Debatte Friedenspreis für Carolin Emcke: Wer alles richtig macht, kriegt Keile
Das Unbehagen an Emcke ist groß. Nichts dürfe man gegen die „Moralsuse“ haben. Was nur zeigt, wie wichtig ihr Anschreiben gegen den Hass ist.
Wer einen Friedenspreis in Deutschland verliehen bekommt, sollte die Splitterschutzweste am besten schon parat haben. Es ist zu vermuten, dass Carolin Emcke, die diesjährige Preisträgerin des „Friedenspreises des deutschen Buchhandels“ weiß, mit einer solchen Weste umzugehen, schließlich hat sie jahrelang aus Kriegs- und Krisengebieten berichtet. Sie hat dem Elend und dem Hunger ins Auge gesehen, der Armut und ganz sicher auch dem Bösen, dem sie sich in ihrer Rede in der Frankfurter Paulskirche gewidmet hatte. Dem Bösen, hier im Gewand des Rechtspopulismus, dem sie in ihrem jüngsten Buch „Gegen den Hass“ essayistisch entgegengetreten war.
Während sie in der Paulskirche, der heiligen Halle deutscher Nation, mit Ovationen bedacht worden war, war man in den Redaktionsstuben / Großraumbüros / Newsrooms weniger wohlmeinend mit ihr – der Kollegin. Schon seit bekannt wurde, dass sie heuer den Friedenspreis bekommen würde, ging es los mit den Sticheleien gegen eine Publizistin, deren Ansehen seit geraumer Zeit sehr groß ist.
„Carolin Emcke ist eine Frau, gegen die man nichts haben kann“, beklagte die Welt-Redakteurin Hannah Lühmann („Warum linke Männer keine Eier haben“) nach der offiziellen Ankündigung und fuhr fort: „Emcke den Friedenspreis zu verleihen, ist etwa so originell, wie Bambi süß zu finden.“
Mit dieser eher an einen Treppenhauslästerei erinnernden Ansage hatte sie quasi den Ton vorgegeben für das, was da noch kommen sollte – nicht nur, aber auch aus ihrem Verlagshaus.
Verachtung des Denkens
Schon die Besprechungen von „Gegen den Hass“ waren, freundlich gesagt, durchwachsen. So wurde Emcke im Zentralorgan des Klassenkampfs, der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit, vorgeworfen, in ihren Betrachtungen die soziale Frage außer Acht gelassen zu haben und sich stattdessen auf Gedöns-Nebenwidersprüche („Oberflächenprobleme“) wie die Geschlechterfrage oder Rassismus zu konzentrieren – all dies auch noch als Vertreterin einer „global bestens vernetzten und arrivierten Meinungselite“, die mit Pathos beklage, als „Homosexuelle und Publizistin“ der Verachtung ausgesetzt zu sein.
Als pathetisch kann dies wohl nur bezeichnen, wer selbst noch nie aufgrund seiner sexuellen Orientierung um seine persönliche Sicherheit fürchten musste – aber immerhin wahrte man im Feuilleton der Zeit den Ton.
Die Grünen standen einmal für Steuererhöhungen. Nun würden sie aber lieber gut bei der Bundestagswahl abschneiden – mit den Stimmen von Anwälten und Oberärzten. Wie sie still und leise ihren Kurs korrigieren, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 29./30. Oktober. Außerdem: Fußball gilt als Integrationsmotor? Ist er das wirklich? Und: Selbst wenn Donald Trump nicht gewählt wird – was wird aus dem Hass, den er gesät hat? Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
In der Onlineausgabe hingegen gefiel sich deren Kolumnist Thomas Fischer erneut in seiner Rolle des bösen, alten, weißen Mannes. Als die Verleihung des Friedenspreises bekannt wurde, schrieb er einfach mal so: „Wir lassen es herabschallen: Carolin! Emcke! Wir melden uns hiermit an auf der Warteliste der zehn verfolgtesten lesbischen Friedenskämpferinnen ohne eigene Meinung.“ Und noch einmal drauf: „belanglos“, „Geräusch der Worte“, „ein Nichts an Substanz“, Emcke!
Und wenn man es schon mit friedenskämpfenden Lesben zu tun hat, die sich in der Paulskirche darüber beklagen, dass sie zwar Reden halten, aber keine Kinder adoptieren dürfen, kann man die Gelegenheit ja gleich nutzen, ein paar Dinge zurechtzurücken. Dachte sich Richard Kämmerlings, wiederum in der Welt: „Demokratie bedeutet auch, dass Rechte von Minderheiten eingeschränkt werden können.“ So nämlich, wie die Rechte von Autofahrern (Tempolimit) und Hundebesitzern (Maulkorbzwang) eingeschränkt werden könnten, müssten eben auch (die Sicherheit gefährdende?) Homosexuelle mit Einschränkungen rechnen (Adoptionsrecht). Und sonst? Emcke, sie predige ja lediglich zu den Bekehrten.
Keine Außenseiterin
Emcke eine Priesterin. Schlimmer noch, wie die „Allerweltstheologin Margot Käßmann“ trete die Preisträgerin auf, echauffiert sich Welt-Kollege Thomas Schmid in seinem „Bericht von einem Feldgottesdienst“ und meint damit die Verleihungszeremonie in der Paulskirche, in der sich die links-liberale Gesellschaft wie in einer Sekte gegenseitig auf die Schultern haue, Emcke mittendrin, die sich zwar als Außenseiterin geriere, aber doch mittendrin sei in dieser Gesellschaft. Außerdem: zu viel Hannah Arendt, überhaupt zu viel Sprachphilosophie.
Ein Unbehagen wird hier geäußert, mal mehr, mal weniger deutlich – eine diffuse Ablehnung, die verstörend wirkt, weil Carolin Emcke zuvor als Lichtgestalt gefeiert wurde, geradezu konsensual geliebt wurde. Eine Frau. Homosexuell. Intellektuell. Eine Kriegsreporterin – ist es das, was Hannah Lühmann meinte, als sie schrieb, dass man gegen Carolin Emcke ja nichts haben könne?
Kann man ja offensichtlich schon, der Damm ist jedenfalls gebrochen. Das ist hierzulande schon anderen Lichtgestalten passiert. Margot Käßmann wurde schon erwähnt, aber auch der ehemalige Verteidigungsminister, dessen Namen man schon nicht mehr richtig schreiben kann, so vergessen ist er (Karl-Theodor zu Guttenberg) wurde lange auf einem Schild herumgetragen, bevor er mit Verve in den Dreck geschleudert wurde.
Der schönste Aufsatz von allen
Allerdings hatten sich Käßmann und zu Guttenberg tatsächlich etwas zu Schulden kommen lassen, als da wären: eine alkoholisierte Autofahrt und das Plagiieren einer Doktorarbeit. Aber was genau eigentlich hat Carolin Emcke nun falsch gemacht, außer, alles richtig zu machen? Würde es helfen, wenn sie besoffen mit einem Braunkohlekraftwerk über die Autobahn brettern würde?
Es ist das eine, mit ihr über Fragen des Verfassungspatriotismus zu debattieren oder mit ihr über die sozialen Probleme der Zuwanderung streiten zu wollen – aber eigentlich wird ihr zum Vorwurf gemacht, dass sie das Richtige sagt, dass sie eine predigende Moralsuse ist. Klassenkeile für Emcke, die mal wieder den schönsten Aufsatz von allen geschrieben hat und nun auch noch einen Preis dafür bekommt. Und gegen die man ja nichts haben kann – auch, weil sie homosexuell ist und also einer Minderheit angehört.
Eine Minderheit, die doch längst alles hat und nicht weiter nerven soll – gerade jetzt, wo es um wichtigere Dinge geht. Und dann kommt Carolin Emcke und beklagt sich in der Paulskirche: „Wir dürfen Bücher schreiben, die in Schulen unterrichtet werden, aber unsere Liebe soll nach der Vorstellung mancher Eltern in Schulbüchern maximal „geduldet“ und auf gar keinen Fall „respektiert“ werden?
Wahrheit muss sein
Auch das ist eben wahr in Deutschland, 2016. Es wäre ja wirklich schön, wenn man zu all diesen Dingen nichts mehr sagen müsste. So wie es ja auch schön wäre, wenn man solche Dinge nicht mehr sagen müsste: „Menschenrechte sind kein Nullsummenspiel. Niemand verliert seine Rechte, wenn sie allen zugesichert werden. Menschenrechte sind voraussetzungslos. Sie können und müssen nicht verdient werden. Es gibt keine Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit jemand als Mensch anerkannt und geschützt wird. Zuneigung oder Abneigung, Zustimmung oder Abscheu zu individuellen Lebensentwürfen, sozialen Praktiken oder religiösen Überzeugungen dürfen keine Rolle spielen. Das ist der Kern einer liberalen, offenen, säkularen Gesellschaft.“
Solche Sätze hat Carolin Emcke in ihrem Buch geschrieben – und in ihrer Rede in der Frankfurter Paulskirche gesagt. Wunderbar wäre es, wenn es sich bei diesen Sätzen tatsächlich um solche Allgemeinplätze und Banalitäten handeln würde, wie in den Kritiken behauptet. Doch ganz im Gegenteil sind diese Dinge ja keineswegs selbstverständlich – Gewalt und Aggressionen gegen Minderheiten nehmen zu – und jener „hohe Ton“, den man Emcke ankreidet, ist derzeit mehr als angebracht. Es geht darum, die Demokratie, die Freiheit, die Diversität zu verteidigen. Und das wird Carolin Emcke doch wohl noch mal sagen dürfen.
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