Debatte über CDU-AfD-Koalition: Schnapsidee aus der dritten Reihe
Der sachsen-anhaltinische CDU-Fraktionsvize schlägt eine schwarz-braune Koalition mit der AfD vor. Sein Leidensdruck ist offenbar hoch.
Alles, was er dafür tun musste: in der Mitteldeutschen Zeitung vorschlagen, dass die CDU mit der AfD eine schwarz-braune Koalition eingehen könnte – nicht sofort, aber in zwei bis fünf Jahren vielleicht, wenn sich die Liberalen unter den Rechtspopulisten durchgesetzt haben. Dazu überließ er der Zeitung Auszüge einer achtseitigen Wahlanalyse, die er nach der Europa- und Kommunalwahl für seinen Landesverband anfertigte. Demnach ist der Wirtschaftspolitiker gegen „ungesteuerte Migration“ und die „Zunahme an neuer brutaler Kriminalität“. Was er dagegen gut fände: „Es muss wieder gelingen, das Soziale mit dem Nationalen zu versöhnen.“
Tabubruch und Geschichtsvergessenheit, gemischt mit kompletter Ruchlosigkeit: Dieser Vorstoß, ist so daneben, dass er im ersten Moment ratlos macht. Einigermaßen erhellend ist es dann aber, die komplette Wahlanalyse zu lesen, die über Umwege am Donnerstagnachmittag beim Blogger Mario Sixtus auftauchte. Das achtseitige Papier erklärt nämlich, warum sich Ulrich Thomas und andere in der Union nach rechts außen öffnen wollen.
Da ist erstens der Leidensdruck, der in schrumpfenden Organisationen automatisch entsteht. In Sachsen-Anhalt war die CDU einmal 40-Prozent-Partei, inzwischen liegt sie nur noch bei etwa 25 Prozent. Das macht sich im Alltag bemerkbar. Weniger Mandate führen zu weniger Wahlkreisbüros, weniger Wahlkreisbüros zu weniger Kampagnenfähigkeit. Das äußere sich in „sparsamer Plakatierung und weniger Wahlkampfständen“, schreibt Ulrich. Dass es wie bei der SPD noch schlimmer komme, müsse unbedingt vermieden werden.
Kein Wunder
Da ist zweitens der Schmerz, den Verlegenheitskoalitionen erzeugen: Um gegen die AfD überhaupt noch eine Mehrheit zu finden, hat sich die CDU in Sachsen-Anhalt mit SPD und Grünen zusammengetan. Zu oft müsse die Union in diesem Bündnis zurückstecken, schreibt Thomas. Zu oft gebe es „Kompromisse des kleinsten gemeinsamen Nenners“. Dieser Schmerz ist verständlich, schließlich gibt es in dieser Koalition keine parteiübergreifende Vision. Im Grunde eint sie nur der gemeinsame demokratische Geist gegen die Antidemokraten der AfD.
Und dieser Geist ist drittens nicht überall in der Union gleich stark ausgeprägt. Nationalstolz habe nichts mit Rechtsradikalismus zu tun, schreibt Thomas. Und dann nutzt er doch Formulierungen, die eher rechtspopulistischen als demokratischen Diskursen entspringen: Der Fraktionsvize ist gegen „partikulare Interessen von Randgruppen“, gegen den „linken Mainstream“ und gegen „Gutmenschentum“. Dass so jemand mit der AfD koalieren möchte? Kein Wunder.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen