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Debatte Schwarz-grünGrüne sind immer noch links

Ulrike Winkelmann
Kommentar von Ulrike Winkelmann

Die schwarz-grüne Koalition in Hamburg wird möglich, gerade weil die Grünen eine linke Partei sind: Die Union will von der moralischen Integrität ihrer neuen Partner profitieren.

S ind die Grünen jetzt rechts, weil sie mit der CDU koalieren? Längst eine Öko-FDP ohne sozialen Verstand? Aber nein. Sofern man das Links-rechts-Schema aufs Parlament anwenden möchte, sollten die Grünen weiterhin an ihrem Anspruch gemessen werden, eine in sich demokratische, soziale und ökologische Partei - also links zu sein.

Diese Vermutung entspricht natürlich vor allem dem romantischen Selbstbild der meisten Grünen und ihrer Wähler. Doch empfinden es nicht nur die Grünen als dramatische Frage, ob und wie die Partei in Hamburg mit der CDU, vielleicht bald im Bund mit Union und FDP koalieren kann, ohne ihre Identität zu verlieren. Über die Parteigrenzen hinweg wird den Grünen eine linke, moralische Integrität zugesprochen. Dies befeuert nun die allgemeine Erregung über ein "schwarz-grünes Projekt".

Auch und gerade Rechtsliberale sind von dieser Aufregung infiziert: Sie werden nicht nur vom Wunsch getrieben, dass die Grünen der CDU (plus FDP) zur Regierungsmehrheit verhelfen sollen. Sie hoffen zugleich, dass die neuen Partner den verwaschenen Konservatismus und langweiligen Arbeitgeberlobbyismus der CDU politkulturell aufzuwerten vermögen.

Diese Hoffnung der Union ist nicht abwegig. Ihre Bürgerlichkeit macht die Grünen CDU-kompatibel. Doch ist es eben ausgerechnet der klassische bürgerliche Idealismus, der den linken Kern der Partei ausmacht. Grüne haben Geld und Bildung. Dennoch machen sie das Abgeben zum Programm: in der Gemeinschaftsschule, in der Bürgerversicherung, beim Klimaschutz. Die Uneigennützigkeit ist der lebendige Funke der Grünen, er macht sie auch in den Augen Andersdenkender erst besonders.

Links daran ist, die Interessen der Bessergestellten gesetzlich zur Disposition zu stellen - auch wenn es tatsächlich etwas kostet, also Umverteilung bedeutet. Die Bürgerversicherung würde die Gutverdiener in ein Sozialsystem mit dem Rest der Gesellschaft zwingen. Klimaschutz würde das Recht auf Ressourcenverwendung gerechter verteilen. Die Gemeinschaftsschule würde Arbeiter- und Migrantenkindern faire Chancen geben.

Es ist außerdem nicht wahr, dass das Zeitalter des Postmaterialismus vorbei und mit der alten Westbundesrepublik untergegangen sei. Das Bedürfnis, um des eigenen Heils willen nicht nur das Kleingeld in Spendendosen zu werfen, sondern eine neue Politik zu fordern, mag insgesamt nachgelassen haben. Doch allein schon die wachsende Ungleichheit in Deutschland und die Folgen des Klimawandels werden dafür sorgen, dass weiterhin die Kinder von Gutverdienern für mehr Gerechtigkeit in die Welt ziehen.

Deshalb sind die Grünen auch kein Generationenprojekt - jedenfalls nicht mehr, als Parteibindung generell ein Generationenprojekt ist. Die Population aller Parteien altert, doch immerhin haben die Grünen mit knapp 30 Prozent unter 40-jährigen Mitgliedern mehr junge Leute als die anderen.

Wahr ist, dass der linke Kern nach sieben Jahren Rot-Grün nicht immer erkennbar ist. Die Regierungsbeteiligung hat die Grünen unendlich geschwächt, und seit 2005 konnten sie sich nicht regenerieren. Das Führungspersonal hat die relative Muße der Opposition vor allem für internes Machtgezerre genutzt. Die Bundestagsfraktion schafft es nicht, sich im großkoalitionären Getöse bemerkbar zu machen. Aus den Landesverbänden kommt wenig Stoff, aus dem sich Bundespolitik stricken lässt. Schon das Problem, den Bundesvorsitz neu zu besetzen, spricht für sich.

In der Koalition mit Gerhard Schröder haben die Grünen entsetzliche Fehler gemacht. Sie haben sich von der SPD in der gesamten Sozialpolitik schlicht platt trampeln lassen - nicht zuletzt, weil Joschka Fischer sich dafür nicht interessierte. In Arbeitsmarkt-, Renten- und Gesundheitspolitik hatten die Grünen über Jahre entweder unfähige oder nicht durchsetzungsfähige Leute am Start. Auf Parteitagen über die Bürgerversicherung zu debattieren, im Alltagsgeschäft aber erst aufzuwachen, wenn der Absatz der süddeutschen Homöopathie-Hersteller bedroht ist, reicht eben nicht.

Aus demselben Grund werden die Grünen nun auch vom Thema Altersarmut von ihrer eigenen Vergangenheit eingeholt - sie haben bei Walter Riesters, Ulla Schmidts und Franz Münteferings Rentenreformen schlicht nicht mitgerechnet. Das Greinen der Gewerkschaften fanden sie blöd. Man habe damals halt "in ideologischen Gräben gesessen", formuliert der scheidende Bundesvorsitzende Reinhard Bütikofer heute. Sachverstand hätte da bestimmt geholfen.

Durchsichtig ist auch der Versuch, sich jetzt mit dem Mindestlohn zu profilieren, den die Grünen noch kürzlich unter linkem Populismus verbuchten. Oh ja, zu rot-grünen Zeiten hielten die Grünen den freien Fall der Löhne für eine sinnvolle Ausweitung des Niedriglohnsektors.

Doch sind die Grünen durch die unrühmlichen rot-grünen Jahre nicht zu einer rechten Partei geworden. Die Basis nutzt seit 2005 jeden Parteitag, das Programm nach links zu zerren und so die Funktionäre zur Abkehr vom Agenda-Kurs zu zwingen. Gegen die Steuersenkerfront um Finanzfrau Christine Scheel treten jetzt die Neoumverteiler um Gerhard Schick und Wolfgang Strengmann-Kuhn an. Mit dem "Ökobonus", der die soziale mit der ökologischen Frage verbinden soll, werden sie sich möglicherweise nicht durchsetzen - mit dem Anspruch, den Besserverdienenden kein weiteres Geld zu schenken, schon.

Scheel und Freunde ahnen bereits, dass die Strategie, der Basis Raum nach links zu geben, um gleichzeitig an der Spitze machttaktisch nach rechts zu steuern, sich bald rächen könnte. "Die Republik braucht keine dritte linke Partei", sagen sie. Mit ungefähr derselben Berechtigung ließe sich allerdings behaupten, dass die Republik auch keine fünfte rechte Partei braucht (sofern man CSU und CDU getrennt zählt und davon ausgeht, dass die SPD-Linke sich bis auf Weiteres nicht durchsetzt).

Denn auch durch das Hamburger schwarz-grüne Bündnis werden die Grünen zu keiner rechten Partei. Gegenwärtig sieht es so aus, als hätten sie in den Verhandlungen mit der CDU einiges durchgesetzt. Schafft Schwarz-Grün in Hamburg jetzt tatsächlich mehr Bildungsgerechtigkeit und Chancen für Migranten mit jedwedem Rechtsstatus, darf das als linke Politik gelten - dann eben mit der CDU.

Letztlich entscheiden wird sich aber die Frage nach dem solidarischen, also linken Kern der Grünen in der nächsten Koalition auf Bundesebene - ob nun mit CDU oder SPD. Versagen sie dann erneut in der Renten-, Gesundheits- und Arbeitsmarktpolitik, schrumpfen die Grünen zu einer randständigen Ökomarkttruppe zusammen. Die bis dahin modernisierte Linkspartei wird die linke Hoheit über die Sozialthemen übernehmen. Diejenigen, die den Grünen heute schon den Idealismus absprechen, werden dies begrüßen. Wer heute bei den Grünen den Idealismus noch erkennt, hat dann eine andere Wahl.

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Ulrike Winkelmann
Chefredakteurin
Chefredakteurin der taz seit Sommer 2020 - zusammen mit Barbara Junge in einer Doppelspitze. Von 2014 bis 2020 beim Deutschlandfunk in Köln als Politikredakteurin in der Abteilung "Hintergrund". Davor von 1999 bis 2014 in der taz als Chefin vom Dienst, Sozialredakteurin, Parlamentskorrespondentin, Inlandsressortleiterin. Zwischendurch (2010/2011) auch ein Jahr Politikchefin bei der Wochenzeitung „der Freitag“.
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6 Kommentare

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  • K
    Kira

    Moralische Integrität ?

    Selten so gut gelacht , nach der Kultur des Wegesehens und dem Verbechen des Multikultarismus hat wohl keine Ideologie weniger moralische Integrität als alles was sich als Links bezeichnet.

  • AZ
    anke zoeckel

    Welch eine Frage! Sind die Grünen jetzt rechts? Meine Güte! Wer soll das sein, die Grünen? Und wo, zum Henker, ist rechts, wann ist jetzt?

     

    Weder kann DEN Grünen guten Gewissens eine linke, moralische Integrität zugesprochen werden (dagegen spricht schon der Umstand, dass ein doch recht einseitig interessierter Herr namens Fischer über einen längeren Zeitraum hinweg das gute Gefühl pflegen konnte, er sei eine ganze Partei), noch geht es DEN Christdemokraten darum, sich im Glanz dieser grüner Integrität zu sonnen. Bestimmte Leute in der CDU wollen den freien Fall ihres Brötchen- und Prestigegebers aus der kuschligen Wolke namens Volkspartei virtuell aufhalten, das ist alles. Und was bestimmte Führungskräfte innerhalb der Partei die Grünen immer wieder neu und neuerdings ganz besonders dringend zu wissen wünschen, ist: Haben wir sie noch, oder haben wir sie nicht mehr, die Lizenz zum Politisieren? Wo verläuft deine Schmerzgrenze, lieber Wähler, und wie beweglich ist sie?

     

    Sie werden keine befriedigende Antwort bekommen, die Polit-Strategen. (Nicht, dass ich annehmen dürfte, das würde sie stören...) Denn erstens gibt es den Wähler so wenig wie es die Partei gibt, und zweitens gibt es keine singuläre Schmerzgrenze. Es gibt vielmehr Tausende davon, und die verlaufen kreuz und quer an ganz verschieden Stellen durch jeden einzelnen Bürger. Die grüne Schulpolitik beispielsweise interessiert in erster Linie die Eltern und Großeltern unter den grünen Wählern. Es ist allerdings noch keineswegs ausgemacht, dass der Zitat: lebende Funke der Uneigennützigkeit tatsächlich in jedem potentiellen Grünen-Wähler zur wärmenden Flamme (oder auch bloß zum gültigen Kreuzlein auf einem Wahlzettel) wird angesichts mangelhafter praktischer Umsetzung theoretischer Großtaten an der jeweils zuständigen Basis.

     

    Sich die ersehnte Bestätigung seiner vermeintlich unter Zwang getroffenen Entscheidungen aus den Medien holen zu wollen, ist jedenfalls in hohem Grade riskant. Die sogenannte Bodenhaftung lässt sich durch Autosuggestion nicht ersetzen. Aber woher, frage ich mich, sollen ausgerechnet die behütet aufgewachsenen Kinder der Gutverdienenden das wissen? Sie ziehen, fürchte ich, nicht nur deswegen für mehr Gerechtigkeit in die Welt, weil sie mit Blick auf ihre Herkunft meinen es tun zu müssen. Sie werden auch bloß so lange unterwegs sein, wie sie glauben es sich leisten zu können.

     

    Die Kinder von Gutverdiener sind nicht per se die besseren Menschen. Sie hatten nur die größeren Chancen. Dass einige von ihnen noch immer bereit sind, die eigenen Privilegien mit anderen zu teilen, ist (nicht nur für grüne Polit-Strategen) eine gute Nachricht. Wenn auch eine ohne jede Nachhaltigkeits-Garantie.

  • F
    frustus

    Ach, es ist frustrierend. Ich sehe mich seit einiger Zeit gezwungen, bei Wahlen den Grünen durch meine Erststimme meine grundsätzliche Sympathie zu signalisieren, zugleich aber mit meiner Zweitstimme die LINKE zu wählen, weil diese, bei allen Bedenken zu dieser Partei, die einzige ist, die grundsätzlich Kritik an der verächtlichen Behandlung der "Verlierer" (Hartz IV) dieser Gesellschaft übt. Selbst bei Überlegungen, vielleicht einer dieser Parteien beizutreten und mich zu engagieren, blockiert mich dieser Zwiespalt. Auf der einen Seite durch wohlsituierte ex-pseude-wasauchimmer-linke ignoriert, auf der anderen Seite durch unfinanzierbares Wunschdenken und totalitäres Minderheiten-Blah verschreckt - was soll man tun?

  • LP
    Ludwig Paul Häußner

    Nicht links, nicht rechts, sondern vorn als politische Kraft für einen dritten Weg

     

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    Sind nicht die GRÜNEN ursprünglich als Synthese aus den Polaritäten Sozialismus und Kapitalismus entstanden - Stichwort Dritter Weg?

     

    Wer kann sich denn wirklich eine vom Rentenkapitalismus befreite und ökologisch nachhaltige Marktwirtschaft vorstellen, die ausbeutungsfrei ist, mit einer Einkommens- und Vermögensverteilung, die alle teilhaben lässt an der Produktivität unserer Natur und unserer arbeitsteiligen Wirtschaft?

     

    Wer kann sich ein Rechts- und Staatleben vorstellen in der menschlichen Gesellschaft, der Bürger- und Menschenrechte, der demokratischen Mitwirkung an der staatlichen Willensbildung und der privaten Vertrags- und Vereinigungsfreiheit in Kultur und Wirtschaft?

     

    Wer kann sich ein von staatlicher Reglementierung wirklich freies Kulturleben vorstellen die dem Freiheitspostulat für Wissenschaft, Kunst und Religion sowie des gesamten Bildungswesens gerecht wird?

     

     

    In der Tat war Joschka Fischer zuerst ein "Roter" und wurde dann gerade noch zum rot-grünen Politiker.

     

    Insofern ist es eine Chance für die GRÜNEN den dritten Weg auch wirklich beschreiten zu wollen, z. B. mit Ökoabgaben mit Rückvergütung pro SchülerIn, einem bedingungslosen Grundeinkommen, einem globalisierungstauglichen, konsumbasierten Steuerwesen, mehr Volksentscheiden und frei-öffentlichen Schulen und Hochschulen mit staatlich finanzierten Bildungsgutscheinen pro SchülerIn bzw. StudentIn?

     

    Die Ära nach Fischer und Cohn-Bendit ist Stoff fürs Geschichtskundemuseum und bietet den GRÜNEN die Chance sich neu auf ihre Grundaussagen Ökologisch / Sozial / Basisdemokratisch / Gewaltfrei zu besinnen und neue Antworten für das 21. Jahrhundert zu entwickeln.

     

    Ludwig Paul Häußner, Karlsruhe

    Mitglied im GRÜNEN Netzwerk Grundeinkommen

  • AS
    Andreas Schulze

    Was ist links? Diese Frage wird wohl noch in Jahrzehnten intellektuelle Zirkel beschäftigen.

    Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. (…) Inhalt und Ziel (einer) sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein. Durch eine gemeinschaftliche Ordnung soll das deutsche Volk eine Wirtschafts- und Sozialverfassung erhalten, die dem Recht und der Würde des Menschen entspricht, dem geistigen und materiellen Aufbau unseres Volkes dient und den inneren und äußeren Frieden sichert.“Dieses sind Auszüge aus dem Ahlener Programm der CDU von 1947, ein Programm mit dem die heutige rechte Partei CDU mit der Linkspartei konkurieren kann und in ihnen den natürlichen Koalitionspartner hätte. Manche Ansichten der Linkspartei erfreuen selbst Herrn Schäuble und manche Extremrechte haben mit Kapitalismus nichts am Hut. Also sind Begriffe wie links und rechts schwammig,vielleicht Orientierungshilfen für den nicht so Politik interessierten Bürger.Doch wo stehen dann die Grünen? Mit der Wahl eines Ersten Bürgermeisters der mit der Schillpartei aus reinem Machttrieb koalierte haben sie jegliche Glaubwürdigkeit verloren und sind damit in den Kreis derer eingetreten,die für eine Regierungsbeteiligung jegliche Ideale aufgeben eingetreten. Die erzielten Ergebnisse erscheinen mehr ein Verhindern bestimmter Ziele der CDU und mussste die CDU als geringes Opfer den Grünen überlassen,damit sie dieses Mach(t)werk ihrer Basis erklären können.Jeder weiß dass in einer rot-grünen Koalition mehr zu erreichen gewesen wäre,egal ob mit Beteiligung der Linkspartei oder mit deren Tolerierung.Die Sozialdemokraten müssen ein Zusammengehen mit der Linkspartei im Westen der Republik enttabuisieren und dann wird es an den Grünen ihren Platz zu definieren."Links" im umgangssprachlichen Sinne oder als Mehrheitsbeschafferpartei der Besserverdienenden mit grünen statt gelbem Anstrich!

  • H
    Herbert

    Schon mal was von Selbstgefälligkeit gehört? Danke für diesen Beitrag!