Debatte über Straßennamen in Berlin: „Wollen wir einen Betrüger ehren?“
Im Stadtteil Wedding ist Kolonialgeschichte weiter präsent: durch Straßennamen. Das könnte sich am Mittwoch ändern – zumindest ein bisschen.
Im Ringen um mögliche Änderungen von Straßennamen im Afrikanischen Viertel – die Patronen des Nachtigalplatzes und der Lüderitzstraße haben eine koloniale Vergangenheit – entscheidet die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) in Mitte am Mittwoch, welche Richtung eingeschlagen wird. Die CDU schlägt vor, statt der Kolonialherren zwei Namensvettern mit reiner Vergangenheit zu verwenden. Die SPD fürchtet den Etikettenschwindel. Sie fordert, an afrikanische WiderstandskämpferInnen zu erinnern.
taz: Frau Weißler, warum sollten die Lüderitzstraße und der Nachtigalplatz denn überhaupt umbenannt werden?
Sabine Weißler: Es hat Tradition, dass die Benennung eines Straßennamens nach einer Person auch ein Akt der Würdigung ist. Nehmen Sie etwa Willy Brandt: Die Gesellschaft bekennt sich zu ihm, indem sie Straßen oder Plätze nach ihm benennt. Im Fall von Lüderitz muss man sich die Frage stellen: Wollen wir wirklich einen Betrüger ehren?
57, ist in Mitte Bezirksstadträtin der Grünen und Leiterin der Abteilung Weiterbildung, Kultur, Umwelt und Naturschutz.
Wie kam es überhaupt zu einer Lüderitzstraße?
Es herrschte ein anderes Geschichtsbewusstsein vor, das mit unserem heutigen Verständnis nicht mehr vereinbar ist. Wobei der Fall bei Nachtigal schon etwas anders liegt…
Inwiefern?
Wir müssen die Menschen in ihrer Zeit sehen. Lüderitz war auch in seiner Zeit eindeutig ein Betrüger. Nachtigal kann man als schillernde Person bezeichnen.
Der Nachtigalplatz sollte also nicht umbenannt werden?
Ich bin auf die Diskussion gespannt.
Lüderitz war allerdings ein schlimmer Schurke?
Ja, da ist die Sachlage ziemlich eindeutig.
Wie sehr hat es Sie überrascht, dass die CDU trotzdem mit einem Antrag daherkam, der einem Etikettenschwindel gleicht?
Ich habe mich schon gewundert. Schließlich ändert sich am Erscheinungsbild überhaupt nichts. Dadurch wird eine Auseinandersetzung nicht gefördert.
Offenbar war auch die SPD überrascht. Sie hat nun aber nachgezogen – aus wahltaktischen Gründen?
Der SPD-Antrag gibt den Stand der Diskussion wider und signalisiert, dass das lange Stillhalten nun endet. Das kann aber durchaus auch der Dynamik des Wahlkampfs geschuldet sein.
Mit welchem Ergebnis rechnen Sie in der BVV – setzt sich der SPD-Antrag durch?
Das kann ich nicht sagen.
Sie würden es aber goutieren?
Als Bezirksstadträtin muss ich eine neutrale Position wahren. Ich halte es da wie die Kanzlerin: Erstmal die Entscheidung abwarten, nicht schon vorher spekulieren.
Sollte der Antrag durchkommen: Wann kommen die neuen Straßenschilder?
Falls dem so ist, würde erst der Prozess gestartet. Der Weg ist dann immer noch lang, weil Straßennamenänderungen bei AnwohnerInnen sehr unbeliebt sind. Mir ist es wichtig, ein Forum zu schaffen, indem kontrovers diskutiert wird. Die Zeit dazu ist jetzt vielleicht gekommen.
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