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Debatte über BauausstellungOffener Brief an Stadtsoziologin

Gentrifizierungskritische Initiative aus Wilhelmsburg reagiert auf taz-Interview mit der Stadtsoziologin Saskia Sassen.

Gentrifizierung oder doch nur Aufwertung: In Hamburg-Wilhelmsburg ist die Internationale Bauausstellung (IBA) umstritten. Bild: dpa

HAMBURG taz | Der Arbeitskreis Umstrukturierung Wilhelmsburg (AKU) hat einen offenen Brief an Saskia Sassen veröffentlicht und wirft der Stadtsoziologin mangelnde kritische Distanz und Zynismus vor. Anlass ist ein Interview mit Sassen in der taz.

Sassen war Kuratoriumsmitglied der Internationalen Bauausstellung (IBA) in Hamburg. Im Interview hatte sie betont, dass die Veränderungen im Stadtteil Wilhelmsburg sich deutlich von Gentrifizierungsprozessen unterschieden. Außerdem verteidigte sie die Haltung der IBA, sie habe „Aufwertung ohne Gentrifizierung“ vorangetrieben.

„Wir haben sehr viel Energie eingesetzt, um die Leute zu schützen, die in Wilhelmsburg wohnen“, sagte Sassen. „Glauben Sie mir: Ich habe Gentrifizierung in ihrer vollen Brutalität in New York gesehen – wenn jemand denkt, dass Wilhelmsburg gentrifiziert wurde, hat er nicht viel von der Welt gesehen.“

Der AKU erklärt nun, er habe sich über die Behauptungen Sassens, die in ihren Texten unter anderem die wachsende soziale Polarisierung durch die Entwicklung globaler Städte untersucht, „sehr gewundert“. Sicherlich seien die Erfahrungen in Lateinamerika oder New York bedeutend.

„Aber die Lebenssituation von Menschen, die aus ihren Wohnungen geräumt werden, oder Leuten, die einen immer höheren Anteil ihres Einkommens für ihre Miete ausgeben, wird dadurch nicht besser, dass man sie darauf hinweist, dass es anderswo noch schlimmer ist“, erklärt der AKU.

Aus Sicht der Initiative habe sich Sassen als kritische Wissenschaftlerin unglaubwürdig gemacht. Eine Stellungnahme wird gefordert.

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3 Kommentare

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  • S
    Slam

    Interessiert es noch jemanden? Gibt es noch eine Debatte? Oder wollen sich die Anwälte der Armen wieder ein wenig in den Vordergrund des linken Netzwerks spielen bzw. ihr Gewissen beruhigen, weil sie vielleicht auch selbst Schuld an der Entwicklung tragen? Im Gegenzug aber nichts, aber auch gar nichts für den Stadtteil tun. Gähn.

  • D
    Denis

    Na das wird Frau Sassen sicher schwer beeindrucken und zu alsbaldiger Antwort veranlassen, wenn der Arbeitskreis Umstrukturierung Wilhelmsburg und das Projekt Undogmatische Linke zu einer Stellungnahme auffordern!

     

     

     

    Sehe ich das richtig? Satte 2 Monate hat es gedauert, um nach dem besagten Interview einen "offenen Brief" auf der eigenen Homepage zu veröffentlichen? Warum? Weil akribisch recherchiert oder sich selbst in einem vielleicht schmerzhaften aber lehrreichen Prozess kritisch hniterfragt wurde? Nein! Stattdessen wieder die immergleichen Phrasen von den angeblich massenhaft verdrängten "MieterInnen" und den bösen "Vermietern" (wird Frauen der Besitz von Wohnungen nicht zugetraut, oder wie?) die Rede.

     

     

     

    Leute echt, als einer der vor wenigen Jahren zugezogenen Akademiker im Reiherstiegviertel, habe ich mir in diesem Jahr einige der teils unterirdischen Diskussionsrunden zum Thema Gentrifizierung angehört, in denen andere zugezogene Akademiker in einem Publikum aus zugezogenen Akademikern wortreich den Zuzug von Akademikern beklagen und sich zum (von wem eigentlich mandatierten?) Anwalt derer aufschwingen, in deren früheren Wohnungen sie jetzt selbst wohnen. Das ist albern. So wie der offene Brief.

  • M
    martin

    Bei merklich steigender Kaltmiete (plus zusätzlich zu bezahlender Wohnraumvergrößerung) von "nur ein paar symbolische Cent" Mieterhöhung zu reden klingt wirklich zynisch. Es sei denn, es war damit gemeint, daß das auf "sozial" gemachte Weltquartier - aus Vermietersicht - nicht viel Kohle bringt. Dann hätte man, rein marktwirtschaftlich gesehen, den ehemaligen Mietern eigentlich auch einfach ihr Zuhause lassen können.

     

     

     

    Was in Wilhemsburg außerdem gerade sehr aktuell ist: Eine ganze Menge Wohnprojekte/Ateliergemeinschaften/Hausboote/Veranstaltungsräume stehen derzeit unmittelbar vor dem Aus. Insbesondere solche, die in den letzten 5 bis 12 Jahren abseits des Wohngebietes experimentiell wertvolle Nischen gefunden hatten (zB. Jaffestrasse, Soulkitchenhalle, Zinnwerke, Fährstieg, Spreehafen).

     

    Während man im Wohngebiet noch den absehbar weiter langsam steigenden Mieten harrt (und sich wohl darauf einstellt gegebenenfalls entsprechend langsam weichen zu müssen), werden die Leute im Hafen & Gewerbegebiet einfach kurzerhand ganz vor die Tür gesetzt.

     

    Was doppelte schade ist, weil gerade diese Locations auch den übrigen Stadtteil stark belebt haben.

     

    Ausweichmöglichkeiten sind auch rar - vor zehn Jahren gab es noch massenweise vielversprechende ungenutzte Gewerbegebäude, die inzwischen leider fast alle abgerissen worden sind.