Debatte Israels Bombardements: Eingeschlossen und beschossen
Die israelischen Bombardements verschärfen nur die humanitäre Krise im Gazastreifen. Israel muss die Blockade beenden - es unterwirft die Bevölkerung einer Kollektivstrafe.
I sraels Bombardements des Gazastreifens gehen weiter. Sie zielen auf Regierungsgebäude und Wohnhäuser, aber auch Moscheen und Bildungseinrichtungen. Als israelische Kampfflugzeuge in der Nacht zu Dienstag eine Moschee beschossen, trafen sie auch das Nachbarhaus. Dabei wurden die fünf Schwestern Jawaher (4), Dunia (8), Samar (12), Ikram (14) und Tahreer (17) Balousha getötet, drei ihrer Geschwister und beide Eltern verletzt. Seit Beginn der israelischen Angriffe auf Gaza kamen über 400 Menschen um, darunter rund 50 Kinder und 25 Frauen; etwa 2.000 Verletzte wurden in den Krankenhäusern behandelt.
Auch die Hamas schießt weiter: Bis Freitag fielen mindestens 20 weitere Raketen, die eine immer größere Reichweite haben, auf israelisches Gebiet. Seit Beginn der Angriffe auf Gaza sind diesen Raketen vier Menschen zum Opfer gefallen.
Die Krankenhäuser in Gaza erhalten am Tag nur sechs bis acht Stunden Strom, was für Schwerverletzte eine große Gefahr darstellt. Die Generatoren der Krankenhäuser wurden aufgrund der israelischen Blockade lange Zeit nicht mehr repariert und können jederzeit ausfallen. Die Hauptnotaufnahme in Gaza hat uns informiert, dass sie viele Verletzte nicht mehr aufnehmen kann. Momentan beherbergen sie neun Patienten, darunter sechs Kinder und zwei Frauen, die zum Überleben auf Atemgeräte und andere Maschinen angewiesen sind.
Obwohl Israel mittlerweile mehr Hilfslieferungen in den Gazastreifen durchlässt, ist das Gesundheitssystem in Gaza kaum fähig, auf eine Notlage dieser Größe zu reagieren. Es befindet sich aufgrund der mittlerweile einjährigen israelischen Blockade und der vorhergehenden, langjährigen Teilsperrung des Gebiets kurz vor dem Kollaps. Medizinische Geräte fehlen oder sind ausgefallen, weil Ersatzteile fehlen. Das Gesundheitspersonal ist mit komplizierten Notoperationen überfordert, und nach wie vor fehlen viele Medikamente und andere medizinische Hilfsgüter.
Seit Beginn der Bombardements arbeiten die Mitarbeiter der Palestinian Medical Relief Society (PMRS), der langjährigen Partnerin von medico international, im Nothilfemodus, also rund um die Uhr in drei Schichten. Die Mitarbeiter, gestärkt durch ein großes Freiwilligennetz, evakuieren Verletzte in die Krankenhäuser und leisten Erste Hilfe. Sozialarbeiter betreuen die Angehörigen der vielen Toten und Verletzten, eine Blutspendenaktion läuft gerade an. Dank eines elfmonatigen Projekts, das medico international mithilfe des Auswärtigen Amts finanziert, wurde ein Vorrat an Notfallmedikamenten und Medikamenten für chronisch Kranke angelegt. Die beiden mobilen Kliniken samt zwölfköpfigen Teams, die so finanziert werden, können neben ihrer regulären Arbeit auch Soforthilfe leisten. Da die Krankenhäuser jetzt für schwer Verwundete geräumt und chronisch Kranke, Herzpatienten oder Schwangere abgewiesen werden, kommen diese Patienten in großer Zahl nun zu den mobilen Kliniken, die damit überlastet sind. Zudem zerstörte erst im Februar 2008 ein israelisches Flugzeug eine mobile Klinik.
Derweil versuchen die "Ärzte für Menschenrechte" in Israel, das israelische Gesundheitsministerium dazu zu bewegen, Schwerverletzte aus Gaza herauszulassen. Der Staat Israel behandelt die Situation, als wäre sie alltäglich, und erlaubt ausschließlich Patiententransporte, wenn folgende Unterlagen vorliegen: Erstens eine offizielle Anfrage durch die palästinensische Autonomiebehörde (die den Gazastreifen gar nicht mehr kontrolliert), und zweitens ein Nachweis, dass die palästinensische Autonomiebehörde für die Behandlungskosten aufkommt.
Angesichts dessen hat die Autonomiebehörde entschieden, keine Anfragen für Krankentransporte an die israelische Behörden mehr zu stellen. Sie ist auch nicht gewillt, finanzielle Verantwortung für die Behandlungskosten zu übernehmen, da sie Israel direkt für diese Verletzungen verantwortlich machen. In der Vergangenheit, etwa während der ersten Intifada, übernahm Israel noch - infolge von israelischen Gerichtsurteilen - die finanzielle Verantwortung für Zivilisten, die durch israelische Angriffe verwundet worden waren.
Medico international und seine Partner fordern, den Erez-Übergang sofort für Verletzte zu öffnen. Israel sollte Verantwortung übernehmen für die Menschen, die durch seine Bombardements verletzt werden. Finanzielle Forderungen sollte Israel - wenn überhaupt - zu einem späteren Zeitpunkt stellen. Denn Israel herrscht nach wie vor über den Gazastreifen und ist nach internationalem Recht als Besatzungsmacht für Leben und Wohl der Bevölkerung von Gaza verantwortlich. Außerdem sollte es sofort die Blockade aufheben, um eine angemessene Versorgung der Bevölkerung von Gaza zu ermöglichen. Einseitige Schuldzuweisungen wie etwa von Bundeskanzlerin Angela Merkel tragen sicherlich nicht zu einer friedlichen Lösung bei. Vielmehr muss mit allen Parteien über einen Waffenstillstand verhandelt und darauf hingewirkt werden, dass die unverhältnismäßigen israelischen Bombardements, die ganze Familien auslöschen, sofort enden.
Die jetzige Krise war für jedermann vorauszusehen: medico international, seine israelischen und palästinensischen Partner sowie andere internationale Hilfs- und UN-Organisationen haben immer wieder darauf hingewiesen, dass die israelische Blockade des Gazastreifens die gesamte zivile Infrastruktur ruiniert. Diese Aufrufe wurden stets ignoriert. Gerade das Nahost-Quartett, bestehend aus der EU, den USA, der UNO und Russland, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass es durch seine Unfähigkeit oder seinen Unwillen, Israel zum Ende der Blockade zu bewegen, mitverantwortlich ist für die gegenwärtige Krise.
Ein Ende der humanitären Krise kann nur erfolgen, wenn die israelische Blockade von Gaza für Patienten, für Waren und für Zivilisten aufgehoben wird. Dies darf nicht eine zeitlich begrenzte Geste eines angeblich guten Willens sein, sondern muss auf Dauer garantiert werden. Alles andere stellt eine menschenrechtswidrige und gefährliche Kollektivbestrafung von anderthalb Millionen Menschen dar, von denen die Mehrheit minderjährig ist.
Gaza kann auch nicht isoliert betrachtet werden. Diese dichtgedrängte, verarmte Enklave hat nur als Teil eines künftigen Palästinenserstaats eine Zukunft. In dem weitaus größeren und wohlhabenderen Teil der besetzten Gebiete, in der Westbank, hat Israel ein System aufgebaut, das auch dort die Palästinenser in dichtgedrängte, voneinander isolierte Enklaven zu verdrängen sucht. Dies macht einen Palästinenserstaat unmöglich. Die Lösung für Gaza aber liegt im Abbau aller Siedlungen und dem Aufbau eines lebensfähigen Palästinenserstaats, der die gesamten besetzten Gebiete umfasst. Ohne diese Perspektive wird Gaza auf lange Sicht nicht befriedet werden können.
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