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Debatte StrompreisBlockieren wie beim Catenaccio

Kommentar von Martin Reeh

Das Gesetz zu Erneuerbaren Energien ist richtig. Um glaubhaft zu bleiben, muss die Lobby jetzt aber aufhören, sinnlose Subventionen zu nutzen.

Alles voll: Kann es auch zu viele Windräder geben? Bild: dapd

A ls hätte es die Energiewende nie gegeben: Im Herbst 2012 stehen sich in der Strompreisdebatte wieder die alten Lager gegenüber. Auf der einen Seite etwa Vattenfall-Chef Tuomo Hatakka, der eine Kostenexplosion bei den Erneuerbaren vorhersagt, sekundiert von den Freunden der großen Energiekonzerne aus der FDP; auf der anderen Seite die Grünen und die Branchenverbände der Erneuerbaren, die jede Beschwerde über steigende Stromkosten als Versuch zurückweisen, die Energiewende zu stoppen.

Die Frage ist nur, ob man sich auf diese Interpretation einlässt. Denn natürlich kommt die Kostenfrage dem Wirtschaftsflügel von Union und FDP höchst gelegen, um die Energiewende auszubremsen; aber ebenso gelegen käme der Erneuerbaren-Branche, den Konflikt um steigende Strompreise ausschließlich einem Manöver der Energiewende-Gegner zuschreiben zu können, weil sie dann nicht über ihren eigenen Anteil daran debattieren müsste: über fehlgeleitete und sinnlose Subventionen.

Um die jetzige Debatte um das Erneuerbare-Energien-Gesetz zu verstehen, hilft ein Blick in dessen Entstehungszeit im Jahr 2000. Im Kanzleramt regierte der „Genosse der Bosse“ Gerhard Schröder (SPD), im Wirtschaftsministerium Werner Müller, ein Freund der großen Energiekonzerne. Die Initiative zum EEG ging nicht von ihnen aus, sie kam aus den Fraktionen von SPD und Grünen, darunter dem ausgewiesenen SPD-Linken Hermann Scheer.

Bild: taz
Martin Reeh

ist Redakteur im Meinungsressort der taz.

Sich auf eine staatliche Finanzierung eines Umstiegs zu Erneuerbaren zu verlassen, schien ihnen nicht ratsam, auch weil solche Programme je nach Haushaltslage und politischer Befindlichkeit wieder eingestellt werden konnten. Änderungen im EEG müssen dagegen als Einzelgesetz den gesamten Gesetzgebungsprozess durchlaufen. Der Bundesrat ist zwar nicht zustimmungspflichtig, kann den Prozess aber entscheidend verzögern und damit Zeit für Kompromissverhandlungen erzwingen.

Keine Alternative zum EEG

In dieser taktischen Frage liegt der Grund, warum auch SPD-Linke das EEG bis heute für alternativlos halten. Dabei widerspricht die EEG-Umlage sozialdemokratischen Gerechtigkeitsvorstellungen. Sie wirkt wie eine Mehrwertsteuererhöhung, belastet also die unteren Einkommen überproportional. Hartz-IV-Empfänger zahlen bis heute überdurchschnittlich für Solar- und Windkraftanlagen.

Aus diesem Grund hat einer der sinnvollsten Vorschläge in der jetzigen Debatte keine Chance: Der Bundesverband der Verbraucherzentralen befürwortet das Einfrieren der auf die Verbraucher umgelegten EEG-Umlage bei den aktuell 3,5 Cent pro Kilowattstunde. Alle weiteren Steigerungen würden dann aus dem Staatshaushalt finanziert. Aber die Idee müsste durch denselben Bundesrat, der damit sein zukünftiges Einspruchsrecht abschaffen würde.

Über solche taktischen Beweggründe redet die Erneuerbaren-Lobby nicht gerne – stattdessen wirft sie Nebelkerzen: etwa über die sinkenden Börsenpreise durch Solar- und Windkraftanlagen (stimmt, aber weil Rot-Grün kein Gesetz zur Strompreisaufsicht verabschiedet hat, das dazu verpflichten würde, die sinkenden Preise weiterzugeben, nutzt dies den Verbrauchern nichts) oder über die Befreiung der Industrie von der EEG-Umlage (stimmt ebenfalls, würde aber angesichts der Angst der SPD vor einer Industrieabwanderung ins Ausland auch von der nächsten rot-grünen Bundesregierung nicht verändert).

Taktisch ist das Konzept der EEG-Befürworter bislang aufgegangen. In den bisherigen Kürzungsdebatten, in denen es vor allem um die Solarförderung ging, konnten allzu rabiate Einschnitte spätestens durch den Bundesrat abgebogen werden. Aber die Regelung, die falsche Kürzungen erschwert, macht auch sinnvolle Kürzungen schwieriger. Die Erneuerbaren-Lobby hat dies zu einer gewissen Bunkermentalität verführt.

Alles mitnehmen

Bisher verhielt sie sich in den Debatten um die EEG-Förderung nämlich wie italienische Fußballmannschaften zu Zeiten des unseligen Catenaccio: Nach dem frühen 1:0 (in diesem Fall: der Einführung des EEG) wird hinten dichtgemacht und alles weggegrätscht, was aufs eigene Tor zuläuft. Überförderungen und sinnlose Subventionen werden von der Erneuerbaren-Branche so lange mitgenommen, bis Verbraucherschützer und der Wirtschaftsflügel der Regierung dagegen Sturm laufen, dann wird zunächst die Öffentlichkeit gegen die (angeblichen und tatsächlichen) Erneuerbaren-Gegner mobilisiert. Erst wenn die Positionen nicht mehr zu halten sind, knickt die Branche ein. Die Erneuerbaren-Lobby ist eben eine Lobby wie andere auch.

Jetzt, wo ein Anstieg der EEG-Umlage von 3,5 auf 5 Cent erwartet wird, steht das gesamte Gesetz zur Disposition – eine Debatte, die sich die Branche selbst mit eingebrockt hat. Siehe etwa die Förderung von Solaranlagen auf Freiflächen: Schon vor zwei Jahren strich die Bundesregierung die Zuschüsse für Solaranlagen auf Äckern, nachdem vor allem in Bayern Weiden mit Fotovoltaikanlagen zugepflastert worden waren.

Doch ein Schlupfloch blieb: Solaranlagen auf sogenannten Konversionsflächen wurden weiter gefördert. Es kam, wie es kommen musste: Solarprojektierer bestückten frühere Militärgelände mit gigantischen Anlagen. Auch deshalb wurde im letzten Jahr der von der Bundesregierung geplante Solarzubau um das Doppelte übertroffen.

Was könnten die Befürworter der Erneuerbaren tun? Zunächst müssten sie ihre Taktik ändern und das Streichen unnötiger Subventionen von selbst anbieten. Sie könnten den Vorschlag von CDU- und FDP-Vertretern zur Senkung der Stromsteuer unterstützen. Sie könnten sich dafür einsetzen, dass wenigstens der Netzausbau aus dem staatlichen Haushalt statt von den Verbrauchern gezahlt wird.

Vor allem aber müssten sie signalisieren, dass sie die Sorge um steigende Strompreise ernst nehmen. Denn wenn Konservative und Wirtschaftsliberale über Jahre hinweg mit den Interessen der sogenannten Normalbevölkerung gegen die Energiewende argumentieren können, haben linke Parteien und Ökologen etwas falsch gemacht.

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Von 2018 bis 2020 taz-Parlamentskorrespondent. Zuvor von 2013 bis 2018 Leiter der taz-Inlandsredaktion, von 2012 bis 2013 Redakteur im Meinungsressort. Studierte Politikwissenschaft in Berlin, danach Arbeit als freier Journalist für Zeitungen, Fachzeitschriften und Runkfunkanstalten, Pressesprecher eines Unternehmensverbands der Solarindustrie und Redakteur der Blätter für deutsche und internationale Politik.
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9 Kommentare

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  • M
    Michael

    Ein sehr guter Kommentar zur Sache, der die Chance aufzeigt, wie die Schützengräben verlassen werden könnten. Ich rechne mich eher dem konservativ-liberalen Unternehmer-Lager zu und bin erfreut, dass endlich auch von "links" konstruktiv gedacht und nicht nur auf Abwehr geschaltet wird. Die Energiewende birgt riesige Chancen aber auch riesige Gefahren. Die EE-Branche muss sich bewusst sein, dass die Welt auf Deutschland schaut. Wenn hier die Dinge aus dem Ruder laufen, sind die Erneuerbaren Energien weltweit auf Jahre diskreditiert.

  • W
    Waage

    @lab

     

    ich bin dennoch der Meinung, dass man der "Erneuerbarenlobby" inzwischen genau auf die Finger schauen sollte gerade weil ich grundsätzlich für den Ausbau der EE bin.

     

    Solarzellen gehören aufs Dach. Wenn ein Industriebetrieb eine neue Halle oder ein Bauer eine neue Scheune baut, kann sie konstruktiv gerne für die PV ausgelegt werden. Die Nutzung als Produktionshalle/Lagehalle in der Industrie oder als Maschinenunterstand oder Getreidelager in der Landwirtschaft sollte aber im Mittelpunkt stehen sonst ist es ein "Solarstadel" und das ist eine verkappet Freiflächenanlage die ich ablehne.

     

    PV sollte dezentral und immer im Bezug zu einer vorhandenen Last entwickelt werden. Außerdem finde ich schlimm wie einzelne Personen riesige Fördermengen abstauben. Klar geht auf eine Scheune mehr als auf ein Einfamilienhaus, auch dass es in der Regel mehrere Scheunen sind ist nicht das Problem. Wenn dann aber noch ein 500kW Solarstadel dazukommt, bekommt ein Einziger die Förderung von 100 Kleinanlagen auf Einfamilienhäusern oder einer großen Bürgersolaranlage z.B. auf einer Schule und stellt nicht einmal annähernd die benötigte Last zur Verfügung. Der meiste Strom kann dann nicht im Verteilnetz bleiben und muss aufwändig hoch und dort wo eine Last ist wieder runter transformiert werden muss.

     

    Das uns in der Vergangenheit die Lobby auch noch ganz nebenbei giftige Cadmiumtelluridmodule als besonders toll, am besten automatisch verlegt von Montagerobotern auf riesigen Freiflächenanlagen anonymer Investoren unterjubeln wollte war mehr als dreist und ist Gott-sei-Dank Geschichte- Glück gehabt!

     

    Überhaupt, das große Geld: wer noch nicht erlebt hat wie mit einer unglaublichen Ruppigkeit neuerdings riesige Windkraftanlagen von Kapitalfonds zum Teil gegen massive Anwohnerproteste durchgedrückt werden hat eine Bildungslücke. Ich habe die WKAs in unserer Gegend immer verteidigt obwohl die nicht mal von der kleinen Sorte sind, die passen sich noch in die Landschaft ein, bereichern sie sogar. Wenn jetzt aber noch zwei dutzend Growiane mit über 100m Nabenhöhe dazukommen ist meine Heimat absolut in den Fritten.

     

    Der Biogasboom ist an meinem Heimatdorf bisher noch vorbeigegangen. Wir haben hier deshalb auf den Felder noch 2/3 Getreide und nur 1/3 Mais (wobei von der Maisfläche noch der Raps abgezogen werden muss - aber der stört mich nicht): herrlich ist das mit dem Fahrrad durch so eine offene Landschaft zu fahren!!!

     

    Im Nachbarort mit Biogasanlage hat sich das Anbauverhältnis umgedreht, da wird es im späten Sommer dann ziemlich düster, ganz abgesehen von den durch Kohorten von riesigen Muldenkippern und monströsen Zugmaschinen während der Maiskampagne ruinierten Wirtschaftswege. Die Pachtpreise sind von 400 Euro/ha auf 1100 Euro/ha gestiegen. Wachsen können nur noch die Großbauern, die Kleinen geben nach dem Verlust ihrer Pachtflächen auf.

     

    Ich bin kein Reaktionär und will auch keiner werden, aber wenn wir zum Nachdenken beim EE-Ausbau mal zwischendurch einen Gang runterschalten würden wäre das auch nicht verkehrt.

  • L
    lab

    @Waage

    Der Kommentar geht von einer falschen Grundvoraussetzung aus: nämlich dass - aus Sicht der Allgemeinheit - die Interessen der Fossilen und der Erneuerbaren gleichberechtigt sind und irgendwie im Gleichgewicht sein sollten.

     

    Das sind sie nicht.

     

    Ich brauche wohl hier nicht zu wiederholen, warum ein möglichst rascher Umstieg von fossilen und nuklearen Energieträgern für die gesamte Menschheit sinnvoll ist.

    Es geht den großen Energiekonzernen auch gar nicht unbedingt darum, dies dauerhaft zu verhindern - sondern nur um Zeitgewinn und darum, die Weichen in Richtung Großstrukturen zu stellen.

    Dazu ist jedes Argument recht - wie wichtig den EVUs und ihren Helfern in der Regierung die Stromkosten der Verbraucher wirklich sind, zeigt u.a. dieser Artikel http://www.taz.de/Kunden-zahlen-Offshore-Pannen-/!100671/ .

  • SG
    Stephan Grüger

    Die EEG-Koalition bestand nicht nur aus SPD- und Grünen-MdBs. Dabei waren auch MdBs aus der CDU/CSU-Fraktion. Auch waren es mitnichten nur "SPD-Linke", die das EEG gegen Kanzleramt, Wirtschafts- und - man höre und staune - Umweltminister durchgesetzt haben.

  • A
    alfonearth

    Endlich denkt auch die taz ohne religiösen Eifer mal darüber nach, ob horrende Subventionen für Kapitalanleger und Großbauern, die durch eine asoziale Kopfsteuer finanziert werden, wirklich zur Energiewende beitragen.

    Allerdings kann auch die taz sich anscheinend nicht von alten Feindbildern lösen und unterstellt den Gegnern der Subvention immer noch "böse" Lobbyisten-Motive.

    Aber endlich wird auch mal der Lobbyismus der Verteidiger thematisiert.

    Bravo für einen Vordenker der Ökologie, der auch mal Tabus in Frage stellt.

  • GB
    Gerd Billen

    Der Kommentar trifft die Debattenlage auf den Punkt! Wir brauchen eine nüchterne Bestandsaufnahme der Chancen und Risiken, des Kostens und des Nutzens der verschiedenen Erneuerbaren Energien - und einer intelligenten Antwort auf die Frage, wie eine sichere und bezahlbare Stromversorgung mit einem hohen Anteil von Wind und Wetter abhängiger Energien aussieht.

  • DD
    Der Dutze

    @vic

     

    Erneuerbare Energien sollen konkurrenzfähig sein? Das ist ja wohl ein Witz! Klar, auf die Regierung schimpfen und gegen die FDP sein ist immer modern. Da kann man nichts falsch machen. Und wie soll ein vernünftiger und kostengünstiger Wandel den aussehen, nur mit erneuerbaren Energien? Was kostet dann eine kWh in der Praxis? Alles tolle Schlagworte, wenn es konkret wird, dann kommt nur noch heiße Luft...

  • W
    Waage

    Danke ,

     

    top Kommentar.

     

    Als es nur eine übermächtige Atom- und "Fossil"lobby gab, musste mit allen Mitteln Gegenmacht geschaffen werden.

     

    Heute dagegen stehen sich Atom-, Fossil-, Solar-, Wind- und Biogaslobby fast gleichberechtigt gegenüber. Krawatte wird inzwischen überall getragen. Gelogen und verdreht, geheult und aufgetrumpft wird allerorten bis sich die Balken biegen - ich bins langsam leid.

     

    Pauschal in gut und böse einzuteilen und den "Guten" alles durchgehen zu lassen führt in die Sackgasse!

  • V
    vic

    Ernerbare Energie ist längst konkurrenzfähig.

    Einem vernünftigen und kostengünstigen Wandel im Wege stehen nur die Regierung, da besonders die FDP, und die großen und verwöhnten Energiekonzerne.

    Und leider noch immer zu viele Verbraucher, deren Strom schon immer aus der Steckdose kommt.