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Debatte FDP und LiberalismusMehr Freiheit wagen!

Kommentar von Peter Monnerjahn

Guido Westerwelle und der FDP fehlt ein klarer Begriff von Freiheit. Denn eine wahrhaft freiheitliche Politik müsste für mehr Chancengleichheit sorgen.

Die FDP will laut eigenem Programm Bürgern "gleiche Chancen auf freie Entfaltung" bieten. Bild: jonycunha / Lizenz: BY-SA

W enn Guido Westerwelle über die Gefahren "anstrengungslosen Wohlstands" jammert, dann klingt das gerade so, als seien wir Bürger im Naturzustand faul und müssten möglichst mit Anstrengung zur Beschäftigung angehalten werden, um nicht auf dumme Gedanken zu kommen. Dabei hatte man sich von seiner Partei eigentlich weniger Bevormundung erhofft als mehr, nun ja, Freiheit.

Besser als ein Vorsitzender, der wenig Verständnis von den Problemen erkennen lässt, die er lautstark kommentiert, stünde der FDP ein Vordenker zu Gesicht. Schließlich läge für eine Partei, die für eine "Stärkung der Freiheit" stehen will, kaum etwas näher, als sich eine klare Definition von "Freiheit" zuzulegen.

In ihrem Parteiprogramm geht die FDP immerhin einen kleinen Schritt in diese Richtung. Sie nennt als ihr Ziel, "Bürgern gleiche Chancen auf freie Entfaltung zu eröffnen". Noch im selben Atemzug folgt allerdings das große Aber: Als "Partner der Mitte" versteht sich die FDP als Anwalt für Menschen mit Leistungsbereitschaft, Eigeninitiative und Patriotismus. Wer diese Eigenschaften bereits hat, soll belohnt werden, und ein Schelm, wer dabei denkt, dass sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen muss, wer all das nicht bereits in die Wiege gelegt bekommen hat. In dieser beinahe calvinistischen Ethik soll jeder seines Glückes Schmied sein. Des Staates höchstes Anliegen sei es lediglich, diesem Unternehmensdrang möglichst nicht im Weg zu stehen.

Bild: privat

http://www.mi.fu-berlin.de/w/Main/PeterMonnerjahn ist freier Journalist und lebt in Berlin. Er promoviert derzeit an der Freien Universität im Fach Philosophie zu Karl Poppers "Open Society", daneben arbeitet er als Dozent und Trainer.

Glück, im Trockenen zu sitzen

Was sich in der Theorie und mit einem zugedrückten Auge noch halbwegs plausibel anhört - und in der Praxis umstandslos zu einem Instrument der Politik für jene wird, die glücklich im Trockenen sitzen -, fällt allerdings bereits unter dem Gewicht eines lästigen kleinen Faktums zusammen: Menschen werden nicht mit gleichen Chancen geboren, und auch ihr soziales Umfeld trägt selten zu einem Ausgleich bei. Der Abbau gesellschaftlicher Hürden, die darüber noch hinaus gehen, ist für den Staat zwar löblich, stellt aber kaum mehr als einen ersten zaghaften Schritt zu tatsächlicher Chancengleichheit dar.

Wenn wir es damit ernst meinen, müssen wir vor allem wissen, was unsere Freiheit eigentlich ausmacht. Fangen wir bei ein paar alltäglichen Beobachtungen an. So würde niemand bestreiten, dass er selbständige Entscheidungen treffen kann. Klar ist aber auch, dass unsere Entscheidungen von vielen äußeren Faktoren beeinflusst werden. Wir sind weder Zombies, die nur ein Handlungsziel haben, noch können wir leugnen, von guten Verkäufern oder anderen Psychologen zu Handlungen gebracht zu werden, bei denen das Bewusstsein nicht das letzte Wort hat. Kurz gesagt: Freiheit ist relativ. Wir jagen nicht etwas Absolutem nach, das man hat oder eben nicht, sondern haben immer einen (höheren) Grad an Freiheit vor Augen.

Innere und äußere Freiheiten

Zuerst ein Blick auf die innere Seite der Freiheit. Ohne Hilfsmittel können wir weder fliegen noch längere Zeit unter Wasser verbringen, und auch Hilfsmittel lassen nicht allzu viele Freiheitsgrade zu. Im Vergleich zu unserem Körper ist unser Verstand dagegen viel freier formbar - wir nennen es Bildung. Zu einem freien Geist gehört es, Alternativen sehen und deren Konsequenzen einschätzen zu können. Frei ist, wer in vergleichbaren Situationen, statt wie ein Süchtiger reflexhaft immer dasselbe zu tun, flexibel reagieren kann und die Folgen seines Handelns sieht.

Der äußere Aspekt der Freiheit betrifft den Einfluss der Situation, in der wir eine Entscheidung treffen. Hierzu gehören positive Anreize ebenso wie mögliche Benachteiligung oder Bestrafung. Wir können zwar über die rote Ampel fahren, aber tun es aus guten Gründen besser nicht. Auch sind manche äußeren Anreize unproduktiv oder geradezu freiheitshemmend. Der soziale Preis, sich beispielsweise als schwul, Atheist oder Bayern-Fan zu outen, variiert zwar von Ort zu Ort, er zeigt aber unmissverständlich, wo der Freiheit ein mitunter böiger Wind ins Gesicht bläst.

Hieraus folgt: Jegliche Politik, die die Freiheit der Bürger als ihr Ziel formuliert, hat an zwei Fronten zu kämpfen. Deren erste ist ein Bildungsauftrag: Wer umfassend gebildet ist und sowohl viele als auch flexibel einsetzbare Fähigkeiten hat, ist immerhin mit innerer Freiheit gesegnet. Die zweite Front liegt in der Mitte der Gesellschaft: Hier gilt es, die Hürden abzubauen, die den Einzelnen davon abhalten, seine Freiheit tatsächlich auszuüben, seien es nun gesellschaftliche wie ökonomische Zwänge, Vorurteile oder autoritäre Regeln. Im Zusammentreffen beider Aspekte liegt der eigentliche Kern freiheitlicher Politik.

Individuelle Begabung fördern

Wo wir individuelle Begabungen ausmachen und ausbilden, um mit ihnen persönliche Erfüllung zu finden, haben wir eines der höchsten freiheitlichen Bildungsideale im Blick. Freiheitliche Politik hat aber nicht nur für "Hochbegabte" und Besserverdienende da zu sein, sondern für jede und jeden. Der erste Schritt zu diesem Ziel sind sicher nicht gleichmacherische Bildungsstandards, die zu fordern gerade der FDP peinlich sein sollte, sondern das Aufspüren und Ausbilden persönlicher Stärken, die in einen größeren Bedeutungszusammenhang gestellt gehören. Ersteres ist die aktive Suche nach Freiheitspotenzial sowie die Übung im Umgang mit ihm. Letzteres stellt die gemeinsame Basis her, auf der eine Gesellschaft konstruktiv miteinander reden kann: Das ist der einzig relevante Bildungsstandard.

Gleichzeitig können wir heute, dank Industrialisierung und immenser Produktivitätssteigerungen, jedem die Freiheit der (gesellschaftlich!) produktiven Selbstverwirklichung geben. Niemand bräuchte Angst zu haben, ohne geregeltes Arbeitsverhältnis auf der Straße zu sitzen oder keine Krankenversicherung zu haben. Das Instrument dafür heißt bedingungsloses Grundeinkommen: die unbürokratische Absicherung eines würdigen Lebensstandards. Dieses einfache Prinzip ist der natürliche Feind jeglicher Bevormundung und könnte beachtliche Mengen gesellschaftlicher Energie freisetzen. Es ist längst bezahlbar und wäre das Freiheitlichste und in der Tat Befreiendste, was unserer Gesellschaft seit Langem passiert ist.

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18 Kommentare

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  • A
    antipropaganda

    "Liberty just means the freedom to exploit" (new model army "225")

     

    In einem marktwirtschaftlichen System "mehr Freiheit" für Unternehmer, Konzerne & Kapital zu fordern, entspricht derselben Forderung in Monarchien für 'den Typen mit Krone' oder 'Penisträger' in patriarchalischen Gesellschaften.

    (Dabei geht es um Macht, nicht um Freiheit. Es gibt auch keine kein 'Recht auf Macht über andere', auf das man sich berufen könnte)

     

    Die angeblichen "Einschränkungen" [steuern, Kündigungsschutz, Umwelt-Auflagen] haben niemandes Freiheit beschnitten. Sondern der restlichen Welt [d.h. Menschen, Wäldern, Ozeanen ohne Kapital] ein wenig Schutz vor noch mehr Souveränitätsverlust über die eigene Biografie gewährt, als ihnen eh schon zugemutet wird.

     

    Leider wird (trotz der Beliebtheit von FDP-Bashing) deren Welterklärungs-Formel "Freiheit oder Sozialismus (bzw. Staat)" selbst von vielen Kritikern übernommen: "Freiheit muss auch irgendwo Grenzen haben", heißt es dann bspw. Warum schreibt/sagt kaum jemand, dass es hier eben gerade NICHT um Freiheits- sondern eher MACHTgrenzen geht?!! Stattdessen unterstützt & kloppt man sich wie Papst und Kaiser im Mittelalter darum, wem denn nun Gottes Herrschaftsauftrag gelte – die Freiheit wird bei beiden auf der Strecke bleiben.

  • H
    hto

    UND WILLSTE ÜBERN RASEN LAUFEN MUSSTE DIR EIN GRUNDSTÜCK KAUFEN!?

  • J
    joamina595

    Danke Herr Monnerjahn für Ihre ergänzenden Ausführungen

    adressiert an Frau Nina Schultes.

     

    Ich stimme Ihnen nochmals voll und ganz zu und ergänze Ihre

    Anregungen mit dem Hinweis auf die von mir jüngst entdeckte

    und mich in ihr gleichsam schon engagierte Bewegung:

    "democracy in motion"- www.omnibus.org

     

    Mit der Hoffnung bald wieder von Ihnen zu hören und darüberhinaus mit Ihnen persönlich sprechen zu können

    grüße ich Sie herzlich

  • PM
    Peter Monnerjahn

    anke schrieb:

    "Hat etwa Peter Monnerjahn das ökonomisches Perpetuum mobile erfunde? Tut mir leid, Freunde, aber ich kann sie nicht leiden, diese Typen, die ihre jeweilige Lieblingsidee als nebenwirkungsfreie Lösung für alle Probleme dieser Welt propagieren!"

     

    Wie wär's, wenn Sie sich erst einmal ein bißchen Sachkenntnis verschaffen würden, bevor Sie andere für blöd erklären?

     

    "Nur wer arbeitet, soll essen" -- diese Pseudo-Moral ist nicht nur atemberaubend menschenverachtend, sondern schlicht ökonomischer Blödsinn. Wie Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburger Welt-Wirtschaftsinstituts, in "brand eins" 7/2005 sagte: "Unser Problem besteht darin, daß so viele das für so richtig halten." Wir müssen endlich verstehen, daß die Industrialisierung und ihre Produktivitätssteigerungen exakt zum Ziel hatten und haben, daß Menschen immer weniger sogenannte "ehrliche" Arbeit verrichten müssen und damit mehr Zeit für Dinge haben, die nicht mehr direkt dem reinen Lebensunterhalt dienen.

     

    Zum Punkt, das sei kindische Naivität, die nicht zu bezahlen ist: Sämtliche Sozialausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden sind bereits jetzt so hoch, daß wir fast allein davon ein BGE von 1000 € pro Frau, Mann und Kind bezahlen könnten. Der Wegfall der gesamten, komplett unproduktiven Sozialbürokratie ist da noch nicht einmal mit eingerechnet.

     

    Und dann noch das übliche, ebenfalls kenntnisfreie Argument, dann würde ja niemand mehr arbeiten gehen. Wieder Thomas Straubhaar: "Die überwiegende Zahl wird weiter arbeiten wollen, aus sozialen, aus kulturellen Gründen, aber auch und vor allem, weil sie mehr Geld haben wollen. Es gibt fundierte Studien, die uns genau das immer wieder sagen. Und wenn dann einige vor dem Fernseher liegen bleiben: na prima. Das tun sie sowieso. Nur versucht nicht jeder, sie mit sinnlosen Regeln und Verordnungen wieder in eine Arbeit zu bringen, die sie nicht wollen. Die stehen dann auch niemandem mehr im Weg herum, und wir können uns darauf konzentrieren, etwas voranzubringen."

  • PM
    Peter Monnerjahn

    » Nick Sers schrieb:

    "Wieso sollte man Freiheit "wagen"? - Als ob das eine Krankheit wäre. - Genau wie der Slogan "Mehr Demokratie wagen" - Hier sollen Grundfesten und Errungenschaften diskreditiert werden."

     

    Nein, es soll nur darauf hingewiesen werden, daß den heutigen Politikern fast allesamt der nötige Mut fehlt, Ideen zu verfolgen, für die man tatsächlich Unterstützung einwerben müßte, die aber gleichzeitig das Potential haben, die Gesellschaft tatsächlich weiterzuentwickeln, statt sie stagnieren zu lassen.

  • DH
    Dr. Harald Wenk

    Die Natur des Menschen, sofern sie als "Pfund mit dem man wuchern kannn", ontologisch/biologisch mit vielen Entwicklungsmöglichkeiten in jedem Menschen variiert vorliegt, ist doch zu vielschichtig und das "gößte Wunder, das wir kennen". Freihet wäre Entfaltung dieser Potentaile, da sind sich tatsächlich alle, sogar Frau @Nina Schulte einig.

    "Der Existenzkampf als Erziehungsanstalt", auch der ökonomische, der dauernde zensierenden Rotstsift und die Erfordernisse der Arbeit nicht nach der Natur des Menschen, sondern nach recht chaotisch anfallenden Produktionsmöglichkeiten durch Marktgesetze bringt neben Mord und Totschalg Zivilisatiosnkrankheiten und starke "Deckelung" der Natur des Menschen mit sich.

     

    Wie weise doch Marx die Verzögerung der Entwicklung und Verbreitung der Technologien, für die der Mensch einen stark strapazierten Übergangsplatzhalter darstellt,

    als sehr stark schädlich für die Menschen eingeschätzt hat.

     

    In den Debatten der FDP ist ein Hinauskommen, sogar in der Diksussion, über blanke Existenznotwendigkeit gar nicht zu denken. Das in den "Existenznotwendigkeitsbranchen" unter 5 % in der Landwirtschaft und auch nicht viel mehr in der Bauindustrie arbeiten, stört da recht wenig.

     

    Da steckt in der Themenbehandlung ein Wille Vernichtung auch nur der Denkahnung wirklicher Freiheit. Elektrizität und ein paar Medikamente habe die Mesnchheit geradezu von realem Alp innerhalb recht kurzer Frist befreit.

    Seltsamerweise schreit das nur bei finanziell profitierenden Klassen nicht nach handgreiflicher Wiederholung.

  • NS
    Nick Sers

    Wieso sollte man Freiheit "wagen"? - Als ob das eine Krankheit wäre. - Genau wie der Slogan "Mehr Demokratie wagen" - Hier sollen Grundfesten und Errungenschaften diskreditiert werden. - Und wenn dann wieder behauptet wird, dass das alles längst veraltet ist und andere Theorien ausgepackt werden, kann man (zumindest jetzt noch, solange die Geschichte nicht zu sehr gekürzt wird) erkennen, dass diese Theorien manchmal noch älter sind.

    Ob irgendetwas wahr und sozial gerechtfertigt ist (im eigentlichen Sinne "sozial" - nicht der durch INSM und Bertelsmann umgemünzte Begriff) wird hier dann nur aus Sicht einer priviligierten Schicht betrachtet, die gar nicht wahrhaben will, dass Sie auf sich allein gestellt Überlebens-unfähig wäre.

  • A
    anke

    Hat etwa Peter Monnerjahn das ökonomisches Perpetuum mobile erfunde? Tut mir leid, Freunde, aber ich kann sie nicht leiden, diese Typen, die ihre jeweilige Lieblingsidee als nebenwirkungsfreie Lösung für alle Probleme dieser Welt propagieren!

     

    Die FDP sagt Freiheit und hofft, dass niemand fragt, was genau sie damit meint. Peter Monnerjahn sagt Bedingungslioses Grundeinkommen und klingt dabei in meinen Ohren wie eine Dreizehnjährige, die eine Taschengelderhöhung fordert.

     

    Wieso ausgerechnet eine auf sämtliche Bürger ausgeweitete staatliche Alimentierung das befreiendste sein soll, was einer Gesellschaft wie der deutschen passieren kann, begreife ich einfach nicht. Vielleicht, weil ich den real existiert habenden Sozialismus von innen kenne.

     

    Nein, Menschen sind im Naturzustand nicht faul. Im Gegenteil. Die, die sich das leisten können, kommen nur leider alle irgendwann in jene Lebensphase, in der sie sich quasi über Nacht für das Zentrum des Universums halten. In dieser Lebensphase beurteilen sie alles, was an Tätigkeiten anfällt, danach, ob es akut und ausschließlich dem eigenen Wohlbefinden nützt oder ob es nicht vielleicht verzichtbar ist, weil offensichtlich (auch) andere davon profitieren. Würde diese Phase (wie etwa ein Schnupfen) von allein wieder vergehen, würde sie keine Probleme machen. Leider tut sie das nicht. Manche Leute finden bis an ihr Lebensende nicht heraus aus dem Nur-Anspruchs-Denken. Wer sich fragt, warum das so ist, landet leider schnell bei der bedingungslosen Absicherung.

     

    Um zu lernen, braucht der Mensch den Vergleich mit seinesgleichen. Wer sprechen lernen will, braucht einen Ansprechpartner, der die Bedeutung der Worte durch seine Reaktionen verdeutlicht. Wer wissen möchte, welche Folgen Egoismus hat, braucht nur an Leute zu geraten, die Egoisten sind – oder an Leute, die sich ihm ausliefern. Und ob das, womit man sich beschäftigt, für andere Menschen interessant sein könnte, erfährt man heutzutage am schnellsten dann, wenn man seine Leistung auf den Mark bringt. Auf den Märkten dieser Welt wird Selbstbefriedigung in aller Regel nicht honoriert. Jeder nämlich würde sich gern bezahlen lassen für egoistisches Verhalten. Fragt sich nur, von wem.

     

    Die letzten, die unterstellt haben, sie könnten im luftleeren Raum agieren, waren die Banker. In ihre Finanzprodukte haben sie Werte hinein interpretiert, die mit der Gesellschaft vor den Börsentüren nicht das geringste zu tun hatten. Ein erhebliches Wohlbefinden durch bedingungslose Spitzeneinkommen war die Folge – und der größte Wirtschaftscrash der Neuzeit. Dabei waren die Banker nur Angehörige einer vergleichsweise kleinen Minderheit.

     

    Seit fast dreitausend Jahren haben wir Europäer uns daran gewöhnt, Geld als Äquivalent für Leistung zu betrachten. Wer nicht arbeitet, heißt es, der soll auch nicht essen, und ob einer gut gearbeitet hat, wollen wir beurteilen dürfen – am liebsten, in dem wir unser sauer verdientes Geld ausgeben. Auf der (vermeintlichen) Möglichkeit zum Urteil basiert der innere Frieden europäischer Gesellschaften. Hier und heute wird Kapitalismus mit Leistungsgesellschaft übersetzt. Das Äquivalent über Nacht dadurch vollkommen zu entwerten, dass man es jedem ohne erkennbare Gegenleistung zur Verfügung stellt, würde (nicht nur) die moralische Basis dieser Zivilisation erschüttern. Von jedem, der mir so etwas vorschlägt, erwarte ich im Mindesten, dass er die psychologische Verfasstheit der Gesellschaft berücksichtigt und Alternativen zum Gewohnten aufzeigt. Von Vorschlägen dazu, wie man möglichen negativen Folgen begegnen will, noch gar nicht reden.

     

    Nein,die Philosophen sind heute keine Hilfe mehr. Im Gegenteil. Und außer den Philosophen haben offenbar auch andere jedes Gefühl für die gesellschaftlichen Zusammenhänge verloren. Es scheint, als wären sie in jener Phase stecken geblieben, die man als die Pubertät bezeichnet. Man kann auch Unmündigkeit dazu sagen oder Verantwortungslosigkeit. In der DDR ist die staatlich beförderte Verantwortungslosigkeit so weit gegangen, dass kaum jemand sich überlegen wollte, wie die kostenlose medizinische Behandlung oder die kostenlose Bildung realisiert werden soll, wenn der Staat weder Steuern erheben, noch als Eigentümer der Produktionsmittel auftreten darf. Ost-Sicherheit plus West-Wohlstand und das alles zum Nulltarif – so sah das Traumland vieler DDR-Bürger aus. Der Traum ist geplatzt. Wieso, ist den meisten Leuten offenbar noch heute ein Rätsel. Im Westen, fürchte ich, ist das nicht anders.

  • PM
    Peter Monnerjahn

    Liebe Frau Schultes,

     

    danke für den Link, die Rede hatte ich tatsächlich noch nicht gelesen. Leider hätte aber auch das nicht viel geändert.

     

    Wie auch in seinem "Zeit"-Artikel vom 26.2. bleibt Herr Lindner sehr vage, wenn es darum geht, Begriffe wie "Bürgergeld" oder "Freiheit" mit Inhalt zu füllen. In beiden Texten klingt auch immer wieder durch, daß der Staat einfach zu häufig im Weg ist -- was gerade im Hinblick auf Bürokratie sicher richtig, aber weder eine großartige Erkenntnis noch auch nur die halbe Miete ist. Herr Lindner wehrt sich in der "Zeit" gegen ein simplifizierendes "Weniger Staat gleich mehr Freiheit", aber so richtig viel Konkretes, was der Staat denn tun müßte, hat er leider auch nicht zu bieten.

     

    Um aus den schönen Worten etwas Glaubhaftes werden zu lassen, müßte ein ernsthaft "konsequenter Liberalismus" auch klar sagen, was denn aus diesen Ansichten konkret folgt. Wenn er konsequent sein will, darf er eben nicht nur den Weg für Talent freiräumen, sondern muß es aktiv suchen und seine Herausbildung fördern -- nicht nur die Entfaltung der Freiheit ermöglichen, sondern eines jeden Freiheit aktiv schaffen und mehren.

     

    Nicht zuletzt kommt es dann auch auf Gemeinschaft als Ziel an. An der Ausbildung ungehemmter Einzelkämpfer hat eine Gesellschaft kein Interesse, und das hat direkte Auswirkungen auf zwei Aspekte der Texte von Herrn Lindner.

     

    Wer sich z.B. ernsthaft mit dem Thema Schule und Bildung auseinandersetzt, wird Herrn Lindners (rudimentäre) Argumentation, eine Einheitsschule würde die Gesellschaft spalten, bestenfalls lächerlich finden. Nicht nur ist ein Austausch (und gegenseitige Anregung) zwischen verschiedenen sozialen und Bildungsschichten gesellschaftlich mehr als wünschenswert, die Praxis zeigt auch immer wieder, daß in jedem Talente und Ideen schlummern. Einteilungen in -- leider in jedem Fall sehr subjektive -- Leistungsgruppen (oder Gymnasium, Real- und Hauptschule) sind nachweislich häufig selbsterfüllende Prophezeiungen, von den zuallermeist zugrundeliegenden eindimensionalen Maßstäben ganz zu schweigen.

     

    Der zweite Punkt: Bürger sollen "endlich Vorrang vor dem Staat" haben? Eine spalterischere (und simplifizierendere) Haltung ist wohl kaum denkbar. Wir Bürger *sind* der Staat, und wir *schaffen* den Staat. Wir müssen uns nicht gegen den Staat wehren, sondern es ist unsere Aufgabe, ihn zu gestalten. Und zwar gerade so, daß möglichst jeder an ihm *mitarbeiten* will, und nicht gegen ihn.

  • A
    Amos

    Den anstrengungslosen Wohlstand hat Westerwelle doch durch seine Nebeneinkünfte selbst. Für die er doch nichts anderes zu tun braucht, als sich auf Kosten der

    Allgemeinheit bei den "Schmiergeldzahlern" zu bedanken.

    Wenn die Arbeitslosen clever sind, dann sammeln sie eine Million und spenden die an die FDP, dann tut Westerwelle auch etwas für "diese Klientel". Die da oben sollten sich alle was schämen.

  • FM
    Fridolin Müller

    Sehr geehrte Frau Schultes,

     

    das bedingungslose Grundeinkommen hat aber auch gar nichts mit dem Bürgergeldder FDP zu tun, das auch nichts anderes als ein niedrigeres Hartz 4 ist an das nicht so viele Bedingungen geknüpft sind. Der FDP Bürgergeldansatz geht jedoch davon aus, dass die meisten Empfänger mehr arbeiten könnten und nur nicht wollen weil sie im Moment besser mit Hartz 4 wegkommen. Das wiederum widerspricht der Dreikönigsrede da dort richtigerweise steht, dass Arbeit nicht nur für den Lebensunterhalt sondern für ein erfülltes, ausgeglichenes Leben sorgt. Und mal ehrlich wer will bitte langfristig mit dem Geld eines Hartz 4 Empfängers auskommen? Alles was ich aus den 5 Seiten herauslesen kann ist auch nur das die FDP Freiheit zwar teilweise richtig definiert jedoch wenn man sich ihre Politik ansieht, Freiheit nur Menschen denen es gut geht ermöglicht(Stichwort Steuersenkung --> Hilft nur Menschen die Steuern bezahlen, also einen relativ gut bezahlten festen Arbeitsplatz haben).

     

    Ich finde den Artikel super, da er die FDP in ihrer Schizophrenie, dem Umgang mit dem Freiheitsbegriff, angreift.

  • R
    rusti

    Die FDP steht für die Freiheit des Finanzkapital und nicht für die Feiheit der Mehrheit der Bürger dieses Staates.

    Sie ist ein billiger Büttel, der mit diffuser Propaganda, einer grenzwertigen Rechtsauffassung und ihren wahren Taten, die Freiheit der Bürger immer mehr einschränkt. Selten so eine scheinheilige und verlogene Partei erlebt.

    Bei der großen Anzahl der REchtsverdreher in dieser Partei ist dies auch kein Wunder.

  • FB
    Franz Beckenbauer

    schon witzig, wenn ein kommunistische zeitung sich für mehr freiheit ausspricht.

  • KS
    katja stein

    Es gibt einen riesigen Haken am Bürgergeld der FDP: "Das Konzept sieht auch Sanktionen im Falle des Missbrauchs vor. Die Pauschale für den Lebensunterhalt kann demnach um bis zu 30 Prozent gekürzt werden, wenn angebotene zumutbare Arbeit abgelehnt wird." http://www.fdp-bundespartei.de/webcom/show_page.php/_c-555/_nr-1/i.html

     

    Das ist der kleine, aber signifikante Unterschied zum bedingungslosen Grundeinkommen.

     

    Eine Partei die sich Freiheit auf die Fahnen schreibt, sollte sich meiner Ansicht nach mehr den Menschen,als dem Kapital verpflichtet fühlen.

    Doch so lange ein Wirtschaftssystem, welches sich ausschliesslich am unregulierten Wettbewerb, den Mechanismen von Angebot und Nachfrage orientiert, nicht ernsthaft hinterfragt wird, sind gesellschaftlich wertvolle Tätigkeiten (z.B. Alten-, Kranken-, Kinderpflege) materiell nicht ansatzweise so lohnend, wie eine Tätigkeit, die bewusst auf Manipulation und Gewinnmaximierung setzt(z.B. Werbung, Fussball,...)

     

    Die FDP verweigert hier ganz ungeschminkt dem Bürger die Freiheit, selbst zu entscheiden, welche Art(en) von Tätigkeit(en) er ausüben, welche Art von Leben er leben und möchte!

  • DL
    Dr. Ludwig Paul Häußner

    Mit dem Grundeinkommen für einen sozialen Liberalismus

    --------------------------

     

    Ich möchte diese Diskussion mit einem Briefwechsel zwischen Friedrich v. Schiller und Wilhelm v. Humboldt anreichern:

     

    Brief von Schiller an Humboldt:

     

    Zur Zeit greife ich die ästhetischen Briefe wieder auf. Damals habe ich mich auf die Freiheit konzentriert. Im letzten Brief gehe ich nur kurz auf die Gleichheit ein (vgl. 126-128). Das dritte Ideal der Brüderlichkeit ist auch erst ziemlich spät von der Französischen Revolution dazu genommen worden. Ich habe es daher rausgelassen. Sonst wäre mir vielleicht schon aufgefallen, daß sie alle drei zusammen genommen eine sonderbare Verwandtschaft mit meinen drei Trieben haben.

    Dabei geht es nicht so sehr um die einzelnen Triebe, sondern vor allem um ihr Verhältnis zueinander. Stellt man die Freiheit der Brüderlichkeit gegenüber, so ergibt sich genauso eine Polarität wie damals zwischen Formtrieb und Stofftrieb. Bei der Freiheit geht mir nichts über mich, während bei der Brüderlichkeit mir nichts über die anderen geht. Freiheitstrieb und Brüderlichkeitstrieb stehen sich wirklich polar gegenüber. Dann läßt sich mein Bild der Wage vom zwanzigsten Brief auf die Politik anwenden: «Die Schalen einer Wage stehen gleich, wenn sie leer sind; sie stehen aber auch gleich, wenn sie gleiche Gewichte enthalten (83)». Es gibt das alte ängstliche politische Gleichgewicht, die Gleichheit der leeren Schalen. Laß uns Freiheit und Brüderlichkeit zu einer gewagteren politischen Gleichheit steigern. Es ist Zeit zum politischen Spiel, zum Übergewicht meiner und der anderen.

    Da uns hier keiner mehr etwas anhaben kann und wir sowieso nichts mehr zu verlieren haben, so will ich die politischen Spielregeln näher beschreiben. Daß nicht alle Menschen gleich fähig sind, habe ich schon damals gesagt: Die Menschen unterscheiden sich bezüglich der «Privatfertigkeit» (126). Das Eigentum gibt mir Freiheit, es macht mir möglich, meine Fähigkeiten einzusetzen. Es soll mir bleiben, solange ich es zum besten Wohl der anderen verwalten kann. Nur so wiegt die Brüderlichkeit meine Freiheit auf. Nur so kommt es zu einem politischen Gleichgewicht, obwohl das Eigentum ungleich, nämlich nach den Fähigkeiten verteilt ist. Werde ich unfähig oder sterbe ich, so kann ich mit meinem Eigentum den Bedürfnissen anderer nicht mehr nachkommen. Fällt die Brüderlichkeit weg, so muß es aber auch die Freiheit: Beide Schalen müssen gleichzeitig leergeräumt werden. Oder ich muß vielmehr eine neue Brüderlichkeit herbeischaffen. Ich muß mein Eigentum rechtzeitig entäußern, dem Fähigsten übergeben, der beide Schalen gleich füllen kann. Nur so kann das politische Spiel weitergehen ...

     

    Brief von Humboldt an Schiller

     

    Deine drei «politischen Triebe» haben mir zu denken gegeben. Kann man nicht von der Französischen Revolution sagen, daß sie ihre politischen Triebe zu «abstrakt» gedacht hat? Sie hat sie verallgemeinert, sie sollten für alles gelten. Im dreizehnten Brief versuchst du die ästhetischen Triebe zu «konkretisieren», sie auf unterschiedliche «Reiche» zu beziehen, damit sie nicht kollidieren. Nun habe ich dasselbe mit deinen drei politischen Trieben versucht.

    In meinem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen, da habe ich schon damals den Staat dem Gleichheitstrieb zugeordnet. Der Staat ist mir das Reich der Gleichheit. Alles andere ist mir Freiheit gewesen. Eigentlich stimmt es schon, wenn man darunter Freiheit vom Staat meint. Aber du hast schon Recht mit der Polarität zwischen Freiheit und Brüderlichkeit. Die Freiheit ist Freiheit vom Staat und richtet sich dabei auf den Einzelnen, macht ihn erst zum Einzelnen. Die Brüderlichkeit braucht auch die Freiheit vom Staat, richtet sich aber auf die Welt, auf alle anderen Menschen. Der Unterschied ist mir so nicht aufgefallen, weil es mir vor allem darum gegangen ist, meinen «Reststaat» herauszuschälen. Und als ich damals geschrieben habe, da ist in Frankreich von Brüderlichkeit überhaupt noch keine Rede gewesen.

    Wenn du von der Freiheit und Brüderlichkeit so sprichst, wie in deinem letzten Brief, dann wird das Individuum zum Reich der Freiheit und die Welt zum Reich der Brüderlichkeit. Damit bin ich aber noch nicht ganz ans Ende meiner Gedanken gekommen. Dem Staat habe ich die Möglichkeit abgesprochen, für das moralische und physische Wohl der Menschen sorgen zu können. Heute würde ich einfach das moralische Wohl zum Reich der Freiheit und das physische Wohl zum Reich der Brüderlichkeit erklären.

     

    --------------------

     

    Auch das Grundeinkommen ist nicht staatlich, obwohl es der staatlichen Gesetzgebung unterliegt. Mit dem über die Mehrwertsteuer finanzierten und bedingungslos ausbezahlten

    Grundeinkommen hätten wir genau dieses: der Preis der Produkte enthält einen der Allgemeinheit zukommender Einkommensanteil, weil die moderne, arbeitsteilige Wirtschaftsweise funktional "Brüderlichkeit" ist.

     

    Jeder kann seine Potenziale und Fähigkeiten entfalten und jedem wird ein Grund-Einkommen zu Deckung seiner Grund-Bedürfnisse bedingungslos zugesprochen und z. B. über die persönliche Steueridentifikationsnummer ausgezahlt oder mit Einkommen aus Erwerbsarbeit, Zins- und Dividendeneinkommen oder sonstigen Transfereinkommen (wie Kindergeld, Bafög oder Sozialrenten) verrechnet.

     

    Das von der FDP diskuierte "liberale Bürgergeld" kann im Sinne Schillers und Humboldts nur bedingunglos sein. Das bedingungsloses Grundeinkommen würde so gesehen einen "brüderlichen Liberalismus" oder - modern ausgedrückt - einen sozialen, weil fairen Liberalismus,im Sinne von John Rawls Theorie der Gerechtigkeit, ermöglichen.

  • C
    coolray

    also wer wirklich glaubt das die FDP freiheit und chancengleichheit für alle will...der ist denke ich mal recht gutgläubig

    also alles truae ich der FDP zu..nur das nicht

    für die FDP ist ein LEISTINGSTRÄGER nicht eine krankenschwester die schwer arbeitet,oder en alternpfleger oder eine verkäuferin

    nein LEISTUNGSTRÄGER sind die ackermänner und sommers dieser welt

    und die sollen frei und gleich sein

    nicht die da UNTEN

     

    es wäre doch mal schön wenn all diejenigen die angeblich keine LEISTUNGSTRÄGER sind mal ein halbes jahr nichts machen

    dann wäre die deutsche wirtschaft am ende

    das land dreckig weil keiner mehr putzt und den müll wegmacht

    niemand könnte was einkaufen ..weil es keine verkäuferinnen und kassiereinnen mehr gibt

    und es wird nichts produziert..weil niemand mehr arbeitet

     

    dann sollen doch die LEISTUNGSTRÄGER schauen wie sie das schaffen ...ganz alleine ohne die da UNTEN

  • L
    likewise

    Falscher Ansatz!

    Schon Reinhard Mey hat doch von der grenzenlosen Freiheit über den Wolken gesungen. Und hier hatte er ausnahmsweise mal recht. Freiheit ist, wenn Westerwelle und alle seine politischen und wirtschaftlichen Freunde hoch droben über den Wolken, im Guido-Flyer sitzend weitab sich gemeinsam über des Außenministers schöne Dienstreisen freuen können -- und uns hier unten einfach nicht mehr auf die Nerven gehen. Denn alle Ängste, alle Sorgen, sagt man,sind dann weg, oder so...

  • NS
    Nina Schultes

    Sehr geehrter Herr Monnerjahn,

     

    vielleicht wollen Sie einmal hier nachlesen: http://www.christian-lindner.de/10-01-06-Dok-Rede-CL-Dreikoenig-2010.pdf

     

    Mit freundlichen Grüßen

    Nina Schultes