Debatte Erika Steinbach: Der Staat und die Erinnerung
Erika Steinbach und kein Ende. Die spannende Frage aber ist, welche Rolle der Staat bei der Vergegenwärtigung des Vergangenen spielen soll.
S oll Angela Merkel Erika Steinbach auffordern, auf ihrem Sitz im Stiftungsrat der Stiftung "Flucht,Vertreibung,Versöhnung" zu bestehen? Damit würde die Kanzlerin ihre polnischen Freunde verprellen, die aus der "Personalie Steinbach" eine zwischenstaatliche Affäre gemacht haben. Und sie würde eine Pattsituation riskieren, denn Außenminister Westerwelle könnte seine Drohung wahrmachen und mit einem Veto im Bundeskabinett die Bestellung Steinbachs verhindern.
Soll Merkel also Steinbach zum Verzicht drängen und damit ein Zerwürfnis mit dem national-konservativen Flügel ihrer Partei heraufbeschwören? Hinter diesem mittlerweile ziemlich kleingekauten Dilemma droht die spannende Frage zu verschwinden, worin eigentlich die Rolle des Staates bei der Vergegenwärtigung des Vergangenen bestehen soll.
Ursprünglich war das "Zentrum gegen Vertreibungen", die Vorläuferinitiative der jetzigen Stiftung, ein Kind von Erika Steinbach und damit des Bundes der Vertriebenen (BdV), also eine Privatsache. Gegen das Projekt des Zentrums gab es in der öffentlichen Diskussion viele Einwände, deren wichtigster war, dass das Zentrum Flucht und Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Kontext der deutschen Geschichte herauslösen, das Vertriebenenschicksal enthistorisieren und statt Verstehen emotionale Identifikation anstreben wolle. Die erste Ausstellung des Zentrums, "Erzwungene Wege", erwies sich als nicht geeignet, solche Befürchtungen zu zerstreuen.
Erika Steinbach hatte stets argumentiert, das Los der Vertriebenen sei in Deutschland nicht beachtet worden, und es gelte nun, der Erinnerung an Flucht und Vertreibung den ihr gebührenden Platz zu verschaffen. Diese These ist historisch nicht haltbar. Aber wenn der BdV zur Stärkung seiner schwindenden Identität auf dem Projekt beharren wollte, wäre die richtige Antwort gewesen: Bitte sehr. Mochten auch einige Politiker sich beim "Zentrum" engagieren, der Staat hatte hier nichts zu suchen. Dies umso mehr, als im Rahmen der beiden bundesstaatlichen historischen Museen in Bonn und Berlin die Möglichkeit bestanden hätte, dem Komplex von Flucht und Vertreibung im Rahmen des historischen Kontextes breiteren Raum zu widmen als bisher. Und die Förderung wissenschaftlicher Projekte zur europaweiten Erforschung von Flucht und Vertreibung hätte als Netzwerk seitens der Staates gefördert werden können. Nach dem "Zentrum gegen Vertreibungen" hätte binnen zwei Jahren kein Hahn mehr gekräht.
Falsches Erinnerungsmonopol
Aber nein, es musste unbedingt der Staat sein, der mit der Stiftungslösung das Projekt übernahm. Er wollte es sein, der ein "sichtbares Zeichen" für Flucht und Vertreibung (so der Name im Koalitionsvertrag von 2005) aufrichten wollte. Mag auch von offizieller deutscher Seite ohne Unterlass erklärt werden, das "sichtbare Zeichen" werde in keiner Weise aus Tätern Opfer machen, werde die osteuropäischen Opfer der nazistischen Okkupation in ihrer Bedeutung nicht relativieren - es ist das "sichtbare Zeichen" selbst, sein "Alleinstellungsmerkmal", mit der die Konkurrenz der deutschen Vertreibungsopfer gegen die Opfer Nazideutschlands bewirkt wird.
Dabei ist es unerheblich, dass vor allem von Seiten der polnischen nationalistischen Rechten die Angst vor einem deutschen Geschichtsrevisionismus geschürt wird. Diese oft hysterischen polnischen Befürchtungen sollten nicht der Anlass sein, das Staatsunternehmen "Sichtbare Zeichen" kritisch zu sehen. Sondern die Gefahr, dass im Zeichen weltweiter Opfer und des allgemeinen Grauens im 20. Jahrhundert die politischen und moralischen Unterschiede eingeebnet werden. Dass diese Art von "Normalität" zum Erklärungsstandard in Deutschland wird.
Damit betreten wir das glitschige Terrain der Geschichtspolitik. Sie bezeichnet die Absicht des Staates oder politischer Parteien, historische Ereignisse in den Dienst gegenwärtiger politischer Propaganda zu stellen. Geschichte wird hier nicht als Lehrmeisterin begriffen, es gilt nicht: "historia est magistra vitae." Sondern sie wird für politische Zwecke zurechtgeschneidert. Weshalb es sich beim Begriff der Geschichtspolitik nicht um eine neutrale Beschreibung der Staatstätigkeit im Reich der Erinnerungskultur handelt.
Was der Staat tun soll
Diese staatliche Erinnerungskultur, von der Namensgebung von Straßen, Orten oder Institutionen über Gedenkstätten, Denkmäler bis hin zu Museen unterliegt einem strikten demokratischen Imperativ: Sie erfordert eine breite vorgängige Diskussion, öffentliche Ausschreibungen und staatsunabhängige Juroren. Der Staat soll den Rahmen herstellen, soll zahlen und sich im Übrigen zurückhalten. Eben darin besteht das republikanische Ideal, nach dem die Staatsbürger selbst es sind, die den symbolischen Ausdruck des demokratischen Gemeinwesens auch in der Erinnerungskultur bestimmen.
Von der Erfüllung dieser demokratischen Prämissen ist die staatliche Erinnerungspolitik noch weit entfernt. Neben Versuchen, gesellschaftliche Initiative und Kritik aufzunehmen, finden sich stets neue Beispiele selbstherrlicher staatlicher Bestimmung, wie erinnert werden soll. So zuletzt bei der Gedenkstätte für die bei Auslandseinsätzen ums Leben gekommenen deutschen Soldaten, wo trotz massiver Kritik an der mythischen Vorstellung von "gefallenen Helden" festgehalten wurde.
Die Konstruktion der Stiftung "Flucht,Vertreibung und Versöhnung" verdankt sich vor allem dem politischen Kalkül. Dies zeigt sich auch bei der Besetzung der Gremien. Sicher ist der BdV eine legitime Vertretung der Vertriebenen. Aber es gibt wichtige Initiativen außerhalb des BdV, wo sich, wie im Fall Polens, deutsche Vertriebene und deren Nachkommen um freundschaftliche Beziehungen zu den Polen bemühen, die heute in den ehemaligen Heimat der Deutschen leben. Wenn die Stiftung etwas Wertvolles zustande bringen will, muss sie sich öffnen. Sie muss politisches Proporzdenken abschütteln. Und sie muss ihre Projekte der öffentlichen Diskussion aussetzen.
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