Kommentar Leistungsschutzrecht: Der Berg gebiert eine Maus
Der vom Kabinett verabschiedete Entwurf zum Leistungsschutzrecht versucht es allen recht zu machen. Nur dem Potential des Netzes wird er nicht gerecht.
R in in die Kartoffeln, raus aus die Kartoffeln: Selten ist in Deutschland ein Gesetz so von den Interessenverbänden geschrieben worden, wie das jetzt von der Koalition wohl endgültig auf den Weg gebrachte Leistungsschutzrecht für Presseverlage. Über Monate konnte man den Eindruck bekommen, Schwarz-Gelb habe seine eigene Zusage an die klagenden Verleger beinahe schon vergessen, solange schlummerten die Vorarbeiten beim FDP geführten Justizministerium.
Was dann zunächst auf den Tisch kam, sorgte erwartungsgemäß für Unglücklichkeit auf fast allen Seiten. Vor allem aber bei einem Verband, den so wohl niemand auf der Rechnung hatte: dem Bundesverband deutscher Industrie (BDI). Denn der fürchtete etwas pauschal, aber um so wortgewaltiger den Untergang des Abendlandes vor allem für seine mittelständischen Mitglieder.
Zwar ist nie so recht klar geworden, was genau über die BDI-Mitgliedschaft mit dem Leistungsschutzrecht hereinzubrechen drohte. Aber die Bundesregierung handelte. Das geplante Gesetz, das zunächst zu Ungunsten der Internet-Community auf die Forderungen der Zeitungsverlage Rücksicht nahm, wurde noch einmal generalüberholt. Der neue Entwurf von Ende Juli sah plötzlich nur noch Suchmaschinenbetreiber in der Pflicht.
ist Medienreporter der taz.
Doch dieses „Lex Google“ ging natürlich den Verlegern nicht mehr weit genug. Jetzt hat die Bundesregierung versucht, es beiden Seiten irgendwie Recht zu machen. Der im Kabinett beratene Entwurf zieht nun auch wieder neben Suchmaschinen auch wieder andere Newsaggregatoren zur Verantwortung und macht diese de facto in Richtung Zeitungsverlage potentiell abgabepflichtig. Ausgenommen scheinen aber, so zumindest könnte man die Begründung des Gesetzesentwurfs verstehen, andere Nutzungsformen von Online- Zeitungs-Inhalten, etwa elektronische Pressespiegel, um die es dem BDI bei aller Schwammigkeit seiner Argumente wohl vor allem ging.
Ob die Bundesregierung hier nun aber wirklich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen hat? Eher mal nicht. Der BDI derweil scheint zufrieden – und hält wohl ab sofort die Klappe. Die Verleger bleiben indes aus gutem Grund reserviert. Über zwei Jahre haben sie für das Bonbönchen in eigener Sache antichambriert und beinahe jede andere Lobbyarbeit dafür zurückgestellt. Doch im Vergleich zu ihren frühen Hoffnungen hat nun der Berg gekreißt und eine Maus geboren.
Was eigentlich aber auch egal ist. Denn auch der neue Entwurf wird zu zahlreichen Interpretationsfällen und Konflikten mit den Realitäten der digitalen Welt im Netz führen. Weil er an dieser Realität und damit sowohl an den Interessen als auch dem Potential der Netz-Comunity weiterhin vorbei geht.
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