Debatte Kapitalismuskritik: Was ist jetzt noch links?

Die Finanzkrise bringt die Kapitalismuskritik durcheinander. Besonders umstritten bei den Linken: Soll der Staat die Banken retten? Die Antwort kann nur lauten: Ja

Ist jetzt etwa jeder links? Oder niemand mehr? Die Finanzkrise scheint alle angestammten Orientierungsmuster hinfortzuspülen. Selbst die konservative FAZ druckt nun Radiovorträge von John Maynard Keynes wie einen Forsetzungsroman, und auch Bankiers beklagen inzwischen die Bonigier ihrer Kollegen. Kapitalismuskritik hat Karriere gemacht, sie gehört zum guten Ton.

Gleichzeitig wird immer unklarer, welche Folgen die Kapitalismuskritik real haben soll, wenn man von den Boni absieht, die jeder unmöglich findet, der nicht Manager ist. Die Finanzkrise wirft Probleme auf, für die es kaum theoretische Vorarbeiten gibt. Das sorgt für Streit, auch bei den Linken. Geradezu exemplarisch ist die aktuelle Kontroverse, ob man die angeschlagenen Banken retten oder untergehen lassen soll. Besonders umstritten ist dabei die Hypo Real Estate, die schon 102 Milliarden Euro als Kredite und Garantien erhalten hat, obwohl die Bank an der Börse nicht einmal mehr 220 Millionen Euro wert ist. Dieses krasse Missverhältnis zwingt zum Grübeln, zumal der Staat nun weitere Hilfen in Milliardenhöhe plant.

Und so finden es inzwischen viele Linke richtig, die Banken einfach in die Pleite steuern zu lassen. Der Kommunikationswissenschaftler Friedrich Krotz etwa fragt: "Warum sollen die, die den Markt immer vergöttert haben, jetzt nicht mit diesem Markt glücklich untergehen dürfen?" Krotz sieht eine Gefahr, die nicht zu leugnen ist: "Statt der Vermögen der Banker werden die Verluste der Banken verstaatlicht und dadurch erst sozialisiert und den Steuerzahlern aufgebürdet" (taz, 19. 2. 09). Auch der Korruptionsexperte Werner Rügemer fordert eine Insolvenz für die Hypo Real Estate: Sie hätte keine systemrelevante Bedeutung für die Realwirtschaft. Es ginge nur "um spekulative Interbankengeschäfte" (Junge Welt, 25. 2. 09).

Doch es gibt auch andere Stimmen innerhalb der Linken. So glaubt der Globalisierungskritiker Peter Wahl, dass die Rettung der Banken "leider unausweichlich" sei, wenn man eine schwere Depression vermeiden wolle (taz, 23. 2. 09). Und wer hat jetzt recht?

Die Antwort ist unbefriedigend: Man weiß es nicht ganz sicher. Es ist eine der wichtigsten Lektionen aus dieser Finanzkrise, dass sich fast alle Prognosen über ihren Verlauf als falsch erwiesen haben. Das politökonomische Wissen hat sich rasant entwertet.

Um diese Orientierungslosigkeit mit einer Anekdote anschaulich zu machen: Kürzlich kündigte die US-Regierung an, dass sie für die Rettung der Banken zwei Billionen Dollar zur Verfügung stellt. Damit bewies sie immerhin, dass sie den Umfang des Problems begriffen hat. Doch wie sie diese enorme Summe konkret verwenden will, dazu schwieg sie. Die Börsen reagierten schockiert und schickten die Aktienkurse auf Talfahrt. Den Grund für die rätselhafte Konzeptlosigkeit der Regierung hat dann etwas später die Washington Post offenbart: Wochenlang habe das Team um den neuen Finanzminister Geithner das Rettungspaket berechnet und geplant - nur um zwei Tage vor der Verkündigung festzustellen, dass ihre Maßnahmen nicht funktionieren würden. Seither ist Sendepause.

Inmitten dieser globalen Ratlosigkeit scheint es nur einen Orientierungspunkt zu geben: Man weiß immerhin, welche Fehler sich als fatal erwiesen haben. Das kann durchaus hilfreich sein, wenn es gilt, über das Schicksal der Hypo Real Estate zu entscheiden.

So war es fraglos ein Flop, die US-Investmentbank Lehman Brothers nicht zu retten. Diese Entscheidung fiel am 14. September in der Nacht. Am nächsten Morgen war die Finanzkrise weltweit außer Kontrolle geraten. Weitere Banken und Versicherungen kollabierten - und selbst Kleinsparer in Deutschland gehörten zu den unmittelbaren Lehman-Opfern.

Dieser Dominoeffekt war von den meisten nicht vorhergesehen worden. Stattdessen hatten namhafte Finanzexperten wie der Harvard-Professor Kenneth Rogoff zuvor gefordert, dass die Banken ihre Verluste selbst tragen sollen. Die damalige Begründung erinnert durchaus an die Argumentation, die jetzt bei vielen Linken zu finden ist, wenn sie eine Rettung der Hypo Real Estate ablehnen: Die Investmentbanker müssen lernen, dass sie Verluste nicht immer auf den Staat abwälzen können. Lehman Brothers schien dann geradezu perfekt, um ein Exempel zu statuieren, denn es handelte sich um eine eher kleine Bank.

Das Ergebnis ist bekannt: Das Wort "systemrelevant" trifft nun auf unvermutet viele Kreditinstitute zu. Nach dem Lehman-Desaster erscheint keine Bank mehr zu klein, als dass man ihr nicht zutrauen würde, die globalen Finanzmärkte in den Abgrund zu reißen. Bei der Hypo Real Estate ist diese Sorge schon deswegen plausibel, weil sie ungefähr genauso groß ist wie Lehman Brothers.

Ein Konkurs der Hypo Real Estate würde übrigens keineswegs nur anonyme Banker schädigen, wie es Rügemer anklingen lässt, wenn er "spekulative Interbankengeschäfte" vermutet. Stattdessen wären indirekt Millionen von Deutschen betroffen. Banken sind ja nichts anderes als eine Sammelstelle für das Geld, das die Bürger gewinnbringend anlegen wollen und das die Banken dann weiterverleihen. Wenn nun die Hypo Real Estate Bankrott ginge und die anderen Banken ihre HRE-Kredite abschreiben müssten, dann würde dieser Verlust jeden treffen, der Bankanleihen gezeichnet hat, Zertifikate besitzt - oder eine Lebensversicherung abgeschlossen hat. Wenn das Abschreibungskarussell erst einmal startet, dann tun sich überall horrende Verluste auf, wie Lehman Brothers bewiesen hat.

Die Hypo Real Estate sollte also gerettet werden. Trotzdem ist das linke Misstrauen berechtigt, dass alle Steuerzahler die Last tragen - aber nur die Kapitalbesitzer profitieren. Ob es nun die Aktionäre der Banken sind oder eben die Besitzer von Anleihen. Solche Mitnahmeeffekte lassen sich nur ausgleichen, indem die Vermögenden an den Rettungspaketen beteiligt werden. Das Instrument ist schlicht und Linken gut vertraut: Die Steuern für die Begüterten müssen steigen. Die Stichworte heißen Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer, Vermögensteuer, Abgeltungsteuer und auch Körperschaftsteuer.

Die Konservativen haben die Gefahr durchaus gesichtet, dass Steuererhöhungen für ihre reiche Klientel drohen könnten. Die Antwort ist das Verwirrspiel rund um die Managerboni, die nun auch von Bankern scharf attackiert werden. Diese scheinbare Selbstkritik ist durchaus pfiffig: Damit wird die Empörung über die Finanzkrise kanalisiert - und vor allem personalisiert. Strukturelle Veränderungen wie Steuererhöhungen geraten schnell aus dem Blick, wenn sich das Publikum an Spitzenverdienern wie Deutsche-Bank-Chef Ackermann abarbeitet.

Was also ist noch links? Die Antwort heißt heutzutage wohl: Man rettet den Kapitalismus, aber nicht die großen Kapitalbesitzer.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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