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Kommentar FDPPutscht gegen Westerwelle!

Matthias Lohre
Kommentar von Matthias Lohre

Westerwelle wähnt sich umzingelt von kleingeistigen Konservativen und einem "linken Zeitgeist". Diese Mischung aus Über- und Unterlegenheitsgefühlen führt zu ständiger Gereiztheit.

G uido Westerwelles Vorwärtsverteidigung gegen Kritik an seiner Amtsführung lässt sich als Zeichen einer Charakterschwäche abtun. Doch es ist mehr. Der FDP-Chef offenbart eine grundlegende Schwäche des hiesigen Liberalismus. Nur Westerwelles Abgang kann dieser Geisteshaltung, die einfachen Parolen einst nüchterne Skepsis entgegensetzte, zu neuen Ehren verhelfen.

Der Liberalismus war als Denkschule in Deutschland nie wirklich erfolgreich. Zwischen den linken und rechten Großideologien des 20. Jahrhunderts wurde sein gedanklicher Kern - persönliche Freiheit, Selbstverantwortung und Staatsskepsis - fast zerrieben. Dieser Druck hat seit den 80er-Jahren zu seiner Radikalisierung beigetragen: Der Liberalismus verkam zum Wirtschaftsliberalismus. Der nervöse Außenminister verkörpert dessen Doppelnatur: Einerseits glaubt er sich im Bunde mit einer großen Macht, dem sogenannten Neoliberalismus. Andererseits wähnt er sich umzingelt von kleingeistigen Konservativen und einem "linken Zeitgeist". Diese Mischung aus Über- und Unterlegenheitsgefühlen führt zu ständiger Gereiztheit. Diese entlädt sich auch in Westerwelles Unterstellungen, gegen ihn liefen "Verleumdungskampagnen" linker "Kräfte".

Diese Paranoia ist politisch fatal. Die FDP hat die Wahl: Folgt sie weiter ihrem Vorsitzenden, der ihr erst viele Wahlerfolge bescherte, nun aber zur Belastung wird? Oder öffnet sie sich, schon aus machttaktischen Erwägungen, neuen Ansichten und Koalitionen? Geht die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen verloren, wird

Bild: taz

Matthias Lohre ist Parlamentskorrespondent der taz.

die Partei diese Debatte auch öffentlich führen. Westerwelles Abtritt würde die Chance eröffnen, dass Liberalismus wieder mehr wird als Wirtschaftsliberalismus.

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Matthias Lohre
Schriftsteller & Buchautor
Schriftsteller, Buchautor & Journalist. Von 2005 bis 2014 war er Politik-Redakteur und Kolumnist der taz. Sein autobiographisches Sachbuch "Das Erbe der Kriegsenkel" wurde zum Bestseller. Auch der Nachfolger "Das Opfer ist der neue Held" behandelt die Folgen unverstandener Traumata. Lohres Romandebüt "Der kühnste Plan seit Menschengedenken" wurde von der Kritik gefeiert. Anfang 2025 veröffentlichte er seinen zweiten Roman "Teufels Bruder" über Heinrich und Thomas Mann in Italien.
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12 Kommentare

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  • C
    Clara

    Putsch gegen Westerwelle? Leute, die einzigen Umstürze die erfolgreich verlaufen, sind die gegen links, also keine Bange, Guido bleibt. Der Liberalismus mag ja als Philosophie ganz nett sein, doch so lange man in einer Gesellschaft lebt, die ein Mindestmaß an zwischenmenschlicher Kommunikation bedarf und nicht autark auf einer Insel, ist das ganze Gelaber vom Liberalismus außerhalb der Wirtschaft nichts weiter als Altmännergehirnwichserei.

  • V
    Versager

    Niemand hat damit gerechnet, dass Schwarz-Gelb nach so kurzer Zeit so desolat dasteht. Westerwelle war schon vorher unbeliebt, aber er tut sein bestes, um seine Werte zu verschlechtern. Dabei würde es reichen, wenn er innenpolitisch nichts sagen würde und sich lediglich auf sein Amt konzentrieren würde. Schlimmer aber:

     

    An das Land und die Menschen denkt niemand. Mit Grausen muss man feststellen, dass eine Versagerregierung im Amt ist, die Deutschland weiter herunterwirtschaften wird.

  • A
    Andrea

    Dass Westerwelle geht, ist eher wenig wahrscheinlich.

    Die erwähnte Paranoia ist sehr bemerkenswert und die Rundumschläge erinnern sehr stark an Länder mit autoritärer Führung. Ein Zurück zur vermeintlichen Normalität sollte es eigentlich nicht geben, denn entweder hat Westerwelle recht, das Land ist in Gefahr und es muss dringend in seinem Sinne gehandelt werden oder er hat sich von der Realität verabschiedet und ist nicht tragbar. Bei seinem Auftritt letzte Woche erinnerte er stark an Erich Honecker 1990, der euphorisiert Gorbatschow empfängt und tatsächlich Glaubt er habe die notwendige Macht hinter sich.

  • D
    digitus

    Danke. Dem ist nichts hinzuzufügen ...

     

    Mich wundert, dass liberales Urgestein wie Baum, Hirsch aber auch Leutheusser-Schnarrenberger nicht klarer auf Distanz zu diesem Vorsitzenden gehen.

  • H
    Happes

    Tolle Idee, aber dafür brauchen Sie auch geeignetes Personal. Wer soll das sein? Prinz Guido hat sich, ebenso wie früher Kohl und Strauß, schon längst zuverlässig mit Papageien umgeben. Jede® davon hat seine eigene Meinung, und nur zufälligerweise stimmt sie mit der des Chefs in jedem Punkt überein. Und Gerhart Baum ist halt schon ein bisschen alt. Das einzige Bürgerrecht, das die - früher mal so empfundene, heute nur noch von ihr selbst so bezeichnete - Bürgerrechtspartei heute und in Zukunft mit Zähnen und Klauen verteidigen wird, ist das Recht auf Steuerhinterziehung, und das können halt nur wenige in Anspruch nehmen, nämlich - welch ein Zufall - die FDP-Wählerklientel. Es ist kein Wunder, dass durch das gegenwärtige, eher nebensächliche Gezeter um Hartz IV und Vetternwirtschaft das viel wichtigere Thema Steuerhinterziehung/Steuerflucht völlig in den Hintergrund gedrängt wurde.

  • K
    Karlchen

    ...Herr Lohre bringt es auf den Punkt..,

    die FDP ( damit ist ausnahmsweise mal nicht nur ein einziger Darsteller gemeint)..sollte ihrem Vorsitzenden seine Grenzen aufzeigen und sich auch auf andere Werte besinnen.

    Das wäre besser für unser Land und besser für Guido..-

    Mir scheint, das viele Menschen seiner mangelnden Dialektik übertrüssig sind.

    Tragisch dabei.., das die FDP tatsächlich etwas Gutes für unser Land tun könnte.

    ...Leider versinken die guten Ansätze..im neoliberalen Gewäsch.., in der Günstlingswirtschaft.

    Es mangelt an geistiger Tiefe, an Weitsichtigkeit..und vor allem an wirklichen Lösungen.

     

    Stammtischparolen verbreiten und Kritik üben .. ,das reicht nicht für einen Außenminister und Vors. einer Bundesgerierungspartei.

  • V
    vic

    Westerwelle hyperventiliert und findet die Tüte nicht.

    Unnötig ihn jetzt noch anzugreifen; er schaufelt sich sein politisches Grab selbst. Besser als das alle seine Kritiker das je könnten.

  • MC
    Michael C.Anton

    Offensichtlich ist Westerwelle inzwischen so größenwahnsinnig geworden,dass er sich mit Deutschland verwechselt.Mutti,schmeiss'ihn raus!

  • MS
    Markus S.

    zum glück erinnert sich heute keiner mehr an die kampagne der fdp "bekifft-ficken.de". mal abgesehen davon, das unsguido weder weiß, was links oder rechts ist, sollte man viel mehr seine hintermänner in den fokus nehmen, seine lobby. denn irgendwer wird ihm schon auf die schulter klopfen, für seine kleingeistigen allüren.

  • LR
    Ludwig R.

    Sehr gut Matthias Lohre, das sollten wir tun!

  • G
    Gerd

    Mit Eurer Schlammschlacht gegen Westerwelle haben es linke Autoren und Journalisten mittlerweile geschafft, dass ihr viele LGBT Aktivisten in die Arme der FDP treibt.

     

    Wenn als Ergebnis der Debatte herauskommt, dass Mronz nicht mehr mitfährt als Partner, dann habt ihr linken Autoren den homopolitischen Rechten einen Bärendienst erwiesen. Wie sagte schon Klaus Dede: "Wahre Linke hat er in seinem Leben fast nie kennengelernt".

     

    Jeder homosexuelle Mensch findet es suuuuuper, wenn ein schwuler deutscher Aussenminister seinen Mann auf Reisen mitnimmt. Dies vergeßt Ihr leider bei Eurer Schlammschlacht gegen Westerwelle und schafft es dadurch, das die geschlossene Aktivistenfront homosexueller Menschen massiv bröckelt und Euch viele LGBT Aktivsten mit dieser Schlammschlacht bei der Linkspartei und der SPD wegbrechen werden.

     

    Gute Kommentare hierzu könnt ihr vom LSVD, von Axel Hochrein oder Manfred Bruns lesen. Deren Meldungen sollten Euch zutiefst zu denken geben, wie sehr ihr die Herzen homosexueller Wähler mit dieser Schlammschlacht gegen Mronz verletzt habt....schade, schade, schade...es gibt genügend Themen wie Kopfpauschale, Hartz IV-Debatte, usw. ...mußte es ausgerechnet die Begleitung von Mronz auf Reisen sein, worin ihr mit Eurer Kritik eingesetzt habt. Dies war eine Kernforderung von LSVD und Grünen, dass Westerwelle seinen Mann mitnehmen soll. Und jetzt wo er dies macht, werft Ihr ihm Vorteilsnahme vor, obgleich Mronz seine Kosten alle selber trägt.

     

    Mit dieser Aktion habt ihr der LGBT Community schwer geschadet und dies dürfte dazu führen, dass "so einfach", wie in der Vergangenheit homosexuelle Aktivsten und Gruppen nicht mehr für die Seite links der Mitte zu mobilisieren sind.

  • JS
    Jaajaa, sicher

    Herr Westerwelle geht durch ein Wechselbad der Gefühle..

    Oder er zieht weiter knallhart sein Ding durch und sorgt mit seinen geladenen Auslassungen nur für etwas Unterhaltung beim Durchschnittsbürger.

     

    Ich finde es so faszinierend wie die Politiker es schaffen, die Leute schon seit Jahrzehnten von den eigentlichen Problemen abzulenken mit ihrer Reality-Show...

    Das könnte glatt ein neues Fernsehformat werden, wenn es da nicht schon zu sehen wäre. :D