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Debatte ErinnerungskulturDie Fortsetzung des 20. Juli

Die Ideologie der Erinnerungskultur des Kalten Krieges muss überwunden werden – um andere Gruppen des Widerstands ins Recht zu setzen.

Hermann Göring (helle Uniform) und Martin Bormann (l.) begutachten die Kartenbaracke nach dem gescheiterten Attentat. Foto: dpa

Wer sich heute an den 20. Juli 1944 erinnert, denkt vor allem an den militärischen Widerstand. Die Verschwörer um Claus Schenk von Stauffenberg gehörten zu den wichtigsten Drahtziehern des gescheiterten Attentats gegen Adolf Hitler und wurden dafür in grausamer Weise hingerichtet. Ihre Verdienste prägen bis heute maßgeblich das Bild vom Widerstand gegen die totalitäre Herrschaft.

Aber die stark vereinfachte, geläufige Sicht vernachlässigt die große Vielfalt der damaligen zivilen Widerstandsgruppen. Schon ab Mitte der 1930er Jahre fanden sich Männer und Frauen vor allem im Arbeiter- und Gewerkschaftswiderstand zusammen. Es waren Einzelpersonen, Freundeskreise und Arbeitskollegen, die Widerstandsgruppen wie die Rote Kapelle, die „Europäische Union“ um Georg Groscurth und Robert Havemann, „Onkel Emil“ oder den Kreisauer Kreis bildeten. Die Erinnerung an sie ist leider weniger präsent.

Dazu beigetragen hat auch die ritualisierte Form der jährlichen Gedenkfeierlichkeiten, welche die Stiftung 20. Juli zusammen mit der Bundesregierung ausrichtet. Vor allem seit das öffentliche Gelöbnis der Bundeswehrsoldaten mit dem Gedenktag verbunden wird, dominieren die immer gleichen Fernsehbilder von der militärischen Zeremonie am Abend die öffentliche Wahrnehmung des Gedenktages.

Dabei gibt es seit Jahren einiges Unbehagen darüber, dass die Gedenkfeier bislang vor allem den militärischen und konservativen Widerstand so stark in den Vordergrund rückte und andere Gruppen vernachlässigte. Einige Töchter und Söhne wichtiger Widerständler wurden bislang nicht einmal eingeladen, oder sie kommen seit Jahren nicht, weil sie ihre schmerzhaft erfahrene Familiengeschichte in dem staatstragenden Zeremoniell nicht wiederfinden.

Auch stellt sich angesichts des Todes vieler Zeitzeugen für die Stiftung 20. Juli die drängende Frage, wie sie ihre Erinnerungspflege in Zukunft gestalten will, um das historische Erbe des Widerstandes auch durch das 21. Jahrhundert zu tragen. Erste erfreuliche Ergebnisse dieser Debatten zeichnen sich inzwischen ab: So wurde im Sommer 2014 in der Berliner Gedenkstätte Deutscher Widerstand eine aktualisierte Ausstellung eröffnet, die endlich mit einem modernisierten Museumskonzept auch die Vielfalt der Widerstandsgruppen angemessen würdigt.

Im Frühjahr dieses Jahres widmete sich die Forschungsgemeinschaft 20. Juli bei ihrer Bonner Fachtagung erstmals ausdrücklich dem Arbeiter- und Gewerkschaftswiderstand. In Berlin fand sich eine Angehörigengruppe unter der Leitung der Literaturagentin Elisabeth Ruge und des Historikers Hans Coppi zusammen, die regelmäßige Treffen zum persönlichen Austausch von Nachkommen organisiert und einen neuen Debattenraum eröffnet.

Akzentverschiebungen

Die veränderte Sichtweise im Kreise von Fachleuten und Angehörigen führte dieses Jahr zu Akzentverschiebungen bei den offiziellen Feierlichkeiten. Als Hauptredner wurde der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann eingeladen, um erstmals die besondere Rolle des Arbeiter- und Gewerkschaftswiderstandes zu würdigen.

Schon am Vormittag hatte der Politologe Siegfried Mielke von der FU Berlin in einer Ansprache eindringlich ausgeführt, dass die jüngere historische Forschung inzwischen zeigt, wie viele Widerstandsaktivitäten sich unter den Arbeitern und Gewerkschaftern seit den 1930er Jahren inzwischen rekonstruieren lassen.

Es gab zahlreiche Netzwerke, die in den Betrieben gefährliche Aufklärungsarbeit betrieben und Kontakte ins Ausland pflegten. Sie setzten auch nach der Zerschlagung der Gewerkschaften im Jahr 1933 ihre Widerstandsaktivitäten unter großen Risiken in illegalen Gruppen fort. Viele bezahlten dafür mit ihrem Leben.

Gemma Pörzgen

ist Journalistin in Berlin und Enkeltochter des christlichen Gewerkschafters Heinrich Körner aus Bonn, der zum Widerstand des 20. Juli gehörte.

Dank aktueller Forschungsergebnisse sind viele Namen aufgetaucht, deren Rolle historisch neu zu bewerten ist, wie beispielsweise der des Linkssozialisten und Reichstagsabgeordneten Paul Wegmann, dessen Sohn Dietrich Wegmann an diesem Montag erstmals unter den Gästen der Gedenkfeier war. Dank des wissenschaftlichen Engagements der Historikerin und Tochter des kommunistischen Widerstandskämpfers Anton Saefkow, Bärbel Schindler-Saefkow, wissen wir heute, dass der Freundeskreis um ihn und seine Frau Aenne in der NS-Zeit mit rund 500 Personen zu den größten und schlagkräftigsten Widerstandszirkeln zählte.

Mit solchen Neubewertungen gelingt es endlich, die Ideologisierung der Erinnerungskultur des Kalten Krieges zu überwinden, die in der Bundesrepublik über Jahrzehnte überwiegend den konservativ-militärischen Widerstand würdigte, während die DDR allein den kommunistischen Widerstand gelten ließ. Das Schicksal von mutigen Einzelkämpfern wie Wegmann fiel da leicht durchs Raster.

Vertane Chance

Trotz solcher Neuerungen bleibt es schwer, die Erinnerung an diese Vielfalt in der breiten Öffentlichkeit zu verankern. Dazu hat auch die Rede von DGB-Chef Hoffmann leider wenig beigetragen. Der Gewerkschaftsfunktionär nutzte seinen Auftritt vor allem dazu, um an die bekanntesten christlichen Gewerkschaftsvertreter Wilhelm Leuschner und Jakob Kaiser zu erinnern sowie die Bedeutung von Einheitsgewerkschaften auch für die Gegenwart zu unterstreichen. Hoffmann verschenkte in seiner farblosen Ansprache die Chance, das politische Erbe mutiger Gewerkschafter mit den heutigen Herausforderungen in Verbindung zu setzen.

So spiegelte die Rede in ihrer mangelnden Empathie einen gesellschaftlichen Zustand wider, in dem nur wenige Bundesbürger aus der Zivilcourage der Widerstandskämpfer noch etwas zu schöpfen wissen. Dabei könnten nach den unvorstellbaren NSU-Morden und den fast alltäglichen neonazistischen Umtrieben in unserem Land diese eindrucksvollen Biografien eine Ermutigung sein. Zeigt doch das Beispiel zahlreicher „kleiner Leute“, wie viel Menschen ausrichten können, wenn sie sich mit anderen zusammentun, um entschlossen für ihre Überzeugungen und gegen offensichtliches Unrecht einzutreten.

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9 Kommentare

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  • "Wer sich heute an den 20. Juli 1944 erinnert, denkt vor allem an den militärischen Widerstand.…"

     

    Den Grund für diese unseelige Tradition hat Jutta Limbach via Georg Elser mit kluger Einsicht thematisiert und klar benannt:

    "…Unbegreiflich erschien und erscheint vor allem, dass ein aus einfachsten Verhältnissen stammender Handwerksgeselle die Gefahr erkannte, die die Herrschaft Hitlers für den Weltfrieden bedeutete. Der unersättliche Expansionsdrang Hitlers war sein erklärter Beweggrund zur Tat. Diese Voraussicht künftigen Unheils beschämte offenbar - man möchte fast sagen; kränkte - all jene, die den verbrecherischen Charakter des Nationalsozialismus angeblich nicht oder zu spät erkannt haben. Hier liegt meines Erachtens der tiefere Grund dafür, dass Elsers Anschlag auf Hitler gern vergessen, auf angebliche Hintermänner zurückgeführt oder aber als unmoralisch disqualifiziert wird. Denn Elsers Feinnervigkeit und Entschlusskraft stellen die Glaubwürdigkeit und den Verantwortungssinn vieler seiner Zeitgenossen in Frage.…" http://www.georg-elser-arbeitskreis.de/texts/limbach.htm

    Georg Elsers Attentat im Lichte des legalisierten Widerstandsrechts

     

    Es ist mehr als Zeit - der einseitig durchsichtig interessengeleiteten OffiziösVersion des Erinnerns des Widerstandes in Nazideutschland gegen Hitler in diesem Geist eine demokratisch verankerte Tradition der Bürger entgegen zu setzen.

     

    Daß da noch viel Luft nach oben ist - liegt auf der Hand - So what!

    Ungeschicklichkeiten&Versäumnisse

    sollten wie hier klar benannt - aber mit Nachsicht behandelt werden.

     

    Das Widerstandsrecht des Grundgesetzes ist in Art 20 Abs 4 GG ist zu recht den Bürgern übertragen und vorbehalten - und eben aus gutem Grund nicht militärisch konotiert.

    Der Usurpierung via Bundeswehr ist damit eine klare Absage erteilt.

    • @Lowandorder:

      In Bezug auf Ihren letzten Absatz bin ich eher skeptisch, und zwar deshalb, weil die Aufnahme eines Widerstandsrechtes in das GG als eine direkte Konsequenz der historischen Erfahrung mit der NS-Diktatur zwar einerseits einsichtig ist, zum anderen aber eine Reihe logischer und juristischer Schwierigkeiten mit sich bringt. Ein Widerstand ist demzufolge nur dann legal (wohlgemerkt an dieser Stelle geht es um die Legalität und nicht ausschließlich um die Legitimität), wenn die Verfassungsorgane wie der Bundestag oder die Bundesregierung gewaltsam an der Ausübung ihrer verfassungsmäßigen Funktionen gehindert werden. Wer aber hat dann das Recht festzustellen, dass der Fall legalen Widerstandes gegeben ist? Die Verfassungsorgane können es nicht, da sie außer Kraft gesetzt sind. Solche und andere Schwierigkeiten legen den Verdacht nahe, dass die Aufnahme eines Widerstandsrechtes in das GG vor allem eine symbolpolitische Handlung war.

       

      Carl Schmitt war der Kronjurist der Nazis. In seiner gleichermaßen berühmten wie berüchtigten Schrift 'Der Begriff des Politischen' nahm er die, wie ich finde, äußerst scharfsinnige Bestimmung vor:

       

      "Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand bestimmt"

       

      Darüber lohnte sich nachzudenken.

  • 6G
    65522 (Profil gelöscht)

    Der Artikel hat mir gut gefallen, sowohl der Vegleich zwischen Verschwörung (wenn die Felle wegschwimmen) und dem Widerstand aus der Not heraus und aus dem Bewußtsein des Unrechts. Kleine Leute sind im Umfeld des 20. Juli wohl nur als Marionetten geplant gewesen. Intelektuelle und Künstler waren da schon andere Kaliber, wenn auch aus dem damaligen Deutschland emigriert worden oder tot.

    Warum bei Herrn Hoffmann die schulische Vorbildung anders als bei den meisten Bundesdeutschen sein soll ?

    Die Bundeswehr hat auch noch andere Traditionen in denen sie steht. Oder gibt es eine Hans Beimler Kaserne?

  • ob ich...?

    Georg Elser, sicher.

    Die Leute um den 20.Juli?

    Wenn auch mutig, zu spät, zu spät

    Die tragen Verantwortung für die Schuld.

    Diese Schmach schulden sie den Elsers und Scholls.

    Juli 44. Zu spät, um selbst ihre Schäfchen ins trockene zu bringen.

     

    Keine Vorbilder für niemanden.

    20.07.2015, für mich ein Tag wie jeder andere, aus dem zu lernen ist, dass oen oben und unten unten ist.

  • Wenn “kleine Leute” sich zusammentun, können sie viel ausrichten. Eine an sich überzeugende Idee. Leider ist das “Zusammentun” so einfach nicht, das sieht man schon bei neuen Parteibildungsprozessen in der Demokratie. Noch schwerer bis unmöglich ist es unter totalitären Verhältnissen. Da bieten sich bereits gebildete Milieus, so sektenhaft sie im Zweifel sind (und ihren “Führern” und Vormächten folgen) als widerstandsanschlußfähiger an. So paradox es erscheint, der Widerstand rings um den 20. Juli erscheint mir aus heutiger Sicht am meisten zivilgesellschaftlich; denn er bildete sich am Individuum, Moral und Argument.

  • Guter Artikel. So genau hatte ich mir da bisher noch nie Gedanken drüber gemacht.

    Mich überrascht es da nur wenig, dass dieser Gedenktag primär dafür genutzt wird, damit sich die Eliten selber beweihräuchern können. Auch das außen vor Lassen von Gewerkschaften passt in den neoliberalen Mainstream.

     

    Aber dass der militärische Widerstand um Stauffenberg sowie der 20. Juli so hochgehalten werden liegt auch daran, dass die Bundeswehr sich in ihrer Tradition und ihrem Selbstverständnis sehr darauf stützt.

    • @vøid:

      „Aber dass der militärische Widerstand um Stauffenberg sowie der 20. Juli so hochgehalten werden liegt auch daran, dass die Bundeswehr sich in ihrer Tradition und ihrem Selbstverständnis sehr darauf stützt.“

       

      „Die klarsten und nüchternsten Lagevorträge in diesen entscheidenden Tagen hielt der Oberstleutnant i.G. de Maizière. Er fasste in der Regel nachts die letzten Ereignisse des Tages ohne jede Beschönigung knapp und deutlich zusammen. Die meisten Zuhörer waren beeindruckt, und auch Hitler fand an seiner präzisen Ausdrucksweise Gefallen. Gute Nachrichten konnte er nach Lage der Dinge von der Ostfront nicht mehr erwarten. Umso mehr schätze er de Maizières sicheres und unpathetisches Auftreten.“

       

      Beste Voraussetzungen um bei der Wiederbewaffnung der BRD, bei der Gründung der Bundeswehr an „vorderster Front“ zu stehen.

       

      Anfang der 60er Jahre diente ich als W18 unter diesem adligen Herrn. Seinen Nachkommen konnten wir im Afghanistankrieg in voller Montur (nur zu seinem Schutz!) besichtigen, als er auf Besichtigungstour war, als Minister.

       

      Das „Fallen“ im Felde, vulgo Verrecken war seinen Untergebenen und deren „Feinden“ vorbehalten.

    • @vøid:

      naja, Stauffenberg kämpfte füt Hitler, Rommel war zB einglühender Fan Hitlers, Soldaten waren Verbrauchsmaterial, solang es Siege und Orden gab, war relativ wenig Widerstand, ausser einEm TiSchler, dem fast das gelang, was anderen ELITEN im jahrelangen Hin und Herr nicht gelang, mein Respekt gehört all den Namenlosen, die sich aus Überzeugung gegen das Regime wanden, ob Das die weisse Rose war, den Zeugen Jehowas die den Dient an der Waffe vereiigerten, den von und zu mit langer Tradition auf die sie heute pochen eher nicht!