Debatte Integration: Der Gott der kleinen Dinge
Die meisten Alltagskonflikte haben nichts mit der Religion zu tun. Eine Deislamisierung der Debatte um Zuwanderer ist daher dringend geboten.
D ie allermeisten Menschen definieren sich nicht allein über ihre Religion. Doch in der fortlaufenden Debatte um den Islam, die mit viel Lust am Krawall und beißender Polemik geführt wird und in den vergangenen Wochen im deutschen Feuilleton eine weitere Runde gedreht hat, spielt das keine große Rolle. Vor allem die sogenannten Islamkritiker konstruieren zwei Wirgruppen, die sich angeblich unversöhnlich gegenüberstünden: Auf der einen Seite die scheinbar "aufgeklärte" und viel zu "tolerante" Aufnahmegesellschaft, auf der anderen die "rückständigen" Muslime, die mit weiteren negativen Zuschreibungen wie "Demokratieferne", "Intoleranz" und einem "übersteigerten Ehrbegriff" belegt werden.
Dieses Wahrnehmungsmuster birgt ein hohes Konfliktpotenzial. In letzter Konsequenz führt es zum Ausschluss alles "Anderen" und "Fremden", wie man an der Vielzahl von Verboten sehen kann, die von entschiedenen Islamgegnern vorgeschlagen werden, vom Kopftuch- und Minarettverbot bis zum Verbot der Burka oder gleich des Korans, wie der niederländische Rechtspopulist Geert Wilder es fordert. Doch auch wenn man einmal von solchen Extrempositionen absieht, befördert schon allein die Logik des Lagerdenkens die Vorurteilsbildung gegenüber der jeweils anderen Gruppe. Das lässt sich derzeit an zahlreichen kleinen Alltagskonflikten ablesen - zum Beispiel an Schulen, in denen nichtmuslimische Lehrkräfte mit muslimischen Schülern und Eltern aneinandergeraten. Selbst bei banalsten Fragen, die fehlende Hausaufgaben oder schlichtes Zuspätkommen im Unterricht betreffen, finden sie manchmal nicht zum konstruktiven Dialog. Aus dem Schützengraben heraus lässt sich aber kein gedeihliches gesellschaftliches Miteinander gestalten: Es gibt nur noch Fronten.
Wenn wir alle Probleme in unserer Gesellschaft ausschließlich durch die Brille der Religionszugehörigkeit betrachten, machen wir uns das Leben nur unnötig schwer. Skepsis ist daher angesagt, wenn alle Konflikte mit dem Islam erklärt werden - oder wenn sie mit dem Islam gelöst werden sollen.
ist Publizist und Islamwissenschaftler. Er lebt und arbeitet in Düsseldorf und Erfurt. Mit seiner Kollegin Irka-Christin Mohr veröffentlichte er jüngst ein Buch zum "Islamunterricht an staatlichen Schulen", das im Verlag transcript (Bielefeld 2009) erschienen ist.
Das gilt auch für eine Politik, die nach einer akademischen Ausbildung für Imame verlangt, damit diese dann als Integrationslotsen, Seelsorger oder Familienberater die Mitglieder ihrer Gemeinden auf Kurs bringen sollen. Denn die allermeisten Probleme, mit denen muslimische Zuwanderer in ihrem Alltag zu kämpfen haben, sind nicht religiöser Natur. Das ist empirisch belegt und oft gesagt worden, wird aber gern überhört.
Wenn wir die Integration der Zuwanderer erfolgreich gestalten wollen, ist deshalb eine entschiedene Deislamisierung der Debatte angesagt. Und auch in der alltäglichen Integrationsarbeit - also in Schulen, in Kindergärten und in der Jugendhilfe - sollte die Religion keine große Rolle spielen. Vielmehr sollte es darum gehen, nach der größtmöglichen Schnittmenge der gemeinsamen Interessen zu suchen, und auf dieser Grundlage praktische Kompromisse auszuhandeln.
Menschen aller religiösen und weltanschaulichen Orientierungen gemein ist, dass sie sich gleiche Chancen am Arbeitsmarkt, eine gute Ausbildung für ihre Kinder und lebenswerte Wohnquartiere wünschen - einen Zebrastreifen etwa, damit ihre Kinder die Straße sicher überqueren können.
Es gilt, das Gemeinsame zu betonen. In einer Gesellschaft, die sich durch eine kaum zu überblickende Vielfalt an Lebensentwürfen auszeichnet, ist das nicht immer ein leichtes Unterfangen. Die meisten Einrichtungen, auf denen Bildungsarbeit und das Gemeinwesen in den Kommunen ruht, werden der Vielfalt einer Zuwanderungsgesellschaft nur wenig gerecht. Das gilt für die großen Sozialverbände wie die Arbeiterwohlfahrt (AWO), die Deutsche Caritas, den Paritätischen Gesamtverband, das Deutsche Rote Kreuz, das Diakonische Werk der evangelischen Kirche und die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland. Sie spiegeln das weltanschauliche und religiöse Spektrum der Bundesrepublik der Fünfziger- und Sechzigerjahre wider. Eine auf solcherart konfessionellen Säulen ruhende Wohlfahrt, die ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern teilweise sogar religiöse Vorschriften für die private Lebensführung auferlegt, kann aber nicht gerade als Garant für Pluralität und Offenheit gelten.
Hinzu kommt ein weiteres Problem. Integration findet maßgeblich im kommunalen Raum statt. Doch die Integrationspolitik, die von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren in Kindergärten, Schulen, Freizeiteinrichtungen oder der Familienhilfe gestaltet wird, betrachtet Zuwanderer bislang hauptsächlich in asymmetrischen Klientenbeziehungen. Auf der einen Seite stehen professionelle Helfer mit ihrem Expertenwissen, auf der anderen Seite ihre Klienten "mit Migrationshintergrund", die in einer passiven Grundhaltung bestätigt werden. In diesem Modell treten Zuwanderer selten als souveräne, eigenständige und gestaltende Akteure in Erscheinung. Hier muss es in den Kommunen ein Umdenken geben. Es sollte dazu führen, Zuwanderer als gleichberechtigte Bürger auf Augenhöhe zu begreifen.
Eine zukunftsweisende Integrationspolitik müsste Zuwanderern mehr Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen und sie zugleich in die Verantwortung nehmen. Dazu müssten junge Zuwanderer in ihren Wohnvierteln gezielt angesprochen und ausgebildet werden - etwa um sie mit den Spielregeln bei der Vergabe kommunaler Fördermittel vertraut zu machen.
Letztlich braucht es dazu neue Trägerstrukturen, denn die bisherige Form der Migrantenselbstorganisationen (MSO) hat ausgedient. Über Ausländer- und Integrationsbeiräte am Katzentisch der Kommunalpolitik platziert lässt man sie bislang nahezu wirkungslos in der Kommunalpolitik gewähren. Besser wäre es, wenn Zuwanderer künftig ohne Umwege als reguläre Akteure und Partner in Erscheinung träten. Integration durch Partizipation lautet das Motto. Das heißt: Kindergärten, Jugendzentren, Bildungseinrichtungen und Familienhilfe von Zuwanderern für Zuwanderer - und natürlich auch für alle anderen, die in den Wohnquartieren leben.
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