Debatte Leistungsschutzrecht: Ins eigene Knie
Mit dem Entwurf für ein Leistungsschutzrecht richten Verleger ihre Kanonen auf die Netzöffentlichkeit. Doch das Gesetz schadet ihnen selbst.
W er auf Artikel einer Zeitung oder Zeitschrift verlinkt und so Originalquellen zugänglich macht, tut den Medienhäusern Gutes. Die Klickzahlen ihrer Websites steigen – und damit die Chance, mehr Geld durch Werbung einzunehmen. Außerdem kann der Verlag den ihm zugeführten Neu- oder Gelegenheitsleser von seinen anderen Inhalten überzeugen. Die Manager einiger führender Printmedienhäuser sehen das etwas anders. Sie haben lange laut gebellt nach einem Gesetz, das regelt, dass jene, die verlinken und somit Werbung machen, blechen müssen.
Seitdem ein entsprechender Entwurf zum sogenannten Leistungsschutzrecht aus dem Justizministerium kursiert, geben sich viele Blogger bockig: Wir sollen euch etwas dafür zahlen, dass wir Leser auf eure Texte aufmerksam machen? Dann lassen wir es halt, ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt.
Die Frage ist natürlich, wie Netzpublizistik jeder Art ohne Verweis auf etablierte Quellen funktionieren kann. Constanze Kurz, Sprecherin des Computer Chaos Clubs, hat unlängst ein „Gedankenspiel“ fürs Jahr 2014 beschrieben: Das Leistungsschutzrecht ist in Kraft, und als Reaktion hat sich ein Projekt namens FreeNews formiert, das mit einer Software deutsche Zeitungsmeldungen so umschreibt, dass die Originalquellen nicht mehr erkennbar sind.
Das klingt nicht mal utopisch: In den USA gibt es heute bereits Redaktionen, die bei der Texterstellung auf Software zurückgreifen – auf Programme, die in der Lage sind, journalistische Beiträge zu erstellen, wenn man die entsprechenden Daten eingibt. Sie kommen bei der Sportberichterstattung zum Einsatz, bei Gewinnprognosen für börsennotierte Unternehmen oder Zusammenfassungen von Twitter-Meldungen zu Fließtexten. Wenn Programme anhand von gelieferten Daten Artikel verfassen können, die wie von Menschenhand geschrieben klingen, können erst recht andere Programme bereits fertige Artikel umschreiben.
Defensiver Umgang mit Verlagsinhalten
Sollte das Gesetz verabschiedet werden, wäre jeder auf der sicheren Seite, der sich den Bloggern anschließt, die einen defensiven Umgang mit Verlagsinhalten propagieren. Laut dem jetzigem Entwurf sind selbst kleine Teile eines Presseerzeugnisses lizenzpflichtig: eine Headline, ein Tweet oder die Artikelvorschau, die in der Regel bei Facebook beim Teilen eines Artikels erscheint. Zwar wird keineswegs das Zitatrecht abgeschafft, aber ein Großteil der alltäglichen Netzkommunikation, die durch das Zitatrecht eben nicht gedeckt ist, könnte Geld kosten.
Nach Ansicht des mittlerweile vielleicht schon zur Schnecke gemachten Ministeriumsreferenten, der den Entwurf gebastelt hat, handelt jeder „gewerblich“, der, wenn er ein Presseerzeugnis öffentlich zugänglich macht, dies im „Zusammenhang mit einer Erwerbstätigkeit“ tut. Jeder meiner Tweets, der auf ein Presseerzeugnis verlinkt, steht mittelbar im Zusammenhang mit meiner Erwerbstätigkeit. Für die meisten Berufstätigen, die bloggen und/oder soziale Netzwerke nutzen, gilt das.
ist freier Journalist. Er beschäftigt sich unter anderem mit dem Strukturwandel in den Medien. Von ihm erschien auch „Wunder gibt es immer wieder. Die Geschichte des FC St. Pauli“ (im Verlag Die Werkstatt).
Keine Panik, sagen manche Verlagsleute, „Abmahnwellen“, die auch die SPD befürchtet, werde es nicht geben, bloggt etwa Christoph Keese, Axel Springers sogenannter Konzerngeschäftsführer Public Affairs und – da Spötter das Leistungsschutzrecht als „Lex Keese“ bezeichnen – inoffizieller Namensgeber des Gesetzes.
Schäbiger Umgang mit Autoren
Auf Beschwichtigungen sollte sich aber niemand verlassen. Printverlagen ist viel zuzutrauen: Der Tagesspiegel ist gerade mit Hilfe eines Geldeintreibers gegen den Regisseur Rudolf Thome vorgegangen, weil der Rezensionen seiner Filme, die 2003 und 2006 in der Zeitung erschienen waren, auf seine Website gestellt hatte. Formaljuristisch ist der Tagesspiegel im Recht, aber wenn man den banalen Umstand bedenkt, dass eine Zeitung über Kultur nur berichten kann, weil diese jemand produziert hat, ist so ein Verhalten gegenüber einem Künstler natürlich schäbig.
Verlage haben auch keine Skrupel, freie Journalisten mit Knebelverträgen dazu zu zwingen, ihnen das Recht einzuräumen, Texte beliebig weiterzuverkaufen, ohne dass die Urheber dafür zusätzlich honoriert werden. Diverse Gerichte halten die Praxis für rechtswidrig, doch das kümmert die Verlage nicht.
Manche Manager erwecken heute den Eindruck, dass sie sich für irgendwas mit Medienwirtschaft nur deshalb entschieden haben, weil sie für eine anständige kriminelle Karriere zu hasenfüßig waren beziehungsweise sie dafür schwerlich das Plazet des Herrn Schwiegervaters bekommen hätten.
Den Verlegern sei es mit dem Entwurf gelungen, „ihre Kanonen auf die von ihnen ohnehin ungeliebte Nebenöffentlichkeit im Netz“ zu richten, schreibt der bloggende Rechtsanwalt Udo Vetter. Mittelfristig dürften sie die Kanonen auf sich selbst gerichtet haben. Schließlich schwächt das Gesetz die Verbreitung ihrer eigenen Produkte, nicht zuletzt die Präsenz in sozialen Netzwerken.
„Unkalkulierbare Lizenzierungspflicht“
Gegner des LSR-Entwurfs finden sich mittlerweile in einer Reihe wieder mit dem Bundesverband der deutschen Industrie, der eine „unkalkulierbare Lizenzierungspflicht“ kommen sieht. So gut wie jeder Firmensprecher ist ja irgendwie ein Netzpublizist, und natürlich sieht der es nicht ein, dass er bei Verlagen Lizenzen erwerben soll, wenn er im Namen seines Unternehmens bei Twitter auf einen Zeitungsartikel hinweist.
Sind schon komische Koalitionen: Die wortgewaltigsten Anti-LSR-Blogger sind größtenteils keineswegs Kapitalismuskritiker, sondern Unternehmensberater. Und wo wir schon bei der Frage sind, wer welche Interessen vertritt: Ich bin überwiegend für die alten Medien tätig und will gar nicht, dass diese „sterben gehen“, wie es ihnen manche Blogger gern empfehlen.
Ohnehin ist schon einiges an Pulver verschossen worden, obwohl nur ein Entwurf vorliegt. Auch deshalb wäre es prima, wenn er in der Ablage landet. Sonst ist vielleicht irgendwann das Gesetz da, aber nicht mehr genug Pulver.
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