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Debatte Unser Israel (4)Eine komplizierte Geschichte

Kommentar von Micha Brumlik

Deutschland steckt gegenüber Israel in einem Dilemma. Kein anderer befreundeter Staat verletzt so andauernd Völker- und Menschenrecht.

Unser Israel? Unser Israel! Die Schwierigkeiten, in Deutschland zum Konflikt zwischen dem Staat Israel und den Palästinensern Stellung zu nehmen, entspringen einem Dilemma: Einerseits ist der Staat Israel aufgrund der Verantwortung Deutschlands für die nationalsozialistische Massenvernichtung an sechs Millionen europäischen Juden nicht nur Gegenstand besonderer politischer Fürsorge. Er ist auch - soweit das bei Staaten überhaupt möglich ist - ein enger Freund. Freilich erstreckt sich die politische Verantwortung Deutschlands für das jüdische Volk keineswegs nur auf den Staat Israel. Aus diesem Grunde ließ die Bundesrepublik russische Juden nach dem Ende der Sowjetunion - auch gegen den erklärten Widerstand Israels - vergleichsweise großzügig einwandern.

Allerdings: Sosehr der Staat Israel ein enger politischer Freund ist, so sehr gilt ebenso, dass kein anderer befreundeter Staat das Völkerrecht und Menschenrechte seit mehr als vierzig Jahren so kontinuierlich verletzt, wie es Israel im Westjordanland und in Gaza tut. Vergleichbar ist das deutsche Dilemma gegenüber Israel allenfalls mit dem Verhältnis zu den USA zu Zeiten des Vietnamkrieges oder im "Krieg gegen den Terror", Stichworte: Abu Ghraib und Guantánamo.

Micha Brumlik

ist Professor für Erziehungswissenschaften an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt/Main.

Zu fragen ist, ob sich für Israels Verstöße gegen Völker- und Menschenrecht gute moralische oder politische Gründe ins Feld führen lassen. Etwa, ob die überwiegend ideologisch begründete, kaum noch reversible Siedlungspolitik im Westjordanland ein guter Weg ist, um die Existenz des Staates in einem feindlichen Umfeld zu sichern? Ob die Abriegelung Gazas die antisemitische Hamas geschwächt hat? Und welchen Nutzen die Schikanen an den Straßensperren im Westjordanland sowie die Abschiebung von Palästinensern, die ihren Wohnsitz in Jerusalem haben und keine Ausländer sind, bringen?

Natürlich gibt es andere Staaten, die quantitativ und qualitativ sehr viel intensiver gegen Völker- und Menschenrecht verstoßen als Israel, darunter Länder wie Russland, China oder die Türkei. Doch kann es bei einer moralisch sensiblen Politik nicht um das Abarbeiten einer Negativliste gehen, an deren Ende irgendwann der Staat Israel steht. Man kann es drehen und wenden, wie man will: Aufgrund des Holocaust wird Israel im deutschen Bewusstsein immer einen anderen Platz einnehmen als Kirgisien oder der Kongo. Und: Wer nicht versteht, dass wir, wenn wir über Israel diskutieren, weniger einen Beitrag zur Lösung des Nahostproblems liefern als einen Beitrag zu unserem Verhältnis zur NS-Vergangenheit, sollte sich an der Debatte besser nicht mehr beteiligen.

Was die moralische Haltung der politische Klasse, Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft hierzulande gegenüber Israels Politik betrifft, gibt es zwei Extrempositionen, die in vielfältigen Variationen auftreten. Auf der einen Seite eine schuld- und schambewusste Gesinnungsposition: Nach dem, was Deutsche Juden im Holocaust angetan haben, steht es weder deutscher Politik noch ihrer Öffentlichkeit zu, israelische Politik zu kritisieren oder gar zu beeinflussen. Dem steht auf der anderen Seite ein verantwortungsethisches Argument entgegen: Gerade weil Deutschland und Deutsche sechs Millionen europäischer Juden ermordet haben, ist es die Pflicht Deutschlands, den Staat Israel - im Zweifel auch gegen den Willen seiner Regierungen - von Handlungen abzuhalten, die seine Sicherheit gefährden. Wird also dort politische Scham mit der Überzeugung verbunden, dass israelische Regierungen auf jeden Fall besser beurteilen können, was der Sicherheit ihres Staates dient, so wird hier Verantwortung mit der Vermutung verbunden, dass sich sogar israelische Regierungen bei der Wahrnehmung ihrer Interessen irren können.

Dabei gehen beide Positionen von gemeinsamen Grundannahmen aus: Erstens, dass der Staat Israel eine unmittelbare Folge des Holocaust ist, sowie zweitens, dass der Staat Israel das einzige Mittel ist, Juden vor weiteren Diskriminierungen, Verfolgungen und Massenmorden zu schützen. Beide Annahmen sind jedoch bestreitbare: Das eine ist eine historische Hypothese, das andere eine Prognose.

Dazu nur zwei Anmerkungen: Erstens beginnt die Geschichte der israelischen Staatsgründung - sowie der Konflikt mit den palästinensischen Arabern - im späten 19. Jahrhundert. Die große, konfliktverschärfende Masseneinwanderung der 1920er und frühen 1930er Jahre kam aus dem damals antisemitischen Polen, nicht aus Deutschland oder Österreich. Und ohne die Zustimmung der Sowjetunion wäre es nie zum völkerrechtlich bindenden UN-Teilungsbeschluss Palästinas gekommen. Das Motiv des Antisemiten Stalin, dem Teilungsplan zuzustimmen, war nicht die Sorge um das jüdische Volk, sondern das strategische Ziel, den britisch dominierten Nahen Osten durch einen sozialistischen Staat zu unterminieren.

Und schließlich: Obwohl viele Holocaustüberlebende dort nach 1947 Zuflucht fanden, ist Israel nicht der Staat der Überlebenden - die allermeisten seiner jüdischen Einwohner hatten und haben eine andere Herkunft.

Was jedoch die Zukunft betrifft: Wenn die wahnsinnige, atomare Rüstungspolitik der Islamofaschisten im Iran von etwas zeugt, dann, dass es der Staat Israel ist, der dadurch von einem atomaren Massenmord bedroht wird. Das aber stellt seine Funktion als Rettungsanker für bedrohte Juden in aller Welt infrage.

Wenn weder Rettungsfantasien noch historische Hypothesen die hohe Bedeutung Israels im deutschen Bewusstsein begründen können, was dann? Das ist die Frage, die künftige Generationen deutscher PolitikerInnen, der Öffentlichkeit und der Zivilgesellschaft zu beantworten haben. Sie werden gut daran tun, sich dabei an jener Maxime zu orientieren, die der Öffnung für die jüdische Immigration aus der ehemaligen UdSSR zugrunde lag. Dabei ging es darum, für die Zukunft ein vielfältiges jüdisches Leben in Deutschland zu fördern und zu sichern. Für die meisten Juden aber - unabhängig davon, ob sie dort leben oder nicht - spielt Israel eine existenziell wichtige Rolle; sei es ob verwandtschaftlicher Bindungen, religiöser Überzeugungen oder ihres kulturellen Selbstverständnisses.

Wenn deutsche Politik willens ist, sich der NS-Vergangenheit zu stellen und - anstatt nur zähneknirschend Haftungspflichten zu akzeptieren - dafür eine zukunftsgerichtete Verantwortung zu übernehmen, wird die Politik israelischer Regierungen sowie der vielstimmige, oft gegensätzliche Diskurs von Juden über diese Politik auch weiterhin eines ihrer zentralen Themen sein müssen. Freilich: Wie in allen anderen Politikfeldern wird auch die Frage, wie die Sicherheit dieses Staates und das Leben seiner Bürger am effektivsten garantiert werden können, umstritten sein. Aber das ist demokratische Normalität.

***

Die vorheringen Beiträge der Debattenreihe "Unser Israel": Keine innere Angelegenheit von Tsafrir Chohen, Deutsche nach Gaza? von Muriel Asseburg und Feiger Hass von Stephan Kramer.

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Autor und Kolumnist
1947 in der Schweiz geboren, seit 1952 in Frankfurt/Main. Studium der Philosophie und Pädagogik in Jerusalem und Frankfurt/Main. Nach akademischen Lehr- und Wanderjahren von 2000 bis März 2013 Professor für Theorien der Bildung und Erziehung in Frankfurt/Main. Dort von 2000 bis 2005 Direktor des Fritz Bauer Instituts – Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte des Holocaust. Forschung und Publikationen zu moralischer Sozialisation, Bildungsphilosophie sowie jüdischer Kultur- und Religionsphilosophie. Zuletzt Kritik des Zionismus, Berlin 2006, Sigmund Freud. Der Denker des 20. Jahrhunderts, Weinheim 2006 sowie Kurze Geschichte: Judentum, Berlin 2009, sowie Entstehung des Christentums, Berlin 2010.Darüber hinaus ist er Mitherausgeber der „Blätter für deutsche und internationale Politik.“
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12 Kommentare

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  • OK
    Oma Kruse

    Zunächst einmal sollten die Hanebüchenen Behauptungen bezüglich der israelischen Menschenrechtsbilanz nicht unwidersprochen hier stehen bleiben. Das Land befindet sich nun mal seit 60 Jahren in einem Konflikt mit Gegnern, die sich um Völker-, Kriegs- und Menschenrechte herzlich wenig kümmern. Angesichts dieser Herausforderungen sieht die israelische Bilanz nicht schlecht aus. Zudem werden Menschenrechtsverletzungen staatlicher Organe von kritischen Israelis selber sehr genau beobachtet und angeprangert.

     

    Warum kümmern wir uns also so intensiv um israelische Menschenrechtsverletzungen – statt um deutsche?

     

    Erinnert sich noch jemand an Oberst Klein? Der gute Mann hat mal eben 100 Menschen töten lassen. Einfach so. Ohne dass diese Menschen auch nur deutsche Einheiten bedroht hätten. Und er hat einen Freispruch erster Klasse bekommen!

     

    Warum also das verlogene Israel-Bashing, wenn wir selber in Deutschland genug Dreck am Stecken haben? Woher nehmen wir die Gewissheit, dass wir uns in einer ähnlichen Bedrohungssituation wie die Israelis, gelassener verhalten würden?

  • DS
    David Serebrjanik

    Herr Le Mec,

     

    eine Bitte: lassen Sie doch bitte den Mock, der Ihnen hochkommt nicht auf dieser Seite raus.

  • G
    gvhorst

    sehr redlich,ohne zeigefinger und hasskappe, dennoch bewusst sich seiner deutschen brille stellend.cool!

  • S
    suzette

    offenbar wird im großen stil diesmal zensiert, mein kommentar fehlt jedenfalls. was hat das eigentlich noch mit "gegenöffentlichkeit" zu tun, die sich die taz, in abgrenzung zu den "bürgerlichen medien" doch einst in fetten lettern auf die fahnen geschrieben hatte?

  • M
    Mark

    Kurzgesagt, Autor befindet sich auser Kompetenz dieses Problems. Er schreibt einen Unsinn. Ich nehme mir Zeit und dementiere alle seine Thesen Schritt für Schritt. Wie ich es verstehe, war er niemalls in diesem Region, hat keine Historische Annung und schreibt rein Theoretisch und sammelt die Aussagen aus ausgewählten Medien. Ich werde mit den Fakten und Dokumenten auftretten. Es geht überhaupt um keinen Fall über die Geschichte des Deutschlands in ner nazis Zeiten und hat damit nichts zu tun.

    Und als erster Schritt ohne Kommentar. Erste Lüge. "Humanitäre Kriese im Gasa Streifen. Sehen Sie bitte selber an.

  • M
    Moritz

    Der lange Artikel von Herrn Brumlik lässt viele wichtige Aspekte aus. Das Verhältnis zu Israel wird derart verworren dargestellt, dass es scheinbar keinen Ausweg gibt. Letztlich wurden aber im Holocaust Juden ermordet und keine Israelis. Daher steht die Verantwortung für die deutschen Juden im Mittelpunkt. Das man diese Verantwortung nun aber auf einen Staat überträgt, der wiederum die palästinensische Bevölkerung vertrieben hat und völkerrechtswidrig handelt, ist nicht schlüssig. Nach dem Massaker an den bosnischen Muslimen in Jugoslawien, bei dem die Blauhelmsoldaten tatenlos zugesehen haben, leitet man auch nicht die Verantwortung ab, die islamischen Staaten der Welt besonders vorkommend zu behandeln. Nun kann man einige tausend Opfer nicht mit 6 Mio. Opfern vergleichen, doch wurden im Holocaust auch Kommunisten, Zeugen Jehovas und Sinti und Roma ermordet. Wenn man nun einem Opferteil des Holocaust jegliches völkerrechtwidriges Verhalten gestattet, dann muss man es auch den anderen Opfern zugestehen. Oder man lässt es ganz.

     

    Das Problem Israels ist die eklatante Doppelmoral. Auf der einen Seite stellen sich die Israelis immer wieder als Opfer dar, auf der anderen Seite gehen sie ohne Rücksicht auf die Palästinenser los. Wegen der großen Doppelmoral war auch G. W. Bush so unbeliebt. Dieser hat sich auch immer als guten Christen und überzeugten Demokraten in Szene gesetzt, und gleichzeitig völkerrechtwidrige Kriege mit hunderttausenden Opfern angezettelt. Bei einem Ahmadinejad gibt es keine Überraschungen und somit auch keine Heuchelei. Er ist sicherlich ein Extremist der verantwortungslos handelt. Dennoch steht er zu dem was er macht. Häufig sind es nicht die Taten die die Menschen aufregen, sondern die Heuchelei und die Lügen.

  • T
    Tajmahal

    Ein Staat als 'enger Freund', Herr Brumlik? Ich bin lieber mit Menschen befreundet, nicht mit Staaten. Die Staatstreue ist seit der NS-Zeit diskreditiert. 'Gute moralische oder politische Gründe für die ständigen Verstöße Israels gegen die Menschenrechte'? Schon allein diese Frage! Fragen sie nicht sich oder uns, fragen sie die Gequälten, Gefolterten, Ermordeten bzw. deren Angehörigen, ob sie gute moralische Gründe erkennen. Vielleicht diejenigen Palästinenser, deren erschossenen Angehörigen von Seiten Israels Organe entnommen wurden. Die Taz hatte darüber berichtet. Sie sprechen vom 'Islamofaschismus', ich spreche bei Praktiken, die an Mengele erinnern, von einem israelischen Faschismus der dortigen Rechtsextremen.

  • V
    vantast

    Scheint so, als sei Israels Endzeit angebrochen, ironischerweise durch zu viel martialen Egoismus. Alles für uns, right or wrong, sollen die anderen sehen, wo sie bleiben, wir lassen uns nicht noch einmal demütigen. Aber so verprellt man nur die besten Freunde. Vor etwa 20 Jahren gab es eine Sendung im WDR5 zur Meinung über Israel. Selbst die hartlaibigsten Philosemiten sagten, daß die große Zuneigung verschlissen ist. Nur der anwesende Jude wollte davon nichts bemerkt haben. Aber so ist es oft im Leben.

  • J
    jensmichael

    Kompliziert wie "die Geschichte" nur, wenn man wie Brumlik so phänomenal um die Ecke denkt und nach langem argumentativen Elaborieren zu den absurdesten Folgerungen komt.

     

    Wer über Israel diskutiert, betreibt also Vergangenheitsbewältigung, und wer das nicht akzeptiert, soll schweigen? Für die deutsche Politik muss "der vielstimmige, oft gegensätzliche Diskurs von Juden über diese Politik auch weiterhin eines ihrer zentralen Themen sein"???

     

    Wie wärs, wir sagten statt Juden oder Deutsche schlicht Menschen. Alle Menschen haben das Recht, Menschenrechtsverstöße und rassistische Politik anzuprangern - überall auf der Welt. Punkt.

  • B
    Bert

    Da gibt es weitaus mehr Positionen, wie ich finde.

     

    Die mit am weitesten verbreitete Position scheint mir die in der westlichen Linken seit Jahren gepflegte grundsätzliche israelkritische Haltung zu sein.

    Diese Haltung reicht von (durchaus legitimer) Kritik an ,,der" Politik Israels über das trendige Israel-Bashing (vom naiv-unpolitischsten ,,Free Gaza"-Poster auf Facebook bis zum eklärtesten Antikapitalisten), bis hin zu subtilem oder offenem Israelhass und Antisemitismus.

    http://www.spiked-online.com/index.php/site/article/8947/

  • PD
    PD DR. Birgit Reime

    So ein langer Artikel und keine Erwaehnung der 5 Millionen nicht juedischen Ermordeten des Naziregimes. Sind Roma und Sinti, Gewerkschafter und Homosexuelle, um nur einige Gruppen zunennen, keine Erwaehnung wert? Was haben wir fuer Roma und Sinti getan, die proportional den gleichen Anteil ihrer Familienangehoerigen verloren haben? Es wird Zeit, dass wir uns mal darum kuemmern.

  • LM
    le Mec

    Es ist wirklich ein sehr langer Artikle notwendig um gleichzeitig zu sagen, dass jemand einerseits verdammt viel Dreck am stecken hat und zu den größten Menschenrechtsverletztern der Welt gehört (für mich ist Israel auf die Größe des Landes gesehen sogar der Größte) und andererseits das doch irgendwie darf und Leute, die das stört sich da besser rauszuhalten haben, weil wir uns ja hier in Deutschland lieber selbst einen Maulkorb zu dem Thema zu verpassen habemn, wenn wir als neutral und moralisch gelten wollen.

     

    Mir kommt der Mock hoch!