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Debatte um FeiertageIst das Gleichberechtigung oder kann das weg?

Lilly Schröder
Kommentar von Lilly Schröder

Die Forderung der Unternehmerverbände, zur Belebung der Wirtschaft den Frauentag als Feiertag abzuschaffen, sind ignorant und kontraproduktiv.

Was der 8. März als Feiertag sichtbar gemacht hat, soll wieder unsichtbar gemacht werden Foto: Jörg Carstensen/dpa

D a sitzen sie also, die Herren der Berliner Wirtschaft, bei Croissants und Cappuccino, und zerbrechen sich die Köpfe, wie sie die klamme Ökonomie wieder auf Vordermann bringen. Die Frage, die sich die Vertreter der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UVB) – allesamt Männer – stellten: Welcher Feiertag ist überflüssig und kann abgeschafft werden? Die Antwort kam prompt von UVB-Chef Alexander Schirp: der Frauentag am 8. März.

Eine ignorante Forderung, die aktiv den Fortschritt blockiert: Es war eine Errungenschaft, als Berlin, das Bundesland mit den wenigsten Feiertagen, im Jahr 2019 den 8. März zum Feiertag erklärte. Schon damals hagelte es Widerstand. In den sozialen Medien echauffierten sich Männerrechtler: „Frauen werden heutzutage in allem bevorzugt“, „Wann kriegen wir den ‚Nationalen Biertag‘?“, „Bald kommt der Zahnschmerzfeiertag“. Auch Politiker wie der CDU-Abgeordnete Stefan Evers stellten sich quer, der damalige Chef der UVB, Christian Amsinck, protestierte: Berlin verzichte „ohne Not“ auf 160 Millionen Euro Wirtschaftsleistung.

Ohne Not? Ist es etwa keine Not, wenn in Deutschland beinahe jeden Tag eine Frau von ihrem (Ex-)Partner ermordet wird, weil sie eine Frau ist? Ist es keine Not, dass es allein in Berlin im letzten Jahr mehr als 30 Femizide gab? Dass bundesweit im Jahr 2023 180.715 Fälle häuslicher Gewalt gemeldet wurden, dass viele Frauen sich nicht trennen können, weil sie finanziell von ihren gewalttätigen Partnern abhängig sind, dass der Gender Pay Gap 2024 weiterhin klafft und Frauen systematisch benachteiligt werden?

Wer das nicht als Not anerkennt, verkennt die Realität und das Ausmaß der Probleme, mit denen Frauen täglich konfrontiert sind. Es gibt genau zwei Tage im Jahr, an denen Medien, Po­li­ti­ke­r*in­nen und Gesellschaft über Femizide, häusliche Gewalt, Lohnlücken und gläserne Decken sprechen: den 8. März und den 25. November, den Tag gegen Gewalt gegen Frauen. Davor, dazwischen und danach: Stille. Den 8. März wie vorgeschlagen auf einen Sonntag zu verschieben, würde bedeuten, auch diesen Feiertag mit der Decke des Schweigens zu ersticken.

Kampftage leben von Störung

Ein Feiertag an einem Sonntag ist wie Urlaub, den ein Arbeitnehmer ausschließlich am Wochenende nehmen darf. Feiertage leben von der Störung des Alltags: keine Arbeit, geschlossene Geschäfte, keine Routine. Verlegt man den 8. März auf einen Sonntag, wird niemand gestört, niemand denkt um. Einen Feiertag zu einem Arbeitstag zu degradieren, entwertet den Anlass.

UVB-Chef Schirp wiederum behauptet, dass dadurch die wirtschaftliche Entwicklung weniger gestört würde. Fiele der Feiertag weg, „würden zusätzlich 230 Millionen Euro volkswirtschaftlich erwirtschaftet“. Dem widersprach selbst Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD), die darauf hinwies, dass Produktionen rund um Feiertage oft vorgezogen oder nachgeholt werden. Das eigentliche Problem der Aussage liegt jedoch nicht in der zweifelhaften Zahl, sondern darin, dass durch diese Argumentation Werte wie Gerechtigkeit und Gleichheit zu bloßen ökonomischen Kennzahlen degradiert und zur Ware gemacht werden.

Ganz gleich, welcher Feiertag gestrichen werden soll – man habe auch über den Pfingstmontag oder den 3. Oktober nachgedacht, so Schirp – ist diese Denke unsozial und das Gegenteil von dem, was wir in einer Zeit zunehmender Belastung und Einsamkeit brauchen. Denn Feiertage verbinden, sie formen Gemeinschaft und fördern Resonanz. Demnach wäre es sogar nach FDP-Logik sinnvoll, den 8. März als Feiertag beizubehalten, damit die Arbeitstiere funktionsfähig bleiben und sich nicht wegen Burnout, Depressionen oder aus Dauerstress krankmelden müssen.

Apropos Krankmeldungen: Der Daueraufreger erhitzte auch diese Woche wieder die Gemüter der Wirtschaftsetagen. Nach der Veröffentlichung der aktuellen Zahlen zum Rekord-Krankenstand in Deutschland (laut Statistischem Bundesamt 2023: durchschnittlich 15,1 Arbeitstage pro Arbeitnehmer*in) forderte Allianz-Chef Oliver Bäte die Streichung der Lohnfortzahlung am ersten Krankheitstag. Dass der hohe Krankenstand laut Bundesärztekammer nicht auf Blaumachen, sondern auf eine Zunahme an Infektionen und die Einführung der digitalen Krankmeldung zurückzuführen ist, scheint nebensächlich.

Feiertage streichen ist keine Lösung

Diese Diskussionen sind so rückwärtsgewandt, dass es schmerzt. Berlins größtes Wachstumshemmnis sind nicht Arbeitnehmer*innen, die zu wenig arbeiten, nicht der Frauentag oder ein Feiertag zu viel. Es sind der gravierende Fach- und Arbeitskräftemangel, ein innovationsfeindliches Wirtschaftsklima und Unternehmen, die nicht zukunftsorientiert investieren.

Statt sich weiter in unsinnigen Diskussionen über den Frauentag zu verlieren, sollten die UVB-Herren endlich die Ärmel hochkrempeln und sich für echte Gleichberechtigung einzusetzen: für mehr Frauen in Führung, gerechte Gehälter und flexible Arbeitszeiten.

Wie sagen sie selbst immer? Spuckt euch in die Hände!

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Lilly Schröder
Redakteurin für Feminismus & Gesellschaft im Berlin-Ressort Schreibt über intersektionalen Feminismus, Popkultur und gesellschaftliche Themen in Berlin. Studium der Soziologie und Politik.
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