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Debatte Hohe MietenBauen, kaufen, deckeln

Kommentar von Rainer Balcerowiak

Die Enteignung von Immobilienkonzernen ist keine Akutmaßnahme gegen den Mietenwahnsinn. Es braucht anderes. Immerhin: Der Druck wächst.

Wem gehört die Stadt? Foto: ap

M an reibt sich verwundert die ­Augen. 70 Jahre nach der Gründung der marktwirtschaftlich verfassten Bundesrepublik und 30 Jahre nach dem Ende der so­zia­listischen DDR wird in Deutschland erbittert über die Enteignung von Konzernen gestritten.

Die Berliner Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ hat Wirtschaftsverbände sowie konservative und wirtschaftsliberale Politiker in Schnappatmung versetzt. Sie wähnen einen Angriff auf die Grundfesten der freiheitlichen demokratischen Grundordnung – und müssen dabei erstaunt bis entsetzt feststellen, dass das Grundgesetz im bislang kaum beachteten Artikel 15 diese Möglichkeit ausdrücklich vorsieht.

Wenn es das Ziel der Initiative war, eine große gesellschaftliche Debatte über die sozial verträglichen Grenzen der Eigentumsfreiheit zu entfachen und drastische Maßnahmen gegen die für viele Menschen existenzbedrohende Mieten­explosion einzufordern, dann hat sie das bereits jetzt vollumfänglich erreicht. Das ist ein großer Erfolg für eine im besten Sinne linkspopulistische Kampagne, die an die Ängste und Nöte von Millionen Menschen unmittelbar anknüpft.

Doch was den konkreten Inhalt betrifft, lohnt es sich, ein bisschen genauer hinzuschauen. Ziel des Volksbegehrens ist keine Enteignung im Sinne von Vermögensentzug, sondern ein gesetzlich angeordneter Verkauf. Der Kaufpreis, der in diesem Kontext meistens als „Entschädigung“ bezeichnet wird, würde sich entweder am Ertragswert, am Verkehrswert oder am bilanziellen Marktwert orientieren und nach bisherigen Kostenschätzungen zwischen 9 und 35 Milliarden Euro betragen.

Eine im besten Sinne linkspopulistische Kampagne, die an die Ängste und Nöte von Millionen Menschen anknüpft

Es ist leicht auszurechnen, dass für diese Summen nicht nur temporär geförderter sozialer Wohnungsbau, sondern unmittelbarer kommunaler Wohnungsbau in erheblicher Größenordnung finanziert werden könnten. Ohne Rekommunalisierungen durch Ankäufe bagatellisieren zu wollen: Strukturell und nachhaltig kann die Wohnkrise in Berlin und anderen wachsenden Zentren nur durch forcierten Neubau überwunden werden.

„Die Linke“ bremst

Und da bekommt die Sache ein politisches Geschmäckle. Denn Die Linke, die die Enteignungskampagne als einzige Partei geschlossen und offensiv unterstützt, steht beim Neubau permanent auf der Bremse. Sie hat in den Koalitionsverhandlungen vor der Bildung des „rot-rot-grünen“ Senats Ende 2016 maßgeblich dafür gesorgt, dass das größte bereits geplante Stadtentwicklungsgebiet komplett gestrichen und eine Randbebauung des riesigen Areals am ehemaligen Flughafen Tempelhof quasi tabuisiert wird.

Rainer Balcerowiak

lebt als freier Journalist, Blogger und Buchautor in Berlin. Zuletzt erschien von ihm „Aufstehen – und wohin geht’s?“ (Das Neue Berlin, 2018).

Sie hat immer neue „Partizipationsschleifen“ in das Planungsgeschehen implementiert, was zu erheblichen Reduzierungen und Verzögerungen oder gar der Verhinderung von Neubauprojekten führt. Schon jetzt steht fest, dass die ohnehin wenig ambitionierten Neubauziele dieser Koalition verfehlt werden, vor allem im Segment des geförderten sozialen Wohnungsbaus.

Und statt alle vorhandenen rechtlichen Möglichkeiten zu nutzen, um die Eigentümer baureifer Grundstücke zu zwingen, dort tatsächlich zu bauen, beziehungsweise begonnene Planungsverfahren zu beschleunigen, hat die von einer linken Senatorin geführte Stadtentwicklungsverwaltung bislang hilf- und tatenlos zugeschaut, wie sich dieses „Bauüberhang“ genannte Brachliegen von Bauland in Berlin mittlerweile auf 60.000 potenzielle Wohnungen ausgeweitet hat. Da kommt eine populäre Kampagne, die sich ausschließlich auf einen Teil der Bestandswohnungen bezieht, natürlich wie gerufen, um vom eigenen Versagen abzulenken.

Grobe handwerkliche Fehler

Als „Akutmaßnahme“ gegen den Mietenwahnsinn taugt das Volksbegehren eh nicht. Selbst bei erfolgreichem Verlauf wären juristische Auseinandersetzungen bis hin zum Bundesverfassungsgericht oder gar zum Europäischen Gerichtshof zu erwarten, die viele Jahre in Anspruch nehmen würden. Nach der ersten Stufe, der Unterschriftensammlung, wird sich das Landesverfassungsgericht in Berlin mit der Zulässigkeit der Initiative befassen, mit ungewissem Ausgang.

Das Volksbegehren weist zudem grobe handwerkliche Fehler auf. Die Grenze von 3.000 Wohnungen, von der an ein Unternehmen enteignet werden soll, ist relativ willkürlich und nicht genauer begründet. Auch die Herausnahme der sechs großen städtischen Wohnungsbaugesellschaften aus der Liste ist nicht stichhaltig, da es sich um Aktiengesellschaften und GmbHs handelt, die sich zwar im Landesbesitz befinden, aber dem Wirtschaftsrecht unterliegen. Diese Gesellschaften sind weder gemeinnützig noch unmittelbar weisungsgebunden. Warum wird nicht die Überführung auch dieser Gesellschaften in öffentliche Trägerschaft, also eine Anstalt öffentlichen Rechts, gefordert?

Immerhin: Das Volksbegehren setzt weit über Berlin hinaus die Frage der Sozialbindung des Eigentums auf die politische Tagesordnung und erhöht allgemein den Druck auf die Politik, konkrete Schritte gegen Wohnungsnot und Mietenwahnsinn zu unternehmen – und sei es auch nur, um der unerwünschten Debatte über „Enteignungen“ den Wind aus den Segeln zu nehmen und den sozialen Sprengstoff der Wohnungsfrage ein wenig zu entschärfen. Es wird wohl auf eine Art „Mietendeckel“ hinauslaufen, der befristet den Anstieg der Bestands- und Neuvertragsmieten dämpfen könnte. Um die Ausgestaltung dieses Deckels lohnt es sich erbittert zu streiten, zumal erste Vorschläge in Richtung „Weiße Salbe“ gehen.

Die Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ hat jedenfalls eine große gesellschaftliche Verantwortung übernommen. Ihr Erfolg wird letztendlich nicht an der temporären Mobilisierungsfähigkeit für eine linkspopulistische Forderung zu messen sein. Sondern daran, ob für Wohnungsuchende und Mieter nicht nur bei besonders dreist auftretenden Immobilienkonzernen etwas Greifbares herauskommt – und zwar ein Dreiklang aus öffentlichem Neubau, Rekommunalisierung und Mietenbegrenzung.

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8 Kommentare

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  • Endlich ein fundierter Kommentar zum Thema in der taz. Danke dafür! Auch für die Verknüpfung mit dem aktuellen Politikverhalten beim Thema Bebauung Tempelhof! Was noch fehlt ist das Politikverhalten , bzw. -versagen beim Thema Stadtentwicklung Richtung Brandenburg. Wo ist die S-Bahnerschließung Richtung Freienwalde oder die Anbindung Wittenbergs? Es gibt sehr lebenswerte Städte im Umland die mit Park & Ride erschlossen werden können, bzw. schon Mal für Berlin erschlossen waren. Aber nun: Seit 30 Jahren: nix. Mit Bezirksdenken löst man aber keine Metropolenaufgabe.

  • 0G
    0371 (Profil gelöscht)

    Danke für den Kommentar. Auch ich halte Enteignungen für keine gute Idee. Dadurch wird nicht eine zusätzliche Wohnung geschaffen.



    Dieses Kind fiel in den Brunnen, als Städte und Gemeinden vor einigen Jahren sämtliches Tafelsilber verhökerten - wohl auch aus Geldnot heraus.



    Nun haben wir viel zu wenig Wohnraum in den Städten und Leerstände und Verfall auf dem Lande. Auch hier: multiples Regierungsversagen, wohin man auch blickt.



    Ansätze könnten sein: wie bekommt man wieder Arbeitsplätze aufs Land? (Die Solarbranche war hier so ein Pflänzchen, das man mit sonst kaum erkennbarer Verve zertreten hat). Kleine Startups benötigen dringend eine vernünftige Webanbindung. Damit lassen sich viele Strecken überwinden.



    In den Städten: Brachen und Spekulationsleerstände enteigen oder zur Wohnbebauung zwingen? Parkplätze raus und Wohnungen rein?

  • Die Enteignung ist ein längst überfälliges Zeichen gegen die Gier Einiger, die das Leben Vieler erschweren.

  • 9G
    91672 (Profil gelöscht)

    Ja, der Kommentar ist sehr gut.



    Und daß sich die Linken in Berlin ebenso schwer tun, wie die Rechten in Bayern, ist der Beweis für die Problematik.



    Und Mietenexzess hat nichts mit Wohnungsneubau zu tun. Gar nichts.



    Deshalb sollte die CDU/SPD-Politik endlich einsehen, daß die unbegrenzte Mieteinnahmenprognose des Marktes sich nicht mit der Fürsorgepflicht des Staates verträgt. GG ist GG. Da hilft nichts.

  • Bauen alleine hilft nicht und vor allem nicht zu den Preisen, die heute nötig sind.

    Nettokaltmiete ab 10 €?! Das passt leider nicht zu den Nettolöhnen der meisten Bürger/innen in D.

  • Danke für eine realistische sicht .



    Wenn jeder Neubau Blockiert wird aus ideologischen Gründen sollen die Linken doch mal erklären so wie die zusätzliche Bevölkerung unterbekommen will.Oder gibt es zwangszuweisungen ala die Oma wohnt in 3 Zimmern da können wir noch 2 Familien einquartieren.Sind nun eigentlich mittlerweile genug Unterschriften zusammen für die erste Stufe? Die Jubelmeldung ist irgendwie an mir vorbeigegangen.Wielange soll dann die 2.Stufe dauern ? Wo ja schon fast jeder Mieter der Konzerne unterschreiben muss.Der Rest der Mieter hat sowieso nichts davon.Und selbst bei den Mietern der Konzerne sind evtl genug mit Wirtschaftlichem Verständnis die nicht in einer Traumwelt Leben.

  • Sehr guter Kommentar! Vielen Dank!

  • Danke an den Autor und die taz für diesen Kommentar.

    Nur die Zahlen 9 bis 36 Milliarden halte ich für zu optimistisch. Die wahren Kosten dürften meiner Ansicht nach eher im Bereich 70 Milliarden anzusiedeln sein. Plus Prozesskosten über 3 Instanzen, Verfassungsgericht, eventuell europäischer Gerichtshof, europäischer Gerichtshof für Menschenrechte.

    Die angedrohte Abwertung des Rating von Berlin überrascht da kaum und kann nicht mit dem Argument „da wehrt sich das Großkapital“ hinweggewischt werden.

    Die Linke war es übrigens auch, die den Verkauf (besser: die Verramschung) der kommunalen Wohnungen überhaupt erst mit ermöglicht hat.

    In Berlin gilt: Die Linke ist Teil des Problems, nicht Teil der Lösung.

    Nirgendwo wird das deutlicher als in der elementaren Frage bezahlbaren Wohnraums.