Debatte Syrien: Mein Witz ist meine Waffe
Videos auf YouTube zeigen, mit wie viel Humor die Protestierenden in Syrien auf Denunziationen seitens des Regimes reagieren. So entsteht Zivilgesellschaft.
W er protestiert eigentlich in Syrien? Wie funktionieren Meinungsbildung und Kommunikation in einem Staat, in dem unabhängiger Journalismus lebensgefährlich ist und sich die offiziellen Medien zur nationalen Lachnummer degradiert haben?
Wie auch schon bei den Demokratiebewegungen in Tunesien und Ägypten spielen Facebook und YouTube eine wichtige Rolle. Viele, zumal junge Syrer organisieren sich, schreiben Artikel, gründen Facebook-Gruppen und laden Videos hoch. Innerhalb kurzer Zeit wurden hunderttausende Syrer überall auf der Welt von der Erkenntnis gepackt, das Schicksal des Landes mitgestalten zu können. Der Hunger nach politischer Partizipation ist groß nach all den Jahren des verordneten Schweigens.
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Auch für den westlichen Beobachter sind Facebook und YouTube eine der raren Möglichkeiten, etwas mehr vom Charakter des Konflikts zu begreifen. Dabei fällt vor allem der subtile Humor der Protestierenden auf.
Die Ostfriesen Syriens
die Islamwissenschaftlerin unterrichtete 2009 -10 für den DAAD an den Universitäten Aleppo und Damaskus in Syrien. Heute ist sie wiss. Mitarbeiterin an der Universität Göttingen
Da wäre etwa die Sache mit den Bakterien. Nachdem Baschar al-Assad in einer Rede am 20. 6. die Demonstranten indirekt als "Bakterien" bezeichnet hat, haben unzählige Syrer ihr Facebook-Profilbild durch cartoonartige Abbildungen von Bakterien ersetzt. Ruck, zuck war die Facebook-Seite "Wir alle sind Bakterien" gegründet. Auch die Bezeichnungen als "Infiltrierte", "Banden" und Terroristen", mit denen das Regime die Demonstranten denunziert, haben als ironische Selbstbezeichnung Einzug in das Vokabular der Protestierenden gehalten. Zudem wurde "Emirat" sprichwörtlich, das laut dem Pro-Regierungs-Fernsehen in der Stadt Homs ausgerufen worden ist. Ein verzweifelter Versuch der Regierung, die völlig weltlichen Proteste als islamistisch zu verunglimpfen.
Insbesondere die Stadt Homs hat eine Vorreiterrolle eingenommen im kreativen Umgang mit den Vorwürfen des Regimes. Das verwundert nicht weiter, sind die Bewohner doch so etwas wie die syrischen Ostfriesen, und ein Großteil der im Land kursierenden Witze stammt aus dieser Region.
Die Videos beziehen sich unverkennbar auf Reden des Präsidenten oder Meldungen des Staatsfernsehens. So rief der Vorwurf, die Demonstranten seien Mitglieder bewaffneter Banden, große Empörung hervor. In Videos mit Titeln wie "Waffenfund in Homs" sieht man junge Männer, die sich mit "Waffen", gebastelt aus Haushaltsgegenständen wie Ofenrohren oder Wagenhebern, und mit "Munition" aus Feuerwerkskörpern oder Gemüse, "Schießereien" mit den Sicherheitskräften liefern. Wobei diese leider tatsächlich bewaffnet sind und schießen. Die Klicks solcher Videos auf YouTube gehen in die Hunderttausende.
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In einem anderen, auch sehr beliebten Video wird behauptet, man habe nun die viel gescholtenen Terroristen entdeckt. Die Kamera schwenkt auf ein Grüppchen vier maskierter Männer, dem Anschein nach bewaffnet. Der Sprecher ruft die Männer herbei, sie nähern sich, und während er sie über ihre Waffen und ihre Hintermänner befragt, sieht der Zuschauer, dass die Bewaffnung aus so absurden Gegenständen wie Krücken besteht und sich die vermeintlichen Munitionsgürtel aus nichts anderem als Okraschoten zusammensetzen.
Besonders eindrücklich ist ein Video, das eine tatsächliche Konfrontation von Protestierenden und Sicherheitskräften zeigt. Beide Gruppierungen haben sich verschanzt. Die Protestierenden provozieren mit Gesang und Parolen, die Sicherheitskräfte schießen, machen obszöne Bewegungen und versuchen die Protestierenden aus ihrem Versteck zu locken. Auf jeden Schuss antworten diese mit sarkastischen Aua-Rufen. Sie fordern die Sicherheitskräfte dazu auf, die Waffen wegzulegen. Während sich die Protestierenden darauf beschränken, den Sturz des Regimes zu fordern, beleidigen die Sicherheitskräfte die Schwestern der Protestierenden.
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Spaß als Antwort auf Blutvergießen und Gewalt? In Syrien ist Satire eine beliebte Reaktion auf eine Propaganda, die mächtig und gleichzeitig so realitätsfern ist, dass selbst ihre Anhänger gelegentlich mit Unbehagen reagieren. Auch schon vor den Protesten behandelte der kreative Sektor des Landes Themen wie Unterdrückung und soziale Ungerechtigkeit mit viel Humor, allen voran die syrischen Fernsehserien, die weit über die Landesgrenzen hinaus beliebt sind.
Die Jugend lacht
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Die Nachbarstadt Hama möchte in Sachen Kreativität nicht nachstehen. Kürzlich wurde bei YouTube ein Video hochgeladen, in dem jemand von einer Maschine erzählt, die der amerikanische Botschafter bei seinem Besuch in Hama einigen Bandenmitgliedern als Geschenk überreicht habe. Es handele sich um ein hoch entwickeltes Luftabwehrsystem, das etwa ein Viertel des amerikanischen Etats gekostet habe und sämtliche Waffen aufspüren könne, Flugzeuge, Panzer, leichte Schusswaffen und sogar Messer. Und am Nachmittag wasche es die Wäsche. Zu sehen ist eine Satellitenschüssel, befestigt auf einer Tonne, die sich im Kreis dreht und von zwei kleinen Lichtern angeblinkt wird.
Natürlich sind die genannten Videos nicht repräsentativ, aber sie werfen Schlaglichter auf das Selbstverständnis vieler. Während das Regime die Prostestierenden nicht nur mit Waffen, sondern auch mit Beleidigungen zum Schweigen zu bringen versucht, zeigt der Humor der Attackierten, dass große Teile der jungen Generation trotz aller Gewalt der Regierung den Respekt vor ihr verloren haben. Wie aber will sich ein Militärregime dauerhaft halten, wenn zumal die Jungen es verlachen, statt vor ihm zu kuschen?
So machen diese Videos Mut, denn sie zeigen, dass friedliche und selbstironische Protestierende, die das Schicksal des Landes in die eigenen Hände nehmen wollen, sich großer Beliebtheit erfreuen. Das macht Hoffnung auf das, was nach dem nunmehr unausweichlichen Sturz des Systems kommen mag. Andererseits sind die Videos auch bedrückend, dokumentieren sie doch, wie groß die Kluft ist zwischen den Nutznießern des Systems und denjenigen, die jahrzehntelang systematisch benachteiligt wurden und jetzt auf die Straße gehen, um ihre Rechte einzufordern.
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