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Debatte Ruanda als Musterland AfrikasSich selbst kitzeln und dann lachen

Simone Schlindwein
Kommentar von Simone Schlindwein

Sicherheit, gute Straßen und Glitzerfassaden in der Hauptstadt. Doch der Aufschwung in Ruanda kommt längst nicht bei allen an.

2. August: Eine halbe Million Menschen strömten zu Präsident Kagames Abschlusskundgebung in Kigali Foto: ap

E s gibt kaum eine Sprachkultur in Afrika, in welcher sich die Menschen so doppeldeutig ausdrücken wie die Ruandas. Sprichwörter, Zitate, Prophezeiungen – um komplexe Verhältnisse zu erklären, werden auf Kinyarwanda Floskeln benutzt, um zu vermeiden, etwas direkt auf den Punkt zu bringen.

Das war schon immer so. Derzeit ist es aber besonders augenfällig. Am Freitag sind Präsidentschaftswahlen in dem kleinen Land, das durch seinen brutalen Völkermord 1994 traurige Berühmtheit erlangte. An Präsident Paul Kagames Sieg zweifelt niemand. Es geht einzig darum, das Volk an die Urnen zu treiben.

Dafür wird Massenpsychologie vom Feinsten eingesetzt: In jedem Dorf mahnen die lokalen Führer die Leute, zur Wahl zu gehen. Die Jugend singt und tanzt zu Popsongs, die Kagames Errungenschaften preisen. Straßenlaternen, Leitplanken und Bäume sind mit blau-weiß-roten Wimpeln und Lichterketten geschmückt, den Farben der Regierungspartei.

„Wer Hunger hat, der isst, was auf den Tisch kommt“, drückt sich ein junger Ruander aus – mit einem Sprichwort. Und was kommt da auf dem Tisch? Die Antwort: „Sicherheit und geteerte Straßen.“

Afrikanischen Entwicklungsdiktatur

Ruanda wird international viel gepriesen. In vielen Berichten gilt es als „Musterland“ Afrikas. Die Weltbank spricht von „beeindruckenden Fortschritten seit 1994“. In internationalen Rankings belegt Ruanda afrikanische Spitzenplätze, etwa was Investitionssicherheit und Korruptionsbekämpfung angeht. Das Land wird oft mit Singapur verglichen und als Vorbild einer afrikanischen Entwicklungsdiktatur gehandelt.

Sicher ist: In keinem Land der Region wurde in den vergangenen Jahren so viel gebaggert und geteert wie in Ruanda. Mitten in der Nacht rücken die Dampfwalzen an. Zum Sonnenaufgang glitzert der frische Asphalt vor der Haustür. In Kigali ist der Bauboom schier atemberaubend. Da schrauben sich Hochhäuser in den Himmel, Luxushotels, Messezentren, Straßen, Gehwege, Brücken, Banken, Villen, Reihenhaussiedlungen, Einkaufszentren.

Simone Schlindwein

Jahrgang 1980, berichtet seit 2008 als taz-Korrespondentin aus der Region der Großen Seen. 2016 veröffentlichte sie, zusammen mit Dominic Johnson und Bianca Schmolze : „Tatort Kongo – Prozess in Deutschland“ (Ch. Links Verlag Berlin). Aktuell berichtet sie aus Ruanda über die Wahlen.

Doch die meisten der neuen ­Glitzergebäude stehen fast leer. Sie sind auf Pump gebaut, Teil einer Thea­ter­kulisse, vor welcher das Stück „Wir entwickeln uns alleine und sind stolz darauf“ gespielt wird.

Wer in die Dörfer fährt, der sieht extreme Armut. Es gibt Unterernährung, die Entwicklung ist extrem ungleich verteilt. Doch sie zu hinterfragen, ist gefährlich. „Nicht alle Wahrheit ist richtig“, sagt ein lokales Sprichwort. Wer die ganze Wahrheit sagt, der bekommt Probleme.

Die neuen Bauten sind Kulisse für das Stück Wir entwickeln uns alleine und sind stolz darauf

Die offizielle Linie ist, man wolle sich aus der Abhängigkeit von Entwicklungshilfe lösen und auf eigenen Füßen stehen. 2012 setzte Ruandas Regierung dafür den Nationalen Fonds „Agaciro“ auf, als die internationale Gemeinschaft aufgrund der Einmischung Ruandas im Kongo-Krieg Hilfsgelder einfror. „Agaciro“ bedeutet übersetzt „Würde“. Teile der Gehälter von Staatsangestellten werden direkt abgeführt. Unternehmen müssen in den Fonds einzahlen, um im Geschäft zu bleiben.

Jeder Spender wird auf Twitter als Patriot gelobt. Wer nichts einzahlt, fällt negativ auf. Transparenz laut einzufordern, wagt kaum jemand. Umso lauter der Lobgesang ist, desto weniger lassen sich Dinge in Frage stellen.

Sicherheit und geteerte Straßen – von dem, was auf den ruandischen Tisch kommt, werden die Menschen nicht satt. Vieles, was die Kagame-Regierung in den vergangenen Jahren im Hauruckverfahren durchgedrückt hat, ist nicht unbedingt erfolgreich gewesen.

Die Zukunft ist Englisch

Das beste Beispiel ist der Bildungssektor. Von 2009 an wurde das Schulsystem und die Sprachpolitik umgestellt – im Eiltempo. Französisch, die Sprache der früheren belgischen Kolonialmacht, war nicht mehr angesagt, die Zukunft ist Englisch, wie in ganz Ostafrika.

Von einem Schuljahr aufs andere mussten also französischsprachige Lehrer Biologie oder Chemie auf Englisch unterrichten, mit fatalen Folgen: Das Bildungssystem Ruandas ist heute im Vergleich zu den Nachbarländern das schlechteste. Wer etwas Geld hat, schickt seine Kinder auf Privatschulen.

Wer viel Geld hat, schickt sie lieber gleich aufs Internat nach Kenia oder Uganda, wo sie zumindest richtig Englisch lernen. So zementiert sich die Ungleichheit nachhaltig.

Ruandas Jugend fühlt sich innerhalb der Ostafrikanischen Gemeinschaft, die einen gemeinsamen Arbeitsmarkt eingeführt hat, extrem benachteiligt, das geben viele auch offen zu, ohne sich in Sprichwörtern zu verfangen: „Wenn man isst, was auf den Tisch kommt, ist man danach immer noch hungrig nach Bildung.“

An jeder Ecke ein Soldat

Spaziert man durch Ruandas Hauptstadt Kigali, fällt sofort auf: keine Taschendiebe, kaum Einbrüche, keine betrunkenen Uniformierten an Straßensperren – ganz anders als in den umliegenden Ländern. Sobald es dunkel wird, postiert sich an jeder Straßenecke Kigalis ein Soldat: Funkgerät und Maschinengewehr griffbereit, in Habachtstellung.

Diese Sicherheit ist nicht einfach gegeben, sie muss jeden Tag neu aufrechterhalten werden. Der gigantische Militärapparat ist teuer, das Verfahren arbeitsintensiv und einschüchternd, sie zeugen von Misstrauen.

In Sprichwörtern: „Wenn sich zwei verfeindete Tiere gemeinsam ein Haus bauen und in zwei Zimmern schlafen, haben sie dennoch jede Nacht Angst, dass der eine den anderen umbringt. So schlafen sie nie tief und sobald sie ein Geräusch hören, rennen sie beide davon.“

Das Misstrauen bleibt

Mit den beiden Tieren sind die beiden Bevölkerungsgruppen der Hutu und Tutsi gemeint. 1994 versuchte ein Hutu-Regime, alle Tutsi umzubringen. Heute, unter dem Tutsi Kagame als Präsident, gibt es laut Staatsideologie nur noch „Ruander“. Das Misstrauen aber bleibt. Selbst in der Post-Genozid-Generation werden die meisten Ehen noch immer innerhalb der beiden Gruppen geschlossen.

Am Freitag geht zum ersten Mal jene Generation wählen, die nach dem Völkermord geboren wurde, die sich nicht mehr nur mit Sicherheit zufrieden gibt wie jene, die den Horror von 1994 noch vor Augen hat. Doch eine Wahl haben sie nicht. Wer gewinnt, das steht schon lange fest. Auch dafür gibt es ein Sprichwort: „Das ist, als ob man sich selbst kitzelt und dann lacht“.

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