Debatte Recht auf Stadt: Städte in Bewegung
Der Kampf gegen Mietsteigerungen und Großprojekte vereint in den Städten unterschiedlichste Interessengruppen. Ihr Protest schwankt zwischen Utopie und konkreten Forderungen.
D as Zauberwort Stadt hat in den letzten Jahren von Kiel bis Freiburg und von Berlin bis Wuppertal einen erstaunlichen Mobilisierungsschub bewirkt und zu lokalen Bündnissen geführt, die es seit der längst eingeschlafenen Sozialforumbewegung nicht mehr gegeben hat. Derzeit treffen sich Hunderte AktivistInnen aus Stadtteilgruppen, Mieterinitiativen und stadtpolitischen Netzwerken zum bundesweiten "Recht auf Stadt"-Kongress in Hamburg, um sich über ihre Ziele und Strategien auszutauschen.
Steigende Mieten und umstrittene Investitionsprojekte in den Innenstädten, die fortgesetzte Privatisierung von vormals öffentlichen Wohnungsbeständen und die Kürzungsorgien in den kommunalen Einrichtungen gehören heute in vielen Städten zum Alltag. Längst bleiben die Folgen der neoliberalen Stadtentwicklung nicht auf die traditionell ausgegrenzten Milieus der MigrantInnen, Arbeitslosen und prekär Beschäftigten beschränkt. Auch Lehrerehepaare, JournalistInnen oder Beschäftigte in den Kreativbranchen haben es in München, Frankfurt am Main oder Düsseldorf inzwischen schwer, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Und selbst in Stadtteilen wie Hamburg-St. Pauli, Berlin-Neukölln oder Köln-Ehrenfeld, die lange Zeit als unattraktiv galten, sind die AnwohnerInnen mit dramatisch steigenden Mieten konfrontiert.
All das hat eine Protestbewegung ausgelöst, die nicht mehr nur einzelne Aspekte, sondern die Stadtpolitik als Ganzes in den Blick nimmt. Das Schlagwort Gentrifizierung hat es aus den Nischen der akademischen Debatten und linksradikalen Flugblätter in die Schlagzeilen der überregionalen Zeitungen geschafft und ist zum Smalltalkthema auf Partys geworden. Auch wenn diese Popularisierung mit einer zunehmenden Unschärfe des Begriffs verbunden ist, zeigt sie doch: Stadtentwicklungspolitik ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen.
ANDREJ HOLM, 40, ist Sozialwissenschaftler und lehrt an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er forscht zu Stadterneuerung, Gentrifizierung und Wohnungspolitik im internationalen Vergleich.
Keine Ikea-Filiale in Altona?
Die Anlässe und Protestformen sind vielfältig. Demonstrationen gegen das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21, Bürgerbegehren gegen eine Ikea-Filiale in Hamburg-Altona und das geplante Großprojekt Mediaspree in Berlin, aber auch Mobilisierungen von MieterInnen in ehemaligen Sozialbauwohnungen stehen ebenso wie die Brandstiftungen an Luxusfahrzeugen in Kreuzberg für das Aufbrechen stadtpolitischer Konflikte. Doch um zur Bewegung zu werden, brauchen diese Aktivitäten eine Richtung. Das Konzept "Recht auf Stadt" könnte da eine Orientierung bieten.
Dieser ursprünglich philosophische Ansatz des französischen Urbanisten und Soziologen Henri Lefebvre wird mittlerweile von sozialen Bewegungen und kritischen AkademikerInnen weltweit aufgegriffen, um Forderungen nach einer anderen als der vorherrschenden Stadtentwicklung miteinander in Beziehung setzen zu können. Inhaltlich geht es um den Zugang zu wesentlichen Ressourcen der urbanen Gesellschaft, um die Anerkennung von Differenz sowie die Möglichkeit, künftige Stadtentwicklung mitzugestalten.
Kiezromantik und Aktivismus
Intellektuelle und Initiativen, die sich auf das Konzept beziehen, bieten ein buntes Potpourri aus philosophischer Lefebvre-Exegese, Kiezverteidigungsstrategien, Sozialromantik und Aktivismus. Diese Vielfalt, diese Unterschiedlichkeit und diese Differenzen innerhalb der stadtpolitischen Netzwerke anzuerkennen gehört unbestritten zu den Grundsätzen des "Recht auf Stadt"-Gedankens - eben weil die Stadt oder besser die verstädterte Gesellschaft gar nicht anders zu denken ist als in Unterschieden und Ungleichzeitigkeiten. Gerade internationale Bewegungen, die sich am Recht auf die Stadt orientieren, stehen für solche milieuübergreifende Organisierungsformen.
Grundsätzliche Utopien und reformpolitische Forderungen halten dabei die Balance. So verstehen brasilianische Obdachlosenbewegungen unter ihrem "Recht auf Stadt", dass sie sich leer stehende Häuser aneignen. Unter dem gleichen Label streiten städtische Initiativen in Buenos Aires und Istanbul dafür, den Wohnraum in den informellen Siedlungen der Metropolen zu legalisieren, während "Right to the City"-AktivistInnen in den USA eine bessere Kommunalpolitik, mehr Transparenz der öffentlichen Finanzen und die Mitsprache bei stadtpolitischen Entscheidungen einfordern.
Dahinter stehen Utopien einer anderen Stadt und einer befreiten Gesellschaft. Aber konkret geht es um Forderungen von MigrantInnen und Illegalisierten, prekär Beschäftigten und ausgeschlossenen Jugendlichen, von Sexarbeiterinnen und Obdachlosen.
In Deutschland sind diese Bevölkerungsgruppen in den "Recht auf Stadt"-Netzwerken eher selten anzutreffen. Ein Grund, warum gerade jene Initiativen und Stadtteilgruppen, die auf eine Basisorganisierung von Marginalisierten setzen, dem Hype um den neuen Modebegriff eher kritisch gegenüberstehen. Manche befürchten sogar, dass die Unbestimmtheit des Begriffs "Recht auf Stadt" die Konturen sozialer Konflikte und Demarkationslinien in umkämpften Räumen verdeckt.
Utopien und reale Reformen
Das Spannungsverhältnis von utopischen Visionen und reformpolitischen Ansätzen auszuloten bleibt dabei sicherlich die größte Herausforderung. Denn utopische Entwürfe einer befreiten Gesellschaft halten für die akuten Problemlagen nur selten konkrete Antworten bereit.
In linken Debatten wird immer wieder gerne mit der grundsätzlichen Haltung gegen das System kokettiert. Die Zeit der Forderungen sei vorbei, heißt es dann. Gemeint ist, dass Probleme jenseits der staatlich-administrativen Regulationsversuche auf eigene Faust gelöst werden sollen. Das klingt toll, nützt aber den MieterInnen von Gammelhäusern im Konflikt mit ihrer Wohnungsverwaltung, den von Abschiebung bedrohten Romafamilien oder den Hartz-IV-Betroffenen mit Kostensenkungsaufforderung erst einmal recht wenig. Die "Recht auf Stadt"-Initiativen werden sich auch daran messen lassen müssen, ob es ihnen gelingt, für all diese Probleme eine Strategie zu finden - und ihre Forderungen auch durchzusetzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“