Debatte Lebensentwürfe: Schluss mit den Vergleichen!
Karriere, Mutterschaft, Singledasein: Noch nie hatten Frauen so viele Optionen wie heute. Das erzeugt neuen Leistungsdruck. Der muss weg.
I n seinem Bestseller "The Paradox of Choice" weist US-Autor Barry Schwartz daraufhin, dass eine Vielfalt an Wahlmöglichkeiten bei Bildung, Konsum und Partnerschaft die Menschen nicht glücklicher machen muss, im Gegenteil: Damit steige die Gefahr, sich erst recht unzulänglich und unzufrieden zu fühlen. Übertragen auf Frauen könnte man sagen: Besonders sie können heute unter einer Vielfalt an Lebensentwürfen wählen. Führt das zu neuem Stress? Das ist die spannende Frage.
Auf den ersten Blick haben Frauen heute viele Optionen: Partnerschaft oder auch nicht, Kinder oder keine, Ehe oder alleinerziehend, Karriere oder doch nur Teilzeit, Scheidung oder sich gegenseitig aushalten. Das erzeugt durchaus Druck. Ein Artikel in der taz über alleinerziehende Frauen, die sich über ihre Exmänner beklagen und über ihre berufliche Misere, bekam mehr als 200 Leserkommentare. ("Die verlassenen Macchiato-Mütter").
Eine kritische Erwiderung, laut der die Frauen sich zu stark wirtschaftlich von den Männern abhängig gemacht haben und jetzt nicht so viel jammern sollen, erzeugte genauso heftige Resonanz ("Selbstmitleid im Szenecafé"). In der Frage, inwieweit Frauen heute noch Opfer sind und nicht selbstbestimmte Täterinnen, steckt viel politische Energie.
Neuer ökonomischer Druck
Barbara Dribbusch ist Redakteurin für Soziales und beschäftigt sich mit den Auswirkungen von Ökonomie auf Biografien.
Der Druck entsteht auch deshalb, weil sich Widersprüche auftun zwischen neuen juristischen Entwicklungen und alten gesellschaftlichen Normen. So hat beispielsweise das neue Unterhaltsrecht die Versorgungspflicht der Männer drastisch eingeschränkt, jeder der Eheleute ist nun nach einer Scheidung wirtschaftlich für sich selbst verantwortlich. Doch diese Aufteilung entspricht nicht den noch immer herrschenden Normen für die Familienarbeit.
In der Familie gilt nach wie vor, dass eine "gute" Mutter sich emotional mehr für das alltägliche Wohlergehen des Kindes verantwortlich fühlen muss als der Vater. Dass sie etwa zu Hause bleibt, wenn das Kleine krank ist. Das tun die Frauen auch jetzt in den meisten Fällen immer noch - aber eben ohne die Sicherheiten des alten Eherechts. Zu heiraten und Mutter zu werden bedeuten heute ein höheres Lebensrisiko angesichts einer möglichen Scheidung.
Geschiedene Frauen und erst recht die wachsende Zahl jener, die nie heiraten, sind ökonomisch auf sich gestellt. Sie müssen arbeiten bis zur Rente, bald bis 67. Noch nie in der jüngeren deutschen Geschichte hat es einen solchen Erwerbsdruck auf die Frauen gegeben, von unmittelbaren Nachkriegszeiten und den Verhältnissen in der DDR mal abgesehen. Doch die Frauen sind in ihrer Identitätsplanung oft schlecht aufs Geldverdienen vorbereitet; allzu lange gehörte es nicht zum weiblichen Selbstverwirklichungsprogramm.
Auch aus diesem ökonomischen Druck resultiert die Erschöpfung der Frauen, das Sich-Beäugen, der Neid zwischen Verheirateten, Geschiedenen, Alleinerziehenden, mit und ohne gut verdienenden Mann oder mit und ohne Job: Hat sie es sich nur bequem gemacht in der Ehe, oder fand sie tatsächlich keine Stelle? Macht sie ihre Arbeit wirklich gern, oder kompensiert sie mit ihrer Karriere nur ihr Singledasein? Mein Gott, die könnte doch arbeiten, aber sie will doch gar nicht runter von Hartz IV!
Zu viel Zufall in der Liebe
Die Vielzahl an Lebensentwürfen schafft eine Vielfalt an gegenseitigen Verdächtigungen. Die Entwicklung ist dabei immer zweischneidig. Den Frauen mehr "Schuld" an ihrer Biografie zuzuschreiben, bedeutet auch, ihnen nicht mehr die Opferrolle, sondern mehr Selbstverantwortung zuzugestehen. Das ist durchaus ein Fortschritt.
Traditionell wurden für die weibliche Biografie nämlich eher die Kategorien von Zufall und Schicksal bemüht. In Literatur und Filmen ist es für Frauen oft das biografisch Wichtigste, den "Richtigen" zu finden, und das hängt vom Schicksal, vom Zufall ab. Das Genre der Liebesgeschichten lebt davon. Die berechnende, die kontrollierende Frau ist die Böse, während die "Unschuldige" am Ende den Prinzen kriegt. Auch bekommen meist nur die in den Augen der Männer körperlich attraktiven Frauen die begehrten Partner. Die Physis ist aber durch Gene und Alterung beeinflusst, weniger durch eigene Anstrengung. Die Beziehungschancen der Frauen so stark mit Gegebenheiten zu verknüpfen, die subjektiv kaum veränderbar sind, untergräbt das Vertrauen in die Selbstwirksamkeit.
Drei Leben in einem
Den Frauen heute mehr Gestaltungsmacht zuzuschreiben, kann befreien. Datingagenturen im Internet haben auch deswegen so viel Zulauf, weil sie den Frauen suggerieren, sie könnten im Netz endlos, problemlos auf Männerjagd gehen. Nur leider hält das Netz genauso viel Kränkungen wie Freiheiten bereit.
Selbstverantwortung ist gut - aber sie erzeugt auch neuen Leistungsdruck. Jetzt, wo doch angeblich so viel möglich ist für die Frauen. Eine Vielfalt an Lebensentwürfen, das kann auch bedeuten, dass nur die als Gewinnerin gilt, die möglichst viel Erfolgsmerkmale anhäuft. Eine Arbeitsministerin von der Leyen, die über eine Superkarriere, einen Mann, sieben Kinder und eine schlanke Figur verfügt, verkörpert so eine Art 3-in-1-Leben. Als erreichbares Rollenmodell taugt sie ebenso wenig wie die Physis von Angelina Jolie als Diätziel für normale Geschlechtsgenossinnen.
Statt die tollen weiblichen Optionen zu besingen oder das vermeintliche Opferdasein der Frauen zu beklagen, ist also ein radikaler Akt vorzunehmen: Weg mit den Biografie-Vergleich, dem Dauertribunal, das sich Frauen antun! Alleinerziehende Mütter, die einen schlecht bezahlten Job durchhalten, sind zu bewundern. Ehefrauen, die ihren beruflichen Anschluss aufgeben und sich um schwierige Kinder kümmern, bewegen sich langfristig auf hoher Fallhöhe. Karrierefrauen ohne Familie müssen oft viel Energie aufwenden für das Schaffen von privater Nähe, auch dies kann eine Doppelbelastung sein.
Lebensleistungen sind komplex und oft von außen gar nicht sichtbar. Die Biografie-Konkurrenz abzuschaffen, bedeutet emotionale Fürsorge. Für sich selbst. So viel Freiheit muss sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen