piwik no script img

Debatte Unser Israel (3)Keine innere Angelegenheit

Es ist an der Zeit, die deutsche Nahostpolitik neu auszurichten. Denn Israels Besatzung hat Palästinenser wie Israelis in die Sackgasse geführt.

Die Arbeits- und Perspektivlosigkeit in abgeriegelten Palästinenser-Enklaven trägt dazu bei, dass die Gesellschaft immer geschlossener und von reaktionären Elementen beherrscht wird. Bild: ap

A ls FDP-Minister Dirk Niebel die Lage für Israel kürzlich als "fünf vor zwölf" beschrieb, warf man ihm vor, die Solidarität aufgekündigt zu haben. Diese reflexhafte Kritik an dem ausgewiesenen Israelfreund verweist auf einen grundsätzlichen Widerspruch im deutschen Verhältnis zu Israel. Die deutsche Politik folgt dem Prinzip der "Solidarität mit Israel", was nichts anderes als bedingungslose Unterstützung bedeutet. Dem gegenüber steht eine außenpolitische Haltung, die sich die Verteidigung des Völkerrechts sowie die weltweite Förderung von Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie auf die Fahnen geschrieben hat.

Beide Ansätze, der partikulare und der universelle, sind aus der Erfahrung des Naziterrors geboren. In Bezug auf den Nahen Osten geraten sie in Widerspruch, wenn Israel unseren außenpolitischen Grundsätzen zuwider handelt, was in den letzten Jahrzehnten immer häufiger geschehen ist.

Bislang versuchten diverse Bundesregierungen diesen Widerspruch dadurch aufzulösen, indem sie den Palästinensern viel Geld gaben und Israel - meist im Rahmen gesamteuropäischer Beschlüsse - für allzu offensichtlichen Verstöße gegen das Völkerrecht kritisierte. Diese Kritik hatte allerdings keinerlei Auswirkungen auf die Tagespolitik. Unserer Bereitschaft, Israel in allen Fragen internationaler Zusammenarbeit entgegenzukommen - von der Visabefreiung bis zur Wirtschaftsintegration, ganz zu Schweigen von Waffengeschenken in dreistelliger Millionenhöhe - tut unserem Bekenntnis zu Menschenwürde und Völkerrecht keinen Abbruch.

Tsafrir Cohen

ist Repräsentant von medico international im Nahen Osten. Er wuchs in Israel und Kanada auf, lebte von 1986 bis 2007 in Berlin und pendelt nun zwischen Jerusalem und Ramallah. Mehr unter www.medico.de

Diese widersprüchliche Haltung könnte man als interne deutsche Angelegenheit abtun. Nur: Der deutsche Diskurs hat handfeste Auswirkungen auf die Situation vor Ort. Denn ohne Deutschland kann es keine kohärente europäische Nahostpolitik geben.

Dass die Situation vor Ort unhaltbar ist, hat nicht erst der israelische Angriff auf den Schiffskonvoi gezeigt. Den Kern des Konflikts bilden die seit über 40 Jahren anhaltende israelische Besatzung, die Siedlungspolitik und die damit einhergehende Entrechtung der Palästinenser. Die derzeitige Entwicklung schließt die Palästinenser in dichtgedrängten Enklaven ein, die ohne Almosen aus Europa gar nicht lebensfähig wären. Die Arbeits- und Perspektivlosigkeit in diesen abgeriegelten Enklaven trägt dazu bei, dass die palästinensische Gesellschaft immer geschlossener, konservativer wird und von reaktionären Elementen beherrscht wird. Aber auch auf Israels demokratische und rechtsstaatliche Strukturen hat die Besatzung fatale Rückwirkungen. So wird in der Knesset gerade geplant, die Arbeit von Menschenrechtsorganisationen im Land per Gesetz einzuschränken. Der mangelnde Protest dagegen zeigt, wie weit Israels demokratische Grundfesten durch die Besatzung bereits aufgeweicht worden sind.

Solidarität mit Israel darf kein "Vertrag zu Lasten Dritter" sein. Darum ist es an der Zeit, unsere Nahostpolitik neu auszurichten. Es steht außer Frage, dass Deutschland aufgrund der Schoah gegenüber dem jüdischen Volk eine historische Verantwortung trägt. Dies sollte vor allem bedeuten, dem Antisemitismus in Europa entschieden entgegenzutreten und die Sicherheit jüdischen Lebens dort zu gewährleisten.

Es ist jedoch keinesfalls zwingend, diese Verantwortung auf den Staat Israel zu übertragen. Tun wir dies, müssen wir uns der Tatsache bewusst sein, welche Auswirkungen unsere Unterstützung für Israel hat. Denn seine Vormachtstellung im Nahen Osten verdankt das Land nicht zuletzt seinen engen Beziehungen zum Westen. Ohne sie wäre das Besatzung kaum aufrechtzuerhalten.

Die blinde Unterstützung durch den Westen erlaubt es den israelischen Eliten in Wirtschaft und Politik, ihrer Friedensrhetorik keine Taten folgen zu lassen: Der Preis des innenpolitischen Konflikts mit der extremen Rechten und der Siedlerlobby erscheint vielen zu hoch. Diese sind derzeit maßgeblich an der Regierung beteiligt und nicht einmal bemüht, auch nur den Anschein zu wahren, an einer Friedenslösung interessiert zu sein.

Betrachtet man die Demografie zwischen Mittelmeer und Jordan, kann man jedoch nur zu dem Schluss kommen, dass die Gründung eines lebensfähigen palästinensischen Staates in Israels ureigenem Interesse liegt. Die Alternativen sind rar. Denn entweder gewährt Israel den Palästinensern gleiche Rechte, wodurch es seinen jüdischen Charakter verlieren würde - was derzeit völlig undenkbar ist. Oder aber es setzt die derzeitige Entwicklung fort, die unweigerlich zu einer Art von Apartheidssystem führen muss, wie selbst Israels Expremier Ehud Olmert einräumte.

Notwendiger Druck von außen

Viele Israelis fühlen sich im Belagerungszustand. Wir tun ihnen aber keinen Gefallen, wenn wir ihnen nicht helfen, aus diesem Teufelskreis auszubrechen und einen ernsthaften Ausgleich mit den Palästinensern zu suchen. Das geht nur mit freundlichem, aber bestimmtem Druck.

Israel steht in seiner Region derzeit weitgehend isoliert da und kann sich nur auf die Unterstützung seiner Freunde im Westen stützen. Würde diese Unterstützung von der Umsetzung völkerrechtlicher Verpflichtungen abhängig gemacht, wäre Israel zweifellos bereit, diesen "Preis" zu zahlen. Er würde obendrein eine ordentliche Dividende bringen - einen historischen Ausgleich mit allen Nachbarstaaten, die Israel mit ihrer "Arabischen Friedensinitiative" seit 2002 eine komplette Normalisierung zu angemessenen Konditionen anbieten. Welche Vorteile ein Frieden in der Nachbarschaft mit sich bringt, weiß niemand so gut wie die Europäer.

Und was kann die deutsche Linke tun? In unseren Zeiten gilt der globale Kampf einer emanzipatorischen und solidarischen Gesellschaft, die den "Anderen" nicht bloß als Sicherheitsrisiko wahrnimmt. Dieser Kampf tobt auch in Israel und den palästinensischen Gebieten. Gerade jetzt, wo der israelischen Linken, Menschenrechtsgruppen und palästinensischen NGOs immer kleinere Spielräume zur Verfügung stehen, brauchen sie unser Engagement und unsere Unterstützung.

***

Die vorheringen Beiträge der Debattenreihe "Unser Israel": Deutsche nach Gaza? von Muriel Asseburg und Feiger Hass von Stephan Kramer.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • QS
    "Dr. Siegfried P. Posch (Graz)"

    Zerging in Dunst das Heil'ge Röm'sche Reich,

    uns bliebe gleich die heil'ge deutsche Kunst!

    (Richard Wagner, DIE MEISTERSINGER VON

    NÜRNBERG)

     

    Ich erhielt zuletzt eine Karte für die Grazer

    Aufführung der MEISTERSINGER. Aber:

     

    Nichts zu gewinnen ist wohl für eine Analyse

    der Rolle des Hauses Hohenzollern in Rumä-

    nien durch das Buch:

     

    Werner Biermann

    SOMMER 39

    Berlin, 2009

     

    Hingegen: seine Ehre sieht doch der Verfas-

    ser der Autobiographie

     

    Louis Ferdinand Prinz von Preußen

    DIE GESCHICHTE MEINES LEBENS

    Göttingen et al., 1969

     

    darin, daß er Künstler, ein r o m a n t i -

    s c h e r Komponist sei. Daß Nationalismus

    und Romantik miteinander in Beziehung

    stehen, wird man nun nicht unbedingt in

    Abrede stellen können.

    Nur ist es gewiß ein dorniges Problem der

    Forschung: Wann, präzis, in welchem Jahr

    u.Z. und wodurch bedingt ist der Beginn der

    Epoche der R o m a n t i k anzusetzen?

  • M
    max

    danke für diesen artikel. schon er zweite artikel, der sich von dem des herrn kramer dadurch abhebt, dass er argumentiert und keine hassgesänge anstimmt. zwei sachen sind in dieser debatte wohl dennoch sicher:

    a) es wird keinen herrn kramer entgegengesetzten andersherum hasserfüllten und blödsinnig einseitigen artikel in diesem gedankenaustausch geben.

    b) diverse israelfreunde werden eben weiterhin allen artikeln, die nicht explizit proisraelisch sind totale einseitigkeit und antisemitismus vorwerfen.

  • K
    Klaus

    Mein Kommentar hierzu:

    solange Susanne Knaul als ausgesprochene proisraelische Bellizistin das Ressort Nahostkonflikt innehat, kaufe ich keine TAZ mehr!

  • M
    meiname

    Kennzeichnend an der Situation ist, dass sie längst so verfahren ist, dass vernünftiges Handeln einer Seite alleine überhaupt nichts bringt. Völlig egal welche Seite.

     

    Und in solchen Situationen ist Menschen einfach nicht mehr zu helfen. Völlig egal welcher Religion. Der Anteil der leicht zum Haß und zu Eskalation verführbaren ist einfach zu groß. Wie sich der Blick freiwillig verengt, sieht man an den Beiträgen hier ja zur Genüge.

     

    Nur eine Partei zu adressieren ist also bestenfalls naiv, vor allem aber Nachweis sich selbst intellektuell nicht mehr aus der Verstrickung lösen zu können.

  • S
    stauffenberg

    wie jedes Land der Welt muß auch Israel sich zu allererst selbst um ein besseres Verhältnis zu seinen Nachbarn kümmern. Es sollte sich auch Gedanken machen, in welches Dilemma es uns Europäer bringt, wenn es Zustimmung einklagt für Dinge, die hinterher von der UNO als Menschenrechtsverletzung oder schlimmer klassifiziert werden. Das ist in den letzten Jahren nicht nur einmal passiert. Es ist zudem eine bedrückende Situation für Juden außerhalb Israels, die unterschwellig gleich mitverantwortlich gemacht werden für etwas, was auschließlich die israelische Regierung verbockt hat.

  • E
    end.the.occupation

    Warum wird Tsafrir Cohen nicht eingeladen? Hätte man eigentlich gleich drauf kommen können.

    Der Mann weiss wenigstens wovon er spricht - ist kein Bunker-Zionist, wie Kramer, oder ein Taktiker wie Brumlik.

     

    Eine kleine Anmerkung zum Sinn von Verhandlungen mit Israel - dem Staat, der alle Juden dieses Planeten für sein Tun mit in Haftung nimmt:

     

    Schon das Oslo-Abkommen - dass im übrigen ganz explizit kein Vertrag ist - enthielt die Zusage, dass keine der Vertragsparteien Änderungen an der Demographie vornehmen werde.

    Der isr. Staat hat sich an diesen Passus jedoch nie gehalten - die Anzahl der Sieder verdoppelt - mittlerweile geht es auf eine Verdreifachung zu.

     

    Damit hat dieser Staat messbar bewiesen, dass er kein Interesse an einer Lösung des Konflikts hat, das alle Bekundungen seines Friedenswillens reinste PR darstellen. Und das weiss jeder: Der Usurpator in Ramallah, die isr. Führung, der ZdJ in Deutschland - der sich offenbar vollständig mit der isr. Politik identifiziert -, die Bundesregierung, die EU und die USA.

     

    Wer also immer noch 'Verhandlungen' der Palästinenser mit Israel fordert - wie die EU und die USA - der zeigt damit nur, dass er ein schlichtes Werkzeug der isr. Taktik ist, die 'Pizza aufzuessen, während man über ihre Verteilung verhandelt'.

  • N
    Nobilitatis

    Nur dummdreiste Kommentare hier. Man sollte einen Intelligenztest vorschalten.

  • M
    mal

    Der Vorschlag eines unabhängigen, selbstständig lebensfähigen (Muaahahahaha! Wie sollen denn die Jahrzehntelang von der UNO gehätschelten Palis DAS hinkriegen?) palästinensischen Staates ist ja prinzipiell gut.

    Fällt aber nicht vielleicht doch mal irgendjemand auf, das all die wohlmeinenden gaaaanz genau wissen, was Israel alles tun muß, aber keiner offensichtlich auch nur die leiseste Vorstellung davon hat, wie man die Palis denn dazu bringen will, sich an Vereinbarungen zu halten?

    Auffallend, das mit keinem Wort all die ausgeschlagenen Angebote, all die verpaßten Gelegenheiten der Palis und der Araber erwähnt werden.

     

    Die Dreistigkeit mit der die Pali-Lobby versucht einen für dumm zu verkaufen ist wirklich atemberaubend. Alle diese vermeintlichen Angebote und Pläne sind solange komplett unglaubwürdig, solange eine essentielle Frage nicht beantwortet ist: Wie sollen die Palis an der Weiterführung der Raketenangriffe und Terroranschläge gehindert werden?

     

    So naiv, ernsthaft zu glauben, bereits die Gründung eines unabhängigen palästinensischen Staates würde dazu ausreichen, kann nun wirklich niemand sein.

     

    Es bleibt eigentlich nur die Frage: Was steht hinter diesen Beiträgen in der taz? Böse Absicht, blanke Naivität oder doch nur schiere Dummheit?

     

    Einen Vorteil hat das Ganze allerdings, über den sich aber wohl die Befürworter nicht ganz klar sind:

    Ein Raketenangriff eines souveränen palästinensischen Staates -möglicherweise mit einer Hamas-Regierung - auf Israel kann dann nicht mehr als "Verzweiflungsakt armer unterdrückter Pali-Terroristen" schöngeredet werden, nichtmal von der UNO. Völkerrechtlich wäre das dann ein Angriffskrieg des palästinensischen Staates und Israel dürfte mit voller Härte zurückschlagen.

     

    Vielleicht hätte das also tatsächlich gute Aspekte.

  • K
    Kai

    Ist das schlimm das Deutschland solidarisch mit Israel ist? Die Linken sollen da eh mal ganz ruhig sein. Die sind ja auch lieber solidarisch mit Hezbollah, Hamas und anderen Faschisten wenn gegen Juden geht...