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Debatte SicherheitspolitikSchutz der Freiheit

Kommentar von Dieter Rulff

Die Bürger sorgen sich immer weniger wegen der Sicherheitspolitik von Innenminister Schäuble. Diese Veränderung übersehen die eifrigen Verteidiger des Rechtsstaates.

Wer sich einen Reim auf die sicherheitspolitischen Vorstöße von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble machen will, der landet schnell bei Robert Cialdini. Der amerikanische Psychologe entwickelte vor dreißig Jahren auf experimenteller Basis das sogenannte Door-in-the-face-Prinzip. Es beruht darauf, dass ein Proband zunächst mit einer Position konfrontiert wird, die ihm unannehmbar erscheint. Er lehnt erwartungsgemäß ab. Doch steigert sich dadurch seine Bereitschaft, ein leicht verbessertes Angebot anzunehmen. Logischerweise hat das Verfahren schnell Eingang gefunden in das Arsenal erfolgreicher Verkaufsstrategien.

Doch nicht nur jeder Gebrauchtwagenhändler beherrscht diesen Trick. Augenscheinlich lassen sich auch Verschärfungen der Sicherheitspolitik so einfacher durchsetzen. Ob die Einschränkung der Unschuldsvermutung, die gezielte Tötung von Terroristen, der Militäreinsatz im Inneren oder der Abschuss von Passagierflugzeugen und aktuell die Pläne zur Vorratsdatenspeicherung - immer rufen die öffentlichen Überlegungen des Innenministers prompt die erwartete Empörung der Opposition, des Fachpublikums und der Medien hervor. Im Lichte der allgemeinen Aufregung erscheinen die hernach beschlossenen konkreten Gesetzesmaßnahmen als geradezu angemessen.

Die Absichten Schäubles bewegen sich nicht im nüchtern-rechtsstaatlichen Raster der Normenklarheit, der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit. Er artikuliert sich mit Vorliebe im Ungefähren des Sehers, dem einzig Einblick in die terroristische Zukunft gegeben ist. Eine klare Kontur bekommt sein Vorgehen erst im Widerschein der rechtsstaatlichen Kritik, die ihm entgegenschallt. Doch so vernichtend diese Kritik auch ist, so verhallt sie doch meist ungehört. Wer sich also einen Reim auf Schäubles Sicherheitspolitik machen will, der muss auch diese Schwäche seiner Gegner ins Auge fassen.

Seit Jahren ertönt der Daueralarm, dass der Bürger seiner Rechte beraubt, unter Generalverdacht und Totalüberwachung gestellt werde, solchermaßen seine Freiheiten scheibchenweise verliere, es mithin fünf vor zwölf sei. Seit über zwanzig Jahren ist es fünf vor zwölf, doch keiner will die Zeit zurückdrehen. Seit über zwanzig Jahren wird der Rechtsstaat abgebaut, doch er besteht immer noch.

Erst dieser Tage erleben wir mit der Vorratsdatenspeicherung mal wieder einen "bewussten Verfassungsbruch", werden - ob Greis, ob Baby - "82 Millionen Bürger unter Generalverdacht" (Claudia Roth, Grüne) gestellt, bewegen wir uns "einen weiteren Schritt in Richtung Präventionsstaat" (Sabine Leutheusser- Schnarrenberger, FDP).

Die bürgerrechtliche Kritik ist nicht falsch, doch sie ist hermetisch. Sie verbleibt in der Immanenz des Rechtssystems und vermag deshalb dieses nicht zu fassen. Dem rechten Verhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit, dass die Kritiker immer wieder so wortreich gefährdet sehen, ist man nicht näher und nicht ferner gerückt. Denn dieses Maß ist eben keines, welches dem Recht allein innewohnt, es justiert sich gleichermaßen nach seiner gesellschaftlichen Akzeptanz.

Rechtsnormen hängen von ihrer Wirklichkeitsnähe ab und die Einstellung der Bürger zur Sicherheitspolitik und den damit verbundenen Eingriffen des Staates hat sich radikal gewandelt. Wo sich ehedem Hunderttausende gegen eine einfache Volkszählung mobilisieren ließen, sieht sich die Gesellschaft heute weniger vom Staat eingeschränkt, doch zunehmend von Gefahren, die in ihrer Mitte lauern, bedroht.

Dabei korrespondiert die Allgegenwart und gleichzeitige Unsichtbarkeit des Terrorismus, deren Sinnbild neuerdings der konvertierte Terrorist mit bodenständigem Hintergrund ist, der die Erfahrung allgemeiner politischer Desintegration, sozialer Fragmentierung und kultureller Differenzen macht.

Die Warnung vor einem staatlichen Generalverdacht gegenüber der Gesellschaft läuft schon deshalb häufig ins Leere, weil sich diese Gesellschaft nicht mehr als Ganzes denkt - auch nicht gegenüber dem Staat. Zwar sind nach wie vor alle vor dem Gesetz gleich, doch ist dieser rechtsstaatliche Grundsatz unterlegt mit einer gesellschaftlichen Selbstwahrnehmung, die um ihre inneren Differenzen weiß, die, wenn von Taten und Tätertypen die Rede ist, sie in kulturelle und soziale Kontexte einbettet.

Die Verteidiger des Rechtsstaates kennen keine Gesellschaft, sondern nur Rechtssubjekte, deren Interessen rechtsstaatlich geschützt werden müssen, notfalls gegen deren eigene Einsicht. Ihr Reim auf Schäubles Vorgehen ist der Bürger als Manipulationsobjekt einer sicherheitsfanatischen Politik, die seine von ihr forcierten Ängste auf ihre repressiven Mühlen leitet. Dem Bürger wird gleichsam ein falsches Bewusstseins attestiert, hinter dem es gilt, aufklärerisch belehrend seine wahren Freiheitsinteressen zur Geltung zu bringen.

Die rechtsstaatliche Kritik der Sicherheitspolitik verteidigt das Recht, doch sie reflektiert nicht den erheblichen Wandel, dem die mit ihm korrespondierende Staatlichkeit unterworfen ist. Während in der Politologie schon seit Jahren die transformierenden Effekte der Globalisierung analysiert werden und daraus allmählich ein verändertes, wenngleich gebrochenes Demokratiemodell gefiltert wird, verharrt die Selbstwahrnehmung der dritten Gewalt in der Dogmatik eines national geprägten Rechtssystems. Mit dieser Selbstwahrnehmung klagt sie über die Entwicklung zum Präventionsstaat, ohne deren gesellschaftlichen Triebkräfte näher zu betrachten.

Der englische Kriminologe David Garland spricht angesichts dieser gesellschaftlichen Veränderungen zu Recht von der Abschaffung des wohlfahrtsstaatlichen Strafrechts. In der Konsequenz hat sich das Verlangen nach negativer Freiheit vor dem Staat verlagert hin zum Interesse an einer Gewährleistung positiver Freiheit auch durch den Staat, das diesem bereitwilliger Kompetenzen zumisst.

Doch was passiert, wenn der Staat den damit verbundenen Erwartungen nicht mehr gerecht werden kann, wenn er Grenzen seines Handlungsvermögens eingestehen muss? In seinem Verlangen, das Luftsicherheitsgesetz doch noch durchzusetzen, hat der Bundesinnenminister auf die wahrscheinlich einzige verfassungsrechtlich treffende, gleichwohl zweischneidige Begründung zurückgegriffen, dass es letztlich "um die Abwehr von terroristischen Angriffen, die den Staat in seinen Grundlagen erschüttern", gehe.

Ein Staat, der sich in seinen Grundlagen erschüttert zeigen muss, um seine Ziele zu erreichen, ist wahrlich nicht mehr der starke Staat, den die Kritiker als Bedrohung empfinden. "Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet" - diese umstrittene These von Carl Schmitt bewahrheitet sich in der Umkehrung: Wer den Ausnahmezustand ausrufen muss, hat seine Souveränität schon eingebüßt.

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