Debatte Polit-Talkshows: Sprechschau und Schausprech
Sie fördern nicht, nein, sie zerstören die Demokratie. Ein Plädoyer für die Abschaffung der Talkshows, wie wir sie kennen.
Wir fragen uns ja immer, was ist nur aus unserer guten alten Demokratie geworden. Natürlich träumen wir, während wir uns das fragen, ziemlich wahrscheinlich von einer Demokratie, die es nie gegeben hat. Aber gut, es war wenigstens von ihr zu träumen. Vielleicht sogar vom wirklichen und wahrhaftigen „Mehr Demokratie wagen“, wer weiß. Besonders heftig, scheint’s, erwischt einen dieser Nostalgietraum gelegentlich beim Fernsehen, wenn man etwa vom Sonntagsabendkrimi hängenbleibt und in die Talkshow dämmert. Vielleicht sind Talkshows ja nicht an allem schuld. Aber so viel ist sicher: Wo es Talkshows gibt, gibt es keine Demokratie. Und mehr Demokratie schon gar nicht.
Keine politische Partei, kein Politiker und keine Politikerin kann es sich leisten, die Talkshows zu boykottieren und der Anforderung zu entsagen, darin a) eine gute Figur zu machen und b) den anderen möglichst obstruktiv an demselben Ziel zu hindern. Die Versprechschauung der Politik wächst mithin exponentiell, auch dann, wenn sich die Bedeutung ihres Hauptmediums, des „free TV“, insgesamt verringert. Erst mit den Trumps und Erdoğans dieser Welt gelangten wir in eine Post-Sprechrunden-Politik aus Tweets und Terror. Wollten wir dahin? Anhänger von Autokraten jedenfalls, kann ich mir vorstellen, wollen sich auch von Talkshows erlösen. Dem Missing Link zwischen der Demokratie und dem, was danach kommt.
In der Talkshow verschmelzen Politik und Fernsehen. Mehr noch, die Talkshow, insbesondere vor und nach den Wahlkämpfen (und wann haben wir nicht irgendwo Wahlkampf?), gehört zu den Angeboten, mit denen sich das „normale“ Fernsehen (hierzulande hauptsächlich in Form der öffentlich-rechtlichen Anstalten) gegen die wachsende mediale Konkurrenz behauptet. Eine politische Talkshow lässt sich nicht beliebig in ein anderes, offeneres Format übertragen, sie lebt vom Echtzeit-Event und der direkten Reaktion von Ereignis und Empfang. Sie ist sozusagen Fernsehen schlechthin. Die Talkshow ist eine antidemokratische, medienpopulistische Form des Dabeiseins. Je näher man der Sache, der Sprache, den Vertretern der politischen Machtknoten namens Partei kommt, desto nichtiger, unsinniger, beleidigend doofer wird das Ganze.
Immer wenn wir Zuschauer bemerken, wie viel hohle Rhetorik, Maskerade oder schlichte Lüge im Auftritt eines Politikers, einer Politikerin steckt, wie unkultiviert und niveaulos man sich beharkt, wie nichtig und willkürlich das Zahlenmaterial, die „Beweise“, die Zitate sind, entsteht ein neuer Grad der Entfremdung.
Die Sehnsucht nach „Klartext“ hat hier ihren Ursprung
Das Gift des Populismus steckt schon in der Form selbst, so als hätten die Medien nichts Besseres zu tun, als den Politikern die populistischen Gesten und Strategien geradezu abzuverlangen. Der „sprachliche Terror“, den die Rechtspopulisten dann zum Höhepunkt führen, wird hier eingeübt, nur dass man merkt, dass es eben Schau ist (und die Kontrahenten, die sich eben noch in der Schau heftig attackierten, gemütlich zum gemeinsamen Speisen und Trinken schreiten, wenn die Kameras abgeschaltet sind).
Die politische Talkshow ist die Schau der Entpolitisierung, die Schau der Antipolitik schlechthin. Diese krude Sehnsucht nach „Klartext“ und „Sprache des Volkes“, sie hat hier ihren Ursprung.
Die Talkshow an sich ist nicht politisch
Kein Wunder, dass sich dabei auch eine talkshowkompatible Politikermaske herausbildet, und ebenso wenig verwunderlich, dass sie sich den populistischen Diskursen öffnet, schließlich gibt es noch eine Dramaturgie des Publikums, die Gäste im Studio, die genau dann Applaus spenden . . . nun, sehen Sie selbst einmal zwei, drei Sendungen an. Denn schließlich ist das Erste, was das Format produziert, eine geradezu unerträgliche Langeweile. Der Einschlaffaktor scheint sogar in der Runde selber gelegentlich hoch. Um so dankbarer reagiert man auf alles, was die Langeweile, das Ritual der gemeinsamen Entleerung von Sprache und Sinn, wenigstens für den Augenblick durchbricht. Es gilt, auf der Ebene der Emotionen zu punkten. Applaus ist, wenn jemand einer bestimmten Art von Menschen, also solchen, die nichts Besseres zu tun haben, als live einer Fernsehtalkshow beizuwohnen, „nach dem Herzen spricht“.
Zu den postdemokratischen Errungenschaften der antipolitischen Politik gehört indes, dass die Talkshow nicht nur die Debatte beerbt (das volle Studio und das leere Parlament: Das Leit-Bild der Postdemokratie!), sondern auch die Erklärung. Einen Coup landet in jedem Fall jene Politikerin, jener Politiker, die oder der es schafft, einen Gegner statt auf einem Parteitag während einer Talkshow zu entmachten, oder jener, der eine politische Entscheidung statt dem Parlament lieber gleich dem fernsehenden Volk zu verkünden versteht. Die TV-Sprechschau ist nämlich nicht allein für sich politisches Event, sondern wirkt nach durch das mediale Echo.
Talkshows sind schädlich
Früher haben Theaterkritiken in einer bürgerlichen Zeitung einen bedeutenden Platz eingenommen, heute sind es Talkshowkritiken. Jemand, und sei es Spiegel Online, muss uns schließlich sagen, was wir von dem Geraune und Geblubber halten sollen. Und natürlich die B-Note, für die Haltung von Moderatoren und Gästen. Punktabzug für desinteressiertes Grimassieren, mangelnde Nachfragen oder unfaires Verhalten: Die Sprechschau ähnelt, was dies anbelangt, auch einer Sportveranstaltung, in der man durch Kampf oder durch Technik zum Sieg gelangt (aber wartet nur auf die Rückrunde!).
Die politische Talkshow, wie wir sie kennen, entlarvt nicht nur das mediale Sprechen, sondern die Politik, die dahintersteckt; wir erkennen, wenn wir hinsehen, den großen Unterschied zwischen der Schau und dem, was sie darstellt, und die fatale Folge ist, dass der Showcharakter der demokratischen Politik als gegeben hingenommen wird. Dann nämlich verzeihen wir den Teilnehmern jeden Unfug, jede Lüge, jede Gemeinheit, solange sie nur unterhaltsam sind. Und mit ihrem Medium vergreisen auch die Talkshows, verkalkt nicht nur das Sprechen in ihnen, sondern auch das Sprechen über sie.
Es wäre an der Zeit, die Sprechschau in der Demokratie zu begraben statt die Demokratie in der Sprechschau.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation