piwik no script img

Debatte Geburt und FamilieGebärende haben keine Lobby

Eiken Bruhn
Kommentar von Eiken Bruhn

Die Geburt ist das prägendste Ereignis im Leben, aber nur selten schön. In der deutschen Geburtshilfe ist noch Luft nach oben.

Ob sich eine Geburt gut anfühlt, darf nicht länger Glücksache sein Foto: Imago/westend61

Z um Thema Familiengründung und -alltag ist viel gesagt und geschrieben worden. Nur die Umstände, unter denen Frauen Kinder gebären, scheinen kaum der Rede wert. Während ein würdevolles Lebensende unter großer Medienanteilnahme die Zentrale Ethikkommission beschäftigt, kämpft für einen würdevollen Beginn eine Handvoll kleiner Organisationen oder ein winziges Bundesland wie Bremen, weitgehend von der Öffentlichkeit unbemerkt.

Hin und wieder ein Artikel über die Kaiserschnittrate, eine Anfrage im Bundestag über die Arbeitsbedingungen von Hebammen – ansonsten bleibt die Auseinandersetzung um Geburten Privatsache. Dabei gestalten sich die Gespräche schwierig, das Verletzungsrisiko ist groß. Anstatt sich ehrlich auszutauschen, nehmen die meisten sofort eine Verteidigungshaltung ein: „Das war ein Not-Kaiserschnitt, wir wären sonst gestorben!“ Oder: „Zu Hause gebären ist nicht unsicher, wenigstens wird einem dort das Kind nicht weggenommen, weil es sich mit Krankenhauskeimen infiziert hat!“

Solche Diskussionen kommt über das Individuelle nicht hinaus. Dabei zeigen fast alle persönlichen Erzählungen, dass in der deutschen Geburtshilfe Luft nach oben ist. Und das vor allem dort, wo über 98 Prozent aller Geburten stattfinden: im Krankenhaus. Oder wie viele Frauen und Paare kennen Sie, die sich nur aus einem Grund für die Klinik entschieden haben: Weil sie gehört oder erlebt haben, dass es sich dort selbstbestimmt und in Ruhe gebären lässt?

Momente der Bevormundung

Ich habe den Satz, „Das war einfach schön“ genau einmal gehört. Von einem Paar, das die Geburt im Geburtshaus abbrechen musste. Alle anderen berichten von Momenten der Bevormundung, der Hektik, des Alleingelassenwerdens. Auffallend oft erst Monate oder Jahre später. Dann sprechen Frauen über das Gefühl, versagt zu haben – als Gebärende oder Stillende. Dann erzählen sie von der Hebamme, die ihnen trotz einsetzender Wehen befahl, die geburtseinleitende Pille zu schlucken. Vom Arzt, der einen Blick auf das Geschehen warf und befand „OP – hat keinen Zweck“.

Bei manchen setzt die Ernüchterung auch erst auf der Wochenbettstation ein: Wenn die Kinderkrankenschwester sie anschnauzt, weil sie das Neugeborene noch nicht gewickelt haben. Und dann gibt es noch diejenigen, die die Geburt ihres Kindes als blanken Horror in Erinnerung haben. Wie viele davon regelrecht traumatisiert sind, dazu gibt es nicht einmal Schätzungen.

Mit Sicherheit sind Extremfälle, bei denen die Betroffenen sich ohnmächtig und entwürdigt erleben, die Ausnahme. Und nur sehr wenig geschieht aus böser Absicht. Oft schaut das Klinikpersonal aus Angst und Überforderung mehr auf Zeit- und Maßeinheiten als auf die Frau oder die neue Familie. Und ja, heute ist vieles besser als in den 60er und 70er Jahren, als sich die Klinik als Geburtsort etablierte. Heute dürfen Familien zusammenbleiben, die Räume sind gelborange getüncht, es gibt Stillbeauftragte, Gebärwanne und Aromaöl-Massagen.

Es darf nicht länger Glückssache sein, ob sich eine Geburt, trotz aller Schmerzen, gut anfühlt

Dass aber in vielen Kliniken ÄrztInnen ein Drittel bis die Hälfte der Frauen in den OP schicken, steht nicht auf deren Internetseiten. Dabei gibt es Häuser, die beweisen, dass es anders geht. Zudem müssen Hebammen häufig zeitgleich drei oder mehr Gebärende begleiten. In Deutschland ist vorgeschrieben, wie viele Kinder eine Erzieherin betreuen darf, aber nicht, welcher Personalschlüssel im Kreißsaal unverantwortlich ist. Weil die Kassen für Geburten wenig zahlen und Hebammen Mangelware sind, kommen auf eine Hebamme jährlich 64,35 Geburten – einen schlechteren Schlüssel haben nur Spanien und Zypern. In Schweden sind es 14,2. Kaiserschnittrate? 17 Prozent. Und nein, dort sterben nicht mehr Säuglinge als in Deutschland. Sondern weniger.

Es gibt noch mehr messbare Indikatoren dafür, dass in deutschen Kreißsälen nicht alles rund läuft. Etwa die fehlende Vielfalt an Gebärpositionen. Eine auf dem Bett liegende Frau ist praktisch für die GeburtshelferInnen. Doch mangelnde Bewegung – auch ausgelöst durch Betäubungen wie die PDA – kann die richtige Drehung des Kindskopfs ins Becken verhindern und den Einsatz einer Saugglocke oder einen Kaiserschnitt notwendig machen. Zudem ist die Verletzungsgefahr in Rückenlage signifikant erhöht. Dennoch gebaren 2014 in horizontaler Lage: 80 Prozent aller Frauen. Viermal so viel wie im Vergleichszeitraum in der außerklinischen Geburtshilfe. Kein Wunder, dass das passive Verb „entbinden“ sehr viel häufiger verwendet wird als das aktive „gebären“.

Und obwohl bekannt ist, dass medizinische Eingriffe wie Einleitungen und Betäubungen den Verlauf einer Geburt oft nicht erleichtern, sondern im Gegenteil erschweren, werden sie routinemäßig eingesetzt.

Preis für ein gesundes Kind

Dass sich dagegen keine größeren Proteste erheben, hat damit zu tun, dass eine Geburt nur ein kurzer Moment im Leben ist, kein anhaltender Zustand. Vor allem aber glauben Eltern, einen Preis zahlen zu müssen, wenn sie mit einem gesunden Kind nach Hause gehen wollen. In Ermangelung anderer Rituale ist für werdende Eltern, wie Paula-Irene Villa in ihrem klugen taz-Essay „Geburt ohne Spuren“ dargelegt hat, ärztliches Handeln das magische Amulett. Mit dem wappnen sie sich dagegen, dass Geburten unberechenbar sind und sich weitgehend ihrer Kontrolle entziehen.

Es geht nicht darum, diese medizinischen Praktiken ganz zu verwerfen. Das will keine Hebamme, die eine Frau in ihrer Fähigkeit bestärkt, ein Kind aus eigener Kraft zu gebären. Und wenn sie einer Frau von einem Kaiserschnitt oder einer PDA abrät, dann nicht, weil sie einem „antimodernen“ Glauben an die Natur anhängt. Sondern weil sie um die wissenschaftlich belegten Vorteile der „natürlichen“ Geburt weiß.

Es darf nicht länger Glückssache sein, ob sich eine Geburt – allen Scheißschmerzen zum Trotz – gut anfühlt. Selbst wenn sie ganz anders verlaufen ist als geplant, auch wenn es schwierig war, vielleicht haarscharf an der Katastrophe vorbeischrammte: Eine Geburt ist der wahrscheinlich bewegendste und einschneidenste Moment im Leben. Es reicht nicht, wenn der nur „okay“ war.

Mehr Texte aus der Reihe „Familienangelegenheiten“ finden Sie unter www.taz.de/Familie

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Eiken Bruhn
Redakteurin
Seit 2003 bei der taz als Redakteurin. Themenschwerpunkte: Soziales, Gender, Gesundheit. M.A. Kulturwissenschaft (Univ. Bremen), MSc Women's Studies (Univ. of Bristol); Alumna Heinrich-Böll-Stiftung; Ausbildung an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin; Lehrbeauftragte an der Univ. Bremen; Systemische Beraterin.
Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • Kommentar eines alten, weißen Mannes: Es hat sich offensichtlich zwischen 1983/1987 und heute einiges geändert. Bei der Geburt unserer Kinder kam niemand auf die Idee, den Kaiserschnitt als primäre Geburtsmethode in betracht zu ziehen. Das war "Notfall"! Wir hatten bei beiden Kindern eine erfahrene Hebamme an unserer Seite, die alle (damals?) möglichen Möglichkeiten der Geburt in betracht gezogen hat, u.a. im Wasserbecken. Meine Ex-Frau wollte allerdings ins Krankenhaus, sie wollte liegen, sie wollte die PDA. Sie war jedoch Krankenschwester und hatte eine genaue Vorstellung davon, wie etwas abzulaufen hatte. Niemand hat ihr damals vorgeworfen, das Kind nicht gewickelt zu haben, weil ich das alles gemacht habe. Dto. zweites Kind. 30 Jahre später: Meine Tochter ist wie selbstverständlich im Krankenhaus. Steißlage. Kaiserschnitt. Automatisch. Ich vermute, das hat auch etwas damit zu tun, wie die heutige Rechtslage ist. Gut, ich war "nur" dabei, habe versucht, meine Ex-Frau zu unterstützen, aber die Möglichkeiten von Frauen, selbstbestimmt zu gebären und nicht nur zu entbinden, haben sich nicht wirklich zum positiven geändert (siehe Velofisch). Und nein, "früher" war nicht alles besser, aber die Geburt war keine "Sache" der Juristen, sondern der Frauen.

  • Es ist nicht die böse Gesellschaft, die schwangere Frauen quälen will. Es sind die Eltern von Kindern, die bei der Geburt geschädigt wurden, die zu diesen hohen Kaiserschnittsraten führen. Und natürlich die Gerichte.

    Ein kleines Beispiel: Wird kein Kaiserschnitt gemacht, obwohl vielleicht ein kleines Indiz auf ein Risiko hindeutet und verwirklicht sich dieses kleine aber bestehende Risiko, so ist das ein teurer Haftungsfall.

    Wird umgekehrt bei einem kleinen Indiz unnötigerweise ein Kaiserschnitt gemacht und bei diesem Kaiserschnitt gibt es Komplikationen, dann muss nicht gehaftet werden, wenn der Kaiserschnitt an sich fachgerecht durchgeführt wurde.

    Im Ergebnis gibt es Schadensersatz bei jedem Kaiserschnitt, der zu wenig durchgeführt wurde aber keinen Schadenseratz bei den Kaiserschnitten, die zuviel gemacht wurden - selbst dann wenn die Folgen ähnlich schwerwiegend sind.

    Daher werden Kliniken ihre Ärzt_innen dazu drängen, mehr Kaiserschnitte zu machen, die zudem von der Krankenkasse besser als natürliche Geburten bezahlt werden.

    Der "Trend" kommt aus den USA, die ein noch deutlich überdrehteres Haftungsrecht haben.

  • Ein wichtiges Thema & und ein wunderbarer Artikel dazu. Danke!

    Ich habe erst letzte Woche eine Unterhaltung mit einer Bekannten geführt zu genau diesem Thema. Sie sagte, vor ihrem (geplanten) Kaiserschnitt hatte sie keine Ahnung, was sie da erwartet. Und als sie da lag, fühlte sie sich wie eine Komik-Figur, der man den Kopf abgeschnitten hat, die aber weiter herumläuft...

    Gott & meiner guten Beleghebamme sei Dank, zähle ich zu den wenigen Glücklichen die sagen können: meine Geburt war wunderbar. Ich hatte das Glück die meiste Zeit der Geburt im Stehen verbringen zu können, PDA u.ä. blieben mir erspart und im Nachhinein erinnere ich mich nicht an die Schmerzen, sondern an das intensivste und bewegendste Erlebnis meines Lebens: das Gebären eines neuen Menschen....

  • 3G
    34970 (Profil gelöscht)

    Meiner Mutter wurde bei der Geburt meines Bruders gesagt das das "Balg gefälligst bald kommen soll" sonst können von ihm aus (Chefarzt) beide "verrecken". Vlt sollte man auch mal darüber diskutieren ob nicht auch psychische Gewalt einen Bruch des Hippokratischen Eides darstellt. Mir zieht sich jedenfalls alles zusammen wenn ich dran denk das solche Mediziner auf uns losgelassen werden. Konsequenzlos.

  • "Eine Geburt ist der wahrscheinlich bewegendste und einschneidenste Moment im Leben. Es reicht nicht, wenn der nur „okay“ war."

     

    Hier findet in der Erwartung eine ähnliche Überhöhung und Verklärung eines völlig natürlichen Ereignisses staat, wie es mit dem "ersten Mal" auch andauernd gemacht wird. Was soll das? Leben ist Leben und kein als noch so wichtig empfundenes Ereignis ist ohne die als ganz banal empfundenen Dinge wie das tägliche Mittagessen möglich. Also einfach mal auf dem Teppich bleiben und die Dinge sehen, wie sie wirklich sind.

    • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

      Haben Sie den Artikel überhaupt ingsgesamt gelesen?