Debatte Klimakonferenz: Der Fehler im System

Wer das Klima schützen will, muss eine schlagkräftige internationale Institution schaffen: einen mit der UN vergleichbaren Klimarat, der mit Boykotten reagieren kann.

Die jährlichen Weltklimakonferenzen gleichen einem unüberschaubaren Basar von vielen schönen Worten und wenigen kargen Ergebnissen. Die Klimadiplomatie braucht deshalb neue Strukturen - und mehr globale Gerechtigkeit.

Bei seiner Ankunft auf Bali analysierte Bundesumweltminister Sigmar Gabriel: "Der Klimagipfel in Nairobi funktionierte vor einem Jahr wie ein Mikadospiel: Der Erste, der sich bewegt, hat verloren. Hier auf Bali ist es umgekehrt: Derjenige, der sich nicht bewegt, verliert."

Und? Hat sich die Konferenz bewegt? Ja, werden Klimadiplomaten und Minister sagen, die in ihren Reden stets auf die dramatischen Ergebnisse des IPCC verwiesen. Aber angesichts dieser Ergebnisse kann man den Weltklimarettern auf Bali allenfalls bescheinigen: "Hat gewackelt!"

Das liegt an der Systematik der Weltklimadiplomatie selbst: Jeder Beschluss muss von den 190 Vertragsstaaten einstimmig getragen werden. Zwar definiert die Geschäftsordnung, dass die Mehrheit über die Minderheit bestimmt. Das aber fürchten kleine oder arme Staaten, die schon oft vom reichen Norden über den Tisch gezogen worden sind. Deshalb lehnen sie die Geschäftsordnung ab. Es gelten provisorische UN-Bestimmungen, nach denen Beschlüsse "einmütig" gefällt werden müssen. Heißt: Liechtenstein könnte jeden Beschluss verhindern. Genauso wie die USA.

In seinem Bericht zur Reform des UN-Sicherheitsrates schrieb der damalige Generalsekretär Kofi Annan: "Die Wahrung des Weltfriedens hängt ganz wesentlich davon ab, dass ein gemeinsames, weltweites Verständnis dafür vorhanden ist, wann die Anwendung von Gewalt sowohl rechtmäßig als auch legitim ist." Was für den Weltfrieden gelten soll, ist für das Weltklima genauso richtig. Ohne ein gemeinsames, weltweites Verständnis dafür, wie die Nutzungsrechte an der Erdatmosphäre sowohl rechtmäßig als auch legitim verteilt sind, werden die Blockaden bei künftigen Klimaverhandlungen kaum zu lösen sein. Augenscheinlich ist die Klimadiplomatie nicht in der Lage, ein solches gemeinsames Verständnis zu entwickeln.

Wir brauchen einen radikalen Neuanfang bei den Strukturen: die Gründung eines UN-Klima-Sicherheitsrates. Vorbild dafür ist der UN-Sicherheitsrat, der nach Artikel 24 I der Charta der Vereinten Nationen "die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit" trägt. Zweifellos bedroht die Erderwärmung den Weltfrieden wie kaum eine andere Entwicklung. Schon heute werden um Wasser oder Erdöl Kriege geführt, längst fordert der Klimawandel mehr Todesopfer als der internationale Terrorismus.

In den neuen UN-Klimarat könnten neun ständige Mitglieder berufen werden: 1. die Gruppe der kleinen Inselstaaten; 2. die Afrikanische Union, um die speziellen Probleme Afrikas artikulieren zu können; 3. die Mercosur-Staaten in Mittel- und Südamerika; 4. die G 77, 5. der südostasiatische Zusammenschluss Asean; 6. die arabisch dominierte Opec; 7. ein noch zu schaffendes Gremium für die zerfallende Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS); 8. die Europäische Union, die auch europäische Nicht-EU-Länder mit vertreten muss; 9. schließlich die übrigen Industriestaaten um Japan, Kanada und die USA. Natürlich bevorteilt eine solche Sitzverteilung den Süden. Aber das ist nur gerecht: Die Länder, die am wenigsten zum Problem beigetragen haben, leiden am stärksten unter dessen Folgen. Deshalb kann der UN-Sicherheitsrat auch nicht die Aufgaben des UN-Klimarates übernehmen: Er wird vom Süden nicht zu Unrecht als ein Gremium der Industrienationen wahrgenommen.

Mit Sicherheit werden jetzt die Russen aufschreien. Ebenso die Chinesen. Die USA sowieso. Sie sind nirgends in der ihnen angemessenen Gewichtung präsent. Deshalb gehören dem Klima-Sicherheitsrat noch fünf nichtständige Mitglieder an. Auf diese Sitze entsenden die G-8-Staaten ihren Vertreter, außerdem die Schwellenländer (also etwa China, Indien oder Brasilien) und die indigenen Völker, die von der Eisschmelze in der Arktis bis zum Abholzen des Regenwaldes besonders betroffen sind. Ergänzt würde die Runde durch einen Vertreter des UN-Klima-Sekretariats in Bonn sowie den Umweltminister jenes Landes, das die nächste Klimakonferenz ausrichtet - er wird es nämlich sein, der diese Konferenz als Präsident leitet. Beide erhalten als Konferenz-Organisatoren einen Beraterstatus. Ein Vetorecht besitzt im Gremium niemand.

Erste und wichtigste Aufgabe des UN-Weltklimarates ist, einen Vorschlag zu erarbeiten, wie künftig die Klimaverhandlungen auf eine neue Grundlage gestellt werden können. In der Vergangenheit nämlich waren historische Besitzstände die Basis des Kioto-Protokolls und aller anderen Gespräche. So verpflichteten sich die Industriestaaten zu Reduzierungen ihrer Emissionen von 1990 - und erwarteten dafür großes Lob. Woraus aber, fragen Entwicklungs- und Schwellenländer, leiten 20 Prozent der Weltbevölkerung eigentlich das Recht ab, mehr als 60 Prozent des weltweiten Kohlendioxidausstoßes zu verursachen? Praktisch könnte die Arbeit des neuen Gremiums so aussehen: Russland ruft den UN-Klima-Sicherheitsrat an, weil Österreich sein Kioto-Ziel nicht schafft. Im Entwurf für die UN-Resolution K 72 wird Wien ein Handelsembargo angedroht, falls nicht umgehend etwas unternommen wird. Bolivien ruft den Rat an, weil Deutschland 20 Kohlekraftwerke zu bauen plant. Resolution K 73 fordert die Bundesregierung auf, völkerrechtsverbindlich darzulegen, wie sie ihr selbstgestecktes Klimaziel erreichen will. Resolution K 74 droht die Entsendung einer internationalen Blauhelm-Schutztruppe an, falls die indonesische Regierung nicht innerhalb einer festgesetzten Frist die Brandrodungen auf Borneo stoppt.

Zweite Aufgabe des UN-Klimarates: Er muss eine Judikative entwickeln. So, wie es etwa einen Internationalen Seegerichtshof in Hamburg gibt oder den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, so braucht die Welt einen Internationalen Klimagerichtshof. Dessen Rechtsgrundlage müssten vom Klimarat erarbeitete Statuten sein, dann kann der Gerichtshof strittige technische Fragen der Klimadiplomatie entscheiden. Denn nie wieder soll ein Weltklimagipfel über Fragen wie diese debattieren müssen: Tragen Eukalyptus-Plantagen in Spanien in gleichem Maße wie Teakholz-Plantagen in Indonesien zum Klimaschutz bei?

Darum muss es dem UN-Klimarat als Drittes gehen: die jährlichen Klimagipfel von den zähen Detailfragen zu entlasten. Ob und wie man ein internationales meteorologisches Austauschsystem einrichtet, wer es mit prozentual welchem Anteil finanziert - dazu bedarf es keiner jährlichen Weltklimakonferenz. Jede Demokratie braucht eine Gewaltenteilung. Wer möchte, dass die Klimakonferenz das demokratische Zentrum der Weltklimapolitik bleibt, der muss ihr entsprechende Institutionen zur Seite stellen.

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Seit 1998 bei der taz (mit Unterbrechungen), zunächst als Korrespondent in Dresden, dann als Wirtschaftsredakteur mit Schwerpunkt Energie, Klima und Landwirtschaft, heute Autor im Zukunftsressort.

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