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Debatte Stuttgart 21Das Labor von Stuttgart

Kommentar von Ralf Fücks

Die Regierungen und Parlamente müssen lernen, dass sie nicht immer das letzte Wort haben. Der Weg führt von der Zuschauer- zur Teilhabedemokratie.

Auch die "Stuttgart 21"-Befürworter haben die Straße als Forum entdeckt: Bahnchef Rüdiger Grube am Samstag auf dem Stuttgarter Schlossplatz. Bild: dpa

I m Konflikt um Stuttgart 21 wird eine zentrale Frage unserer Verfassung neu verhandelt: die Spannung zwischen repräsentativer Demokratie und Bürgerprotest. "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus", sagt das Grundgesetz. Aber was, wenn die Staatsmacht gegen den Willen eines Großteils der Bürgerschaft steht?

Der brachiale Polizeieinsatz vom 30. September war ein Wendepunkt: Statt ihre Autorität gewaltsam durchzusetzen, setzte sich die Landesregierung vollends ins Unrecht. In einer modernen Demokratie reicht es eben nicht aus, wenn die Regierung über eine parlamentarische Mehrheit plus Polizeihundertschaften verfügt, um die Anerkennung ihrer Entscheidungen zu erzwingen.

"Der Widerstand gegen eine demokratisch getroffene Entscheidung ist undemokratisch" - dieses Verdikt verkürzt die Volkssouveränität darauf, die politische Macht an gewählte Repräsentanten zu delegieren, die fortan die alleinige Entscheidungsgewalt innehaben. Nach dieser Logik ist demokratisch, was von gewählten Mehrheiten beschlossen wurde, basta.

Bild: dpa

Ralf Fücks, Jahrgang 1951, leitet seit 1996 die Grünen-nahe Heinrich Böll Stiftung. Er ist verantwortlich für die Inlandsarbeit der Stiftung sowie für Außen- und Sicherheitspolitik, Europa und Nordamerika.

Wir leben aber nicht mehr in einer Basta-Demokratie, den 68ern sei Dank. Die Leute nehmen die Sonntagsreden vom mündigen Bürger ernst. Sie geben sich nicht mehr damit zufrieden, alle paar Jahre die Inhaber der politischen Gewalt zu wählen. Wer gewählt wird, hat ein politisches Mandat, aber keinen Blankoscheck.

Preis der Sturheit

Es zeichnet eine lebendige Demokratie aus, dass Legitimation nicht nur über Verfahren entsteht, sondern einer kritischen Öffentlichkeit standhalten muss. Die Bürger beanspruchen inzwischen ein Vetorecht gegen Beschlüsse der politischen Gremien.

Die geregelte Form dieses Vetos ist der Volksentscheid, mit dem parlamentarische Mehrheiten ausgehebelt werden können. Das haben wir gerade in Hamburg erlebt. Die ungeregelte Form ist der außerparlamentarische Protest. Wenn er genügend Rückhalt in der Gesellschaft hat, kommt die Regierung in ein Dilemma: Entweder sie bläst rechtzeitig zum Rückzug oder sie zahlt bei der nächsten Wahl einen hohen Preis für ihre Sturheit.

Die Frage, wo politisches Stehvermögen in Arroganz umschlägt, hängt an vielen Faktoren: an der Glaubwürdigkeit, mit denen eine Regierung ihre Sache vertritt, an der Stichhaltigkeit ihrer Argumente und ihrer Dialogfähigkeit mit den Kritikern. Es gibt Entscheidungen, für die eine parlamentarische Mehrheit ihre Abwahl riskieren muss, und es gibt Situationen, bei denen Sturheit zur Torheit wird.

Das ist regelmäßig der Fall, wenn eine einmal eingeschlagene Politik durch völlig veränderte Umstände überholt wird. So ist es der FDP mit ihrem Steuersenkungsmantra ergangen. So geht es auch den Betreibern von Stuttgart 21, einem Projekt, das finanziell wie verkehrspolitisch aus der Zeit gefallen ist. Wenn vierzigtausend Menschen in Stuttgart "Lügenpack" rufen und damit die gewählten Repräsentanten der Stadt und des Landes meinen, ist etwas faul im Staate Dänemark.

Arroganz der Macht

Es beschädigt die Demokratie, wenn sich im Volk der Eindruck verfestigt, dass politisches Engagement gegen die Arroganz der Macht keine Chance hat. Wenn Regierungen sich verrannt haben, zeigt sich politische Weisheit in der Kunst des Rückzugs.

Der niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht hatte das begriffen, als er den Bau einer Wiederaufbereitungsanlage in Gorleben für "politisch nicht durchsetzbar" erklärte. Er entschied sich dafür, den Landfrieden wiederherzustellen - ein altertümlicher, aber hoch aktueller Begriff. Der Landfrieden kann nämlich nicht nur von protestierenden Bürgern gebrochen werden, sondern auch von Regierungen.

Die Bewegung gegen Stuttgart 21 wirkt als Vitaminstoß für die Demokratie. Sie ermutigt, sich einzumischen, Partei zu ergreifen, Bürgerrechte wahrzunehmen, auf die Veränderbarkeit der Politik zu setzen. All das ist ein Gegengift zur schleichenden Erosion der Demokratie, zur Abwendung der Bürger von den Institutionen, zum Legitimationsverlust von Parlamenten und Regierungen.

Genau diese Tendenzen beschrieb der britische Politikwissenschaftler Colin Crouch mit dem Begriff der "Postdemokratie": Die demokratischen Institutionen bleiben bestehen, aber hinter den Fassaden bröckelt die Substanz, die Distanz zwischen politischer Klasse und Gesellschaft wächst, die Demokratie wird zu einer bloßen Formsache.

Die Zweifel wachsen, ob Parteien, Parlamente und Regierungen in der Lage sind, zukunftsverantwortliche Politik zu betreiben statt bloß auf die nächste Wahl zu schielen. Es ist ja nicht von der Hand zu weisen, dass die Parteienkonkurrenz um Wählerstimmen eine Tendenz erzeugt, das langfristig Notwendige auf dem Altar kurzfristiger Vorteile zu opfern. Stimmenfang durch fahrlässige Versprechen, Flucht in die Staatsverschuldung, populistische Demagogie sind Gebrechen des parteipolitischen Betriebs, die wir nur allzu gut kennen. Gleiches gilt für den Einfluss finanzstarker Lobbys auf die Gesetzgebung.

Wenn staatliche Politik als verlängerter Arm von Konzern- oder Verbandsinteressen erscheint, sät sie Misstrauen und Verachtung.

Legitimes Korrektiv

Die Zustimmung zur Demokratie ist nicht für alle Zeit garantiert. Sie muss in jeder Generation erneuert werden. Die Republik schaut auf Stuttgart, weil dort erprobt wird, wie das gehen kann. Der Weg führt von der Zuschauer- zur Teilhabedemokratie.

Verwaltungen müssen lernen, Eigensinn und Sachkompetenz der Bürger nicht als Störfaktor, sondern als produktive Kraft zu begreifen. Regierungen und Parlamente müssen lernen, dass sie nicht immer das letzte Wort haben. Man muss nur das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beim Wort nehmen: Das Volk übt seine souveräne politische Macht in Wahlen und Abstimmungen aus. In Bürgerentscheiden und Volksabstimmungen liegt gewiss keine höhere Weisheit. Aber sie sind ein legitimes Korrektiv, wenn sich die Mehrheit der Bevölkerung in der Politik ihrer Repräsentanten nicht mehr wiederfindet. Und sie können den Weg aus einer politischen Sackgasse weisen - wie jetzt in Baden-Württemberg.

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13 Kommentare

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  • H
    hto

    Damit die Masse in der konfusionierenden Überproduktion von Kommunikationsmüll für das "gesunde" Konkurrenzdenken des "freiheitlichen" Wettbewerbs FUNKTIONIERT, gibt es im geistigen Stillstand seit der "Vertreibung aus dem Paradies" die zeitgeistliche Bildung zu Suppenkaspermentalität auf Sündenbocksuche - SCHEINBAR abweichend, aber bei genauer betrachten auch systemrational dazu, gibt es immer wieder Spitzen(zeiten) von "alternativer" Geisteskrankheit!?

  • P
    peterle

    was für ein Quark, dieser Text.

     

    "Es beschädigt die Demokratie, wenn sich im Volk der Eindruck verfestigt, dass politisches Engagement gegen die Arroganz der Macht keine Chance hat."

    heißt das: es macht nichts, wenn Engagement chancenlos ist - nur merken sollen wir es nicht, der Eindruck soll ein guter sein, auch wenn die Realität schlecht ist?

     

    "Die Zweifel wachsen, ob Parteien, Parlamente und Regierungen in der Lage sind, zukunftsverantwortliche Politik zu betreiben statt bloß auf die nächste Wahl zu schielen."

    Sie schielen ja kaum noch auf Wahlen - wenn die eine Fraktion der Parteien des Kapitals und des Militärs verbraucht ist, kommmt halt die nächste dran.

    1998 s/g -> r/g: Krieg gegen Serbien, Gewerbesteuersenkung, Afghanistankrieg, Hartz IV

    2005 r/g -> s/r: Rente mit 67, Afghanistankrieg, dt. Militär vor Libanon+Somalia, 500+Mrd Bankensubvention

    2009 r/g -> s/g: Hotel-MwSt, Laufzeitverlängerung, weitere Sozialkürzungen

    et da capo ad infinitum?

  • S
    Schindler

    Da mir Steuergelder entwendet werden ohne dass ich seither Einfluss nehmen konnte WOFÜR diese verwendet werden, bin auch ich nun endlich auf der Strasse.

    Es sollten doch bitte all die Menschen, denen der Staat permanent in die Tasche greift entscheiden ob der Bahnhof oder sonstiges von ihren Steuergeldern bezahlt wird.

    Aber bitte informieren Sie sich VORHER GUT, WER von diesem Projekt wirklich etwas hat.

    Wissen ist Macht und Eigenverantwortung ziemlich unbequem.

  • M
    Markus

    Selten so einen Unfug gelesen.......

  • HK
    Hans-Jürgen Kapust

    Der Wolf, bzw. Fücks hat gelernt Kreide zu fressen. Ralf Fücks hat zugegeben, dass auch Rot-Grün zu ihrer Zeit eingebrochen sind vor der Drohung der Finanzlobby, Kapital aus Deutschland abzuziehen, wenn sie Hedgefonds mit ihren Aktivitäten verbieten würden, bzw. nicht zulassen.

  • H
    hto

    Teilhabe am multischizophrenen Polittheater der parlamentarischen "Demokratie" - NEIN DANKE!!!

     

    Wenn ich ihre illusionär-entrückten Ausführungen / Wunschvorstellungen so lese, dann wünschte ich ich könnte in ihre "grüne" Gedankenwelt eindringen - Psychopharmaka, psychedelische Drogen, Leben in einer anderen mikrokosmologischen Welt???

  • VS
    Volkes Stimme

    Das klingt ja alles sehr vernünftig. Wie wäre es denn mit einem Volksentscheid zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr, Herr Fücks?

  • SW
    Stefan Wössner

    Was soll das heißen:

    "Statt ihre Autorität gewaltsam durchzusetzen, setzte sich die Landesregierung vollends ins Unrecht."

     

    Die Regierung hat sich ja wohl gewaltsam durchgesetzt, oder?

  • FK
    Fritz Katzfuß

    Das war ein Schlag in die Magengrube heute morgen, den Mann sehen zu müssen,der den guten Namen Heinrich Bölls entführt hat.

  • HR
    Horst Rabatz

    Mal sehen, ob mein Beitrag frei gegeben wird. Gut. Herrrr Füchs behauptet: "Wir leben aber nicht mehr in einer Basta-Demokratie, den 68ern sei Dank."

    Nun, unter Rot-Grün wurde Deutschland Kriegsteilnehmer, wurde Hartz IV eingeführt mit Hilfe eines Basta-Kanzlers und dieser hat die Basta-Demokratie in D kultiviert. Danke, oh ihr 68er, die den Marsch durch die Institutionen fortsetzt und genauso seit wie die, die ihr ja angeblich so verachtet.

  • HM
    H. Mann

    Ja alle Macht geht vom Volke aus, aber diese Macht üben wir durch das aktive und passive Wahlrecht aus. Das Demonstrationsrecht stellt eine Möglichkeit dar, die Meinung frei kund zu tun und ist somit durch das Recht auf freie Meinungsäußerung und durch das Recht auf Versammlungsfreiheit gesichert. Es stellt somit eine Ergänzung dar, darf aber niemals als Ersatz zum Wahlrecht missbraucht werden. Überlegen Sie mal: auch Nazis und Kommunisten haben die Medien missbraucht, haben Aufmärsche organisiert, haben Versammlungen abgehalten, aber niemand würde auf die Idee kommen zu behaupten dass das eine "neue Art der Demokratie" war.

    Wir sollten aufpassen, dass wir Demokratie nicht mit Anarchie verwechseln und unsere demokratischen Grundrechte nicht auf dem Altar einer neuen totalitären Bewegung opfern. Auch wenn es für manche sehr verlockend erscheint, hier wird mit dem Feuer gespielt! Das Pendel kann schnell in die Gegenrichtung ausschlagen und diejenigen die heute Hurra schreien, könnten zum ärgsten Feind werden.

     

    Sollte sich die Haltung der Medien nicht ändern werde ich etwas tun müssen was ich noch nie getan habe - CDU wählen...

  • UB
    Ulrike Braun

    Herr Fücks hat m.E. im Großen & Ganzen recht mit seiner Analyse. Allerdings sollte er eines nicht außer Acht lassen: dass die Legitimität auch jedweder direkten Beteiligung des Volkes bei solchen Entscheidungen wie S21 damit steht und fällt, WER WIE und WORÜBER abgestimmen darf. In diesem Fall konkret:

     

    Die Bürger des Landes dürfte NUR über die Neubaustrecke (NBS) abstimmen, da auch nur diese Ba-Wü-relevant ist.

    NUR die Bürger der Stadt Stuttgart dürfen über den Durchgangsbahnhof abstimmen, da dieser für die NBS nicht zwingend notwendig ist.

     

    Sprechen sich dagegen die SPD und womöglich auch die Grünen (Obacht, Herr Özdemir!!) dafür aus, dass nur das LAND über Neubaustrecke UND Durchgangsbahnhof entscheiden sollen, dann machen sie sich das unselige Oettinger-Junktim zu eigen, das sachlich in keiner Weise gerechtfertigt ist.

    Das würde ich dann nicht nur blauäugig od peinlich, sondern Augenwischerei oder Rosstäuscherei nennen!

     

    Auch so könnten Bestrebungen für mehr direkte Demokratie ad absurdum geführt werden!!

  • RK
    Rüdiger Kalupner

    "Der Weg führt von der Zuschauer- zur Teilhabedemokratie." Harmloser und blauäugiger geht's nicht mehr.

     

    Es müßte genauer heißen, 'der Weg führt von der Herrschaft des wirtschaftlichen Clans des 2%Wachstumszwang-Regime der KAPITALSTOCKMAXIMEIRER', die sich die demokratischen Institutionen unter den Nagel gerissen haben, unter die Herrschaft der freiheitlichen, KREATIVEN Fortschrittsordnung.

     

    Die Ordnung des KREATIVEN Evolutionspfades - das ist der zu Ende gedachte öko-liberale ORDOliberalismus - ist auf das Ziel der Maximierung menschlicher Fähigkeiten gerichtet. Nur der kann evolutionsprozess-logisch u n d wird das Ergebnis der globalen Systemkrise sein.

     

    Die Steuerungs- und Institutionen-Instrumentarium des KREATIVEN Evolutionspfades sind erkannt. Sie müssen nur noch in die öffentliche Diskussion kommen. Das kann Stuttgart21 leisten.

     

    Der Stuttgart21-Protest hat sein Ziel erreicht, wenn die Vorgeschichte - als Projektteil des bundesweit herrschenden 2%Wachstumszwangregime - öffentlich vorgetragen wird. Transparenz über's Ganze sollte das Ziel in Stuttgart sein. Erst Transparenz, dann folgt der Sturz der fast-geheim agierenden KAPITALSTOCKMAXIMIERER-Clans von allein.