb, wenngleich sich oft der Verdacht erschlich, den Verfassern dienten die Rechte von Schwulen bloß als weiterer Vorwand, lässt nun dieser "Kewil" seinen bierseligen Schwulenhass aus: "Welches Kind will, daß Papi und Mami beide Männer sind?"

Die aufgeklärten Kritiker des Islams, so sie sich nicht selbst nach rechts entwickelt haben, haben mit derlei Ressentiments in der Tat nichts gemein. Allerdings haben sich nur die wenigsten von ihnen in der Vergangenheit von solchen Leuten abgegrenzt – wie übrigens viele Sarrazin für etwas hielten, das dieser schnöselige Zahlenhuber nie war, nämlich ein kritischer Zeitgenosse. Der Massenmord von Norwegen gebietet eine Klärung. Schließlich ist es ja nicht so, dass der Islam und jene, die sich auf ihn berufen, keiner Kritik bedürften.

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