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Debatte PiratenparteiWurstig, nicht diskussionsfreudig

Matthias Lohre
Kommentar von Matthias Lohre

Viele Mitglieder der Piratenpartei sind destruktiver als die frühen Grünen. Wenn sie für Wähler interessant bleiben will, muss sie langweiliger werden.

Die sympathische Ergebnisoffenheit der Piraten hat sich verbraucht. Bild: dapd

P olitiker müssen leidensfähige Menschen sein. Sie sollen ihre Meinungen immer aufs Neue bilden, begründen und gegen heftige Widerstände durchsetzen. Zum Lohn erhalten sie mal mehr, mal weniger Macht. Nur bei den Piraten dürfen Funktionäre weder eine eigene Meinung noch Macht besitzen. Sie sollen eigenschaftslose Sprachrohre der Schwarmweisheit sein. Dies schreckt Aktivisten ebenso ab wie Wähler, die politische Inhalte nun mal mit Gesichtern verbinden.

Es ist einer der vielen Konstruktionsfehler der jungen Partei. Sie droht an ihnen zugrunde zu gehen. Dabei haben die Piraten die Chance, sich im Parteienspektrum zu etablieren: Wollen sie für Wähler interessant bleiben, müssen sie langweiliger werden.

Die Piraten sind die erste Partei, für die ein Medium die Botschaft ist. Mit großen und daher vagen Versprechen sind sie in vier Landtage eingezogen. „Transparenz“, „Basisdemokratie“ und „Schwarmintelligenz“ sollen, verbunden mit den Kommunikationskanälen des Internets, die Demokratie umkrempeln. Was genau das heißen soll? Das findet sich. Bei den Piraten folgt der Inhalt der Form, nicht umgekehrt. Aber auf Inhalte warten potenzielle Wähler bis heute.

Bild: privat
MATTHIAS LOHRE

ist Parlamentsredakteur der taz.

Seit ihrer Gründung im Jahr 2006 haben die Piraten sich nicht auf ein kohärentes Programm einigen können. Abstimmungen über strittige Anträge vertagen sie teilweise über Jahre. Das Programm zur Bundestagswahl zählt bislang eine Handvoll Punkte: So gut wie alle künstlerischen Werke sollen „frei zugänglich“ sein, dazu gibt es ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle. Ein landesweiter gesetzlicher Mindestlohn soll her, Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger gehören abgeschafft und die – irgendwie auch gute – Leiharbeit eingegrenzt. Das war’s.

Wie aber steht die Partei zum Euro-Rettungskurs der Regierung? Euro-Bonds oder mehr Macht für die EZB? Mit wem würde sie, falls überhaupt, koalieren? Ja oder Nein zur Militärintervention in Syrien? Was hält sie von Panzerexporten nach Indonesien? Der Schwarm hat seine Intelligenz noch nicht bewiesen. Mittlerweile glauben die Piraten selbst nicht mehr, dass sie auf ihrem Parteitag Ende November ein komplettes Wahlprogramm aufstellen können. Der „Bundesparteitag 2013.1“ ist schon in Planung.

Viel Lust am Kaputtmachen

Was die Piraten lange Zeit als sympathische Ergebnisoffenheit verkaufen konnten, als inszenierungs- und phrasenfreie Politik, hat sich verbraucht. Die Partei wirkt nicht mehr diskussionsfreudig, sondern wurstig. Viele Mitgliedern zeigen ein Ausmaß an Destruktivität, das nicht einmal WASG oder frühe Grüne aufbrachten. Hassausbrüche gibt es anonym und 24 Stunden am Tag.

Zugleich zeigt sich eine erstaunliche Mischung aus Hysterie und Desinteresse. Nur wenige der 34.000 Mitglieder engagieren sich an Programmdebatten. Wer sich mit eigenen Positionen an die Öffentlichkeit wagt, muss mit übelsten Beschimpfungen rechnen. Als Folge hat die Partei die Führung, die sie verdient.

Parteichef Bernd Schlömer wiederholt das verbrauchte Credo, er könne sich nicht zu Themen äußern, bei denen die Partei noch nicht festgelegt habe. Seine Vorstandskollegen bekriegen sich, treten erschöpft und psychisch verletzt zurück. Die da aufgeben, haben nicht mit inhaltlichen Ideen geglänzt. Der verbliebene Politische Geschäftsführer freut sich über jede Art der Aufmerksamkeit, und sei es ätzende Kritik. Die selbst erklärte Partei der Kommunikationsfähigkeit hat keine Ahnung, wie sie intern oder öffentlich kommunizieren soll. Das sind die Probleme. Was sind die Lösungen?

Nach dem großen Piraten-Aufschwung ist es Zeit für einige unangenehme Einsichten. Die erste lautet: Parteien entkommen dem Zwang zur Inszenierung nicht, indem sie ihn leugnen.

Politik braucht Köpfe. Selbst jene, die den Piraten Sympathie entgegen bringen, irritiert ihre Ungreifbarkeit. Wer debattiert bei denen, wer stimmt ab, und wer vertritt die Kompromisse nach außen? Fast niemand wählt allein aufgrund eines Programms. Mit Personen verknüpfen Bürger politische Ansichten und Mentalitäten. Deshalb brauchen die Piraten Führungsleute, die taktieren, emotionalisieren und zuspitzen können – auch wenn das der reinen Lehre widerspricht.

Der Konsens-Unfug

Daher lautet die zweite Einsicht: Die Piraten brauchen einen stabilen, gut ausgerüsteten Parteiapparat. Sie müssen ihre Spitzenleute bezahlen, damit sie sich auf ihr Tun konzentrieren können. Bislang versieht der Vorsitzende seine Arbeit nach Feierabend, und die Partei hat keinen einzigen angestellten Mitarbeiter. Die Mitgliedsbeiträge kommen nur spärlich, und niemand wagt, sie offensiv einzufordern. Wenn es an ihr Geld geht, werden natürlich manche Anhänger den Piraten den Rücken kehren, aber die Alternative ist das Verdorren der Partei.

Unter den Abgeschreckten wären viele, die die Piraten lediglich als neuestes Vehikel zur Verbreitung ihrer Weltsicht sehen, derzufolge alle Menschen Idioten sind – außer ihnen selbst. Paradoxerweise ist in der Partei die Sehnsucht nach Konfliktfreiheit groß. Es wird diskutiert und vertagt, aber viel zu selten entschieden. Das führt zur dritten schmerzhaften Einsicht: Demokratie bedeutet nicht, dass alle so lange reden, bis niemand mehr „Nein!“ ruft. Wer auf einstimmigem Konsens besteht, lähmt sich, seine Partei und erzielt letztlich nichts.

Von alledem Abschied zu nehmen, ist kompliziert genug. Die am schwersten in Taten umzusetzende Einsicht ist jedoch diese: Die Piraten müssen den anderen Parteien ähnlicher werden, ohne das spezifisch Piratige zu verlieren. Das Vorbild könnten die Grünen abgeben. Ihr alternativer Gestus aus Gründungszeiten wirkt bis heute nach. Ihre angebliche Andersartigkeit, gepaart mit Vertrauen in ihre Kompetenz und ihren Pragmatismus trägt zu ihrem steten Wahlerfolg bei.

Ähnliches können auch die Piraten erreichen: wenn sie Wissen und Fähigkeiten ihrer Mitglieder klug kanalisieren. Wenn sie sich professionell präsentieren, ohne austauschbar zu wirken. Wenn sie Themen besetzen, die Wähler dauerhaft mit ihnen verbinden. Langweilig zu sein, kann ziemlich interessant werden.

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Matthias Lohre
Schriftsteller & Buchautor
Schriftsteller, Buchautor & Journalist. Von 2005 bis 2014 war er Politik-Redakteur und Kolumnist der taz. Sein autobiographisches Sachbuch "Das Erbe der Kriegsenkel" wurde zum Bestseller. Auch der Nachfolger "Das Opfer ist der neue Held" behandelt die Folgen unverstandener Traumata. Lohres Romandebüt "Der kühnste Plan seit Menschengedenken" wird von der Kritik gefeiert.
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12 Kommentare

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  • B
    bee

    Liebe taz, bitte ersetz Deine künftigen recherchefreien Kommentare zur Piratenpartei durch einen Stempel:

     

    „Die Piraten haben überhaupt kein Programm, in diesem Programm steht nichts drin, was drinsteht funktioniert nicht und ist nicht finanzierbar, und die Grünen haben das schon vor Jahren gefordert.“

     

    Ihr braucht’s nicht immer neu zu schreiben, unsereins erspart sich das ständige Lesen. Win-Win.

  • WS
    winston smith

    "Das Vorbild könnten die Grünen abgeben. Ihr alternativer Gestus aus Gründungszeiten wirkt bis heute nach."

     

    phahahaha!! die GRÜNEN!!!1 :D

    tolles vorbild, vielleicht sind die piraten dann irgendwann auch für hartz4 und wirtschaftskriege in nahost.

  • F
    fognin

    Wer recheriert hat mehr Journalismus. Langweiliger Meinungsartikel nach Mainstreamart. Es gibt doch auch Journalisten bei Euch?

  • E
    Ernst

    Warum müssen sich denn eigentlich alle Parteien zum vermeintlichen (!) "Wählerwillen" hin verbiegen...

  • BP
    Billy Pilgrim

    "Die Mitgliedsbeiträge kommen nur spärlich, und niemand wagt, sie offensiv einzufordern."

     

    Fällt das auch unter Creative Commons?!?

  • DS
    Der Schreiber

    Eine ebenso wichtige wie schmerzhafte Wahrheit zeigt sich. Politik ist nicht einfach etwas das nebenbei läuft.

    Wie sich auch bei der Urwahl er Grünen tragisch/komisch zeigte, kann nicht jeder seine Argumente eloquent vortragen, oder überhaupt Argumente für seine Wahl vorweisen...

    Zum Thema Schwarmintelligenz sage nur eines, welche Videos werden haben auf YouTube die meisten Klicks?

  • RS
    Reinhold Schramm

    (Rundfunk RBB, Info-Radio, am 24.11.2012)

     

    Wollen die "Piraten" tatsächlich 'Streicheleinheiten' für den BDA-Hundtschen und BDI-Quandtschen Kapitalismus und Imperialismus, für die "Soziale Marktwirtschaft" der Rohstoff- und (Panzer-)Rüstungsindustrie, für die Finanz- und Monopolbourgeoisie, für die Banken und Spekulanten, für die Großbourgeoisie und Erbschafts-Milliardäre?

     

    Trotz alledem!

  • MG
    Molly Grue

    Warum soll ich das wissen? Wenn ich zumindest wüsste, wieso die so hochgejubelt werden. Vielleicht erklärt es mir jemand.

  • P
    Pubadu

    Bei diesem Artikel fängt man schon nach spätestens der Hälfte an zu Gähnen. Jaaaaa, die Piraten haben keine Inhalte, keine Meinung zu relevanten Dingen... Das sind oberflächliche und selbstgefällige Behauptungen, mit denen wir jeden Tag weichgespült werden. Ich bin es so leid immer wieder diesen Mist (Entschuldigung) zu lesen. Alles, was nicht gemacht wird wie immer, ist falsch und kann natürlich nicht zu Erfolgen führen... *gähn* Und Erfolg wird natürlich nach Stimmprozenten gemessen.

    Wie wäre es endlich mal mit einem Artikel über die echten Erfolge der Piraten: Hätten denn die Grünen die Basisdemokratie für sich entdeckt, wenn sie nicht fürchten müssten, ihre Wähler werden zu Piraten? Wie zum Henker kam die Transparenzdebatte zu den anderen Parteien? War vor den Piraten Netzpolitik ein relevantes Thema?

    Ich glaube die Piraten haben in ihren sechs Jahren mehr Erfolge verbucht als alle "etablierten" Parteien zusammen.

    Es wäre wirklich schön, wenn diese mediale Verdummbeutelung endlich mal aufhört und wir uns freuen, dass es junge Menschen mit Energie und einem gewissen Maß Idealismus in unserer Politik gibt. Verabschieden wir uns von althergebrachten Vorstellung und probieren etwas Neues aus. Wenn das nicht klappt, machen wir es eben nochmal anders. Aber so wie es jetzt läuft, bin ich zumindest nicht zufrieden!

  • OP
    Onkel Poppoff

    Ich verstehe den Artikel aus Sicht desjenigen, der aktuelle Parteien und Politik als gegeben ansieht und folglich glaubt, die sinnvolle Bandbreite eines Politikers ist bereits überschritten, wenn er anders reagiert als alle Politiker vor ihm.

    "Das kann ja nicht gut sein, wenn man nicht ist wie all die anderen (sagen ja auch die anderen)."

     

    Ich sehe das anders.

    Wenn ich noch einmal eine Partei wählen sollte, dann kommen nur die Piraten in Frage. Sie machen viele (harmlose) Fehler, sie haben (unvoreingenommenen) Mut, sie haben nicht zu allem (von dem sie keine Ahnung haben) eine Meinung und sie machen ungewöhnliche(differenzierte, demokratische) Parteipolitik.

     

    Sollten die Piraten einmal so "perfekt" werden, wie der Autor es fordert, gibt es hoffentlich neue Querdenker, die ich dann wählen kann.

  • A
    alex

    "Das Vorbild könnten die Grünen abgeben. Ihr alternativer Gestus aus Gründungszeiten wirkt bis heute nach. Ihre angebliche Andersartigkeit, gepaart mit Vertrauen in ihre Kompetenz und ihren Pragmatismus trägt zu ihrem steten Wahlerfolg bei."

    Soll das Satire sein? Wenn Politik für Sie nur das generieren von Wählerstimmen ist, warum arbeiten sie dann für die Taz und nicht für die Bild. Das Gehalt ist doch unterdurchschnittlich? Oder ist es die angebliche Andersartigkeit die man sich gerne anzieht? Basisdemokratie ist der Sache nach ein "vages Versprechen" und wenn die potenziellen Wähler trotzdem bis heute auf Inhalte "warten", dann haben sie die Sache mit der Basisdemokratie nicht verstanden. Nun können die Piraten sich ihre potenziellen Wähler allerdings nicht backen, es wäre aber hilfreich wenn so junge, engagierte Zeitungsredakteure mal den Mut besitzen würden die andere Seite der Medaille aufzuzeigen. Hier steht eine Vision vom aufgeklärten, mündigen Bürger, der mehr tut als alle vier Jahre ein Kreuzchen machen. Für Farbenblinde ist die Piratenpartei auf jeden Fall ein Gewinn, oder sind die Grünen inhaltlich irgendwo noch grün? Politik braucht Köpfe, das ist richtig. Journalismus braucht Meinungen und nicht noch weitere Verlautbarer.

  • OP
    Onkel Poppoff

    Ich verstehe den Artikel aus Sicht desjenigen, der aktuelle Parteien und Politik als gegeben ansieht und folglich glaubt, die sinnvolle Bandbreite eines Politikers ist bereits überschritten, wenn er anders reagiert als alle Politiker vor ihm.

    "Das kann ja nicht gut sein, wenn man nicht ist wie all die anderen (sagen ja auch die anderen)."

     

    Ich sehe das anders.

    Wenn ich noch einmal eine Partei wählen sollte, dann kommen nur die Piraten in Frage. Sie machen viele (harmlose) Fehler, sie haben (unvoreingenommenen) Mut, sie haben nicht zu allem (von dem sie keine Ahnung haben) eine Meinung und sie machen ungewöhnliche(differenzierte, demokratische) Parteipolitik.

     

    Sollten die Piraten einmal so "perfekt" werden, wie der Autor es fordert, gibt es hoffentlich neue Querdenker, die ich dann wählen kann.